Das Künstlerduo Michael Clegg und Martin Guttmann setzt sich mit gesellschaftlichen Strukturen, Machtverhältnissen und deren historischen Hintergründen auseinander. Die »Offene Bibliothek«, die erstmals 1991 in Graz realisiert wurde, ist eine ihrer wichtigsten Werkserien im öffentlichen Raum. Die Künstler installierten an drei verschiedenen Orten der Grazer Peripherie einfache Bücherschränke, wo sich das Publikum Bücher ausborgen oder Bücher spenden konnte. Clegg & Guttmann unterlaufen in diesem Projekt die hierarchischen Strukturen von traditioneller Wissensvermittlung und schaffen stattdessen eine offene, demokratische Einrichtung, auf die alle zu jeder Zeit – ohne Vorlage eines Ausweises – uneingeschränkt Zugriff haben. Das Hinzufügen von Büchern durch die ortsansässige Bevölkerung erzeugt auch eine Art Porträt des jeweiligen Stadtteils, in dem die Bibliothek steht. Die Erkenntnisse, die damit über das soziale Gefüge gewonnen werden, lassen sich mit der hier abgebildeten Installation »Humiliation« (2012) vergleichen – auch wenn diese Arbeit in der Innenstadt Wiens weniger das indirekte Porträt einer bestimmten Umgebung ist als vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Sittenbild.
Der Graben, der heute zusammen mit der Kärntner Straße und dem Kohlmarkt als »goldenes U« des Wiener Handels bezeichnet wird, hat eine wechselvolle Geschichte. Clegg & Guttmann beziehen sich mit »Humiliation« – übersetzt Demütigung, Erniedrigung und Beschämung – auf jene historische Zeit, in der öffentliche Erniedrigung, Folter und Hinrichtung zum Strafvollzug gehörten und an diesem Ort ausgeführt wurden. In direkter Linie zur heutigen Pestsäule, an deren Stelle bis ins späte 17. Jahrhundert ein Schandkäfig stand, fügten Clegg & Guttmann drei Strafinstrumente des Mittelalters auf einem Betonsockel zusammen: einen Schandkäfig, einen Schandkorb und als oberen Abschluss eine Schandflöte. Im Schandkäfig wurden die Delinquenten meist stehend eingepfercht und per Flaschenzug an Rathaus- oder Kirchenfassade hinaufgezogen, der Schandkorb, ein nach oben konisch zulaufendes, bodenloses Holzfass mit gezackter Halskrause, wurde über die Delinquenten gestülpt, sodass nur der Kopf herausragte, und die Schandflöte war ein Metallring mit flötenartigem Stiel, der schlecht spielenden Musikanten angelegt wurde, wobei der Hals im Metallring und die einzelnen Finger am Stiel fixiert wurden. Auch wenn die dargestellten Züchtigungsinstrumente nicht zum Tod führten, war ihre soziale Wirkung verheerend. Mit »Humiliation« beleuchten Clegg & Guttmann ein dunkles Kapitel des historischen Strafvollzugs, das eng mit der damaligen gesellschaftlichen Haltung und dem Begriff von Öffentlichkeit verbunden war – und das global gesehen nichts von seiner Aktualität verloren hat.
»Humiliation«, 2012, spielt auf die Zeit der Folter und Hinrichtung an, die bis ins späte 17. Jh. mitten in Wien stattfand.
Clegg & Guttmann
Michael Clegg, geboren 1957 in Dublin
Martin Guttmann, geboren 1957 in Jerusalem
Clegg & Guttmann leben und arbeiten in New York, Berlin und Wien.
Einzelausstellungen (Auswahl)
- 2014 The Collector, his Father and their Collection, Galerie Mirko Mayer, Köln
- 2013 Galerie Nagel Draxler, Berlin
collaborative and commissioned portraits, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Innsbruck - 2012 Humiliation, Denkmal im öffentlichen Raum, Graben, Wien
Portraits and Other Cognitive Exercises 2001– 2012, Bawag Contemporary, Wien
Monument of Monuments, Galerie für Landschaftskunst, Hamburg
Gruppenausstellungen (Auswahl)
- 2015 FACES NOW – European Portrait Photography since 1990, BOZAR Center for Fine Arts, Brüssel
- 2014 2d23D. photography as sculpture – sculpture as photography, OstLicht.
Galerie für Fotografie, Wien - 2013Fotos. Österreichische Fotografien von den 1930ern bis heute, 21er Haus, Wien
The Feverish Library (continued), Capitain Petzel, Berlin - 2012 On Signs and Bodies, Galerie Georg Kargl Fine Arts, Wien
I Wish This Was A Song. Music in contemporary art, Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design, Oslo - 2011 Sense and Sensibility, Salzburger Kunstverein, Salzburg
Foto
© Iris Ranzinger