Zum Hauptinhalt springen

Essay
(Berg-)Hütten

erschienen in
Zuschnitt 69 Bauen am Berg, März 2018
Sie besuchen eine Archiv-Seite. Möglicherweise sind nicht alle Darstellungen korrekt.

Lei dumme Schof gian aufn Berg aui.* Das war eine jener lapidaren Ansagen meines Großvaters, die mich als Fünfjährigen eher ratlos zurückließen. Schafe konnten dumm sein. Das wusste ich, seit ich dabei geholfen hatte, eine Horde Schafe auf die Alm zu treiben. Aber weshalb nur die dummen Schafe auf den Berg hinaufgehen, erschloss sich mir erst allmählich. Vorsichtshalber vermied ich es als Kind und Jugendlicher, auf Berge zu steigen. Am wenigsten wollte ich auf unseren markanten Hausberg. Bei Schulausflügen mit diesem Ziel war ich stets durch plötzliche Krankheit verhindert. Und als ich als junger Erwachsener diesem Grundsatz untreu wurde und eine Theateraufführung auf dem Gipfel besuchte, verlor der Berg meiner Kindheit seinen Zauber und ich musste mir einen neuen suchen, den ich von unten bewundere und nicht besteige. Etliche Jahre pflegte ich das Ritual, einmal im Jahr im August am Nachmittag meist querfeldein in Richtung irgendeines Gipfels zu gehen. Bei Einbruch der Dunkelheit setzte ich mich mit Isomatte und Schlafsack auf einen trockenen Platz noch weit unter dem Gipfel und beobachtete Sternschnuppen, das Mondlicht und das Leuchten im Tal. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, zur Übernachtung eine Berghütte aufzusuchen. Dementsprechend schreibe ich über etwas, was ich nur von außen kenne. Ähnlichkeiten der beschriebenen Hütten mit realen sind daher zufällig.

Die ersten Menschen auf dem Berg waren Jäger, Hirten und Reisende, die aus zwingenden Gründen dorthin mussten. Wahrscheinlich hat so mancher übermütige Bauernbursch nebenbei die eine oder andere Erstbesteigung vorgenommen, ohne sich der historischen Bedeutung seines Unterfangens bewusst zu sein. Unterstände und Hütten, die für den wiederholten Aufenthalt in unwirtlichen Höhen notwendig waren, bestanden hauptsächlich aus den dort unmittelbar vorhandenen Materialien Stein und Holz. Hütten wurden an Orten errichtet, die nach langer Beobachtung am sichersten vor Unwettern, Lawinen und Steinschlägen waren. Der Mensch zog sich mehr oder weniger die Landschaft als Decke über den Kopf und schuf sich eine schützende Höhle, die das Nötigste fürs Überleben sicherte.
Vor 200 Jahren entdeckten Poeten und abenteuerlustige Städter mit Freizeit die Berge. Sie schätzten die Erhabenheit der Berglandschaft und wohl auch die euphorisierende Wirkung der dünnen Luft. Sehr viele unserer Berghütten tragen die Namen deutscher Städte. Es sind eher einfache Hotels und Gasthäuser als Hütten im ursprünglichen Sinn. Sie sind ein Stück Stadt in den Bergen. Einige Gipfelstürmer der Moderne wollten es mit den Bergen aufnehmen und ihnen Ebenbürtiges entgegensetzen, wenn auch mit beschränkten Mitteln. Heutige Kristallträume versuchen diesen Weg fortzusetzen. Und mit der Finanzkraft des Tourismus, der mit einer forcierten Dosiserhöhung und Beschleunigung der Langeweile des Schon-zweimal-Gesehenen entgegenzuwirken versucht, scheint nichts mehr unmöglich.

Berghütten abseits von Aufstiegshilfen sind da ein liebenswürdiger Kontrapunkt. Sie sind Stützpunkte für Menschen, die bereit sind, für außergewöhnliche Erfahrungen auch Anstrengungen auf sich zu nehmen, oder die gerade diese Anstrengungen als Ausgleich zum vollklimatisierten Alltag schätzen.

In die Jahre gekommene Hütten zu modernisieren oder zu ersetzen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Einfühlungsvermögen erfordert. Neben der Notwendigkeit, die Hütten heutigen ökologischen Standards anzupassen, stellt sich damit zusammenhängend die Frage, welchen Komfort eine Berghütte bieten soll.

Die Bedürfnisse und Erwartungen der Bergwanderer und Bergsteiger sind naturgemäß eher bescheiden. Ihr Interesse gilt der Landschaft und dem Abenteuer, sich in ihr zu bewegen. Die möglichen Haltungen der Architektur reichen von einem euphorischen Heroismus, der es, wie schon erwähnt, der bombastischen Landschaft gleichtun will, bis zu einem demütigen Verschwinden in der Landschaft, einer Minimierung der Störung des vorgefundenen Gefüges. Alle Haltungen kämpfen mit einer latenten Deplatziertheit und einer maßstäblichen Gratwanderung zwischen Zumutung und Lächerlichkeit.

Grundsätzlich halte ich den zurückhaltenden Ansatz, der wie die Urhütten das Notwendige mit möglichst minimalen Mitteln abdeckt, für angemessener, solange das Ergebnis dem Ort gerecht wird und seine Möglichkeiten nutzt.

Ein Schlafraum braucht nicht viel größer zu sein als ein Bett und ein Rucksack. Dafür ist er vielleicht nach außen hin so verglast, dass einen der Mond weckt oder die Morgensonne. Anders als die ursprüngliche Schutzhütte kann der Hüttenraum mit den heutigen Mitteln ohne großen Aufwand seine spektakuläre Umgebung mit gezielten Außenbezügen inszenieren. Windgeschützte, teilweise überdachte Sonnenterrassen rund um die Hütte mit einer einfachen, liebevollen Gastronomie erfüllen den Traum jedes Bergwanderers und könnten auch als Notschlafstelle mit Schlafsack und Isomatte dienen, ohne die Natur mit Stickstoff zu belasten.
Ein solches zeitgemäßes Refugium aus den am Bauplatz vorgefundenen Materialien herzustellen, scheitert derzeit an den hohen Arbeitskosten. Beim heutigen Stand der Technik scheint für hochalpines Bauen Holz am besten geeignet zu sein. Insbesondere vorgefertigte Brettsperrholzstrukturen verkürzen in exponierten Lagen die Montagezeit und senken die Kosten für den Flugtransport. Eine Außenhaut aus massivem Holz passt sich unter höchster Beanspruchung innerhalb weniger Jahre durch Verwitterung seiner natürlichen Umgebung an. Verschleißteile können relativ leicht austauschbar gestaltet werden. Bauphysikalisch ist Holz bekanntlich wesentlich geduldiger als mineralische und metallische Baustoffe. Eine finale Entsorgung wäre durch Verrottung an Ort und Stelle, in Tirol auch als Bergfeuer, vorstellbar.

Auf dem Berg stellen sich bestimmte Fragen des Bauens wie die Angemessenheit der Mittel und die Qualität des konkreten Ortes verschärft. Zurück im Tal werden diese grundlegenden Aspekte von scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten überdeckt, was zur Beliebigkeit verleitet, wo die gleiche Konzentration auf das wirklich Notwendige angebracht wäre.

* Nur dumme Schafe gehen auf den Berg hinauf.


verfasst von

Wolfgang Pöschl

lebt und arbeitet als Architekt in Tirol.

Erschienen in

Zuschnitt 69
Bauen am Berg

Bauen am Berg ist Bauen unter Extrembedingungen. Genau hier punktet der Holzbau mit all seinen Eigenschaften wie Leichtigkeit, Robustheit und Atmosphäre.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 69 - Bauen am Berg