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Über das Wieder- und Weiterverwenden von Baustoffen
Ein Gespräch mit Felix Heisel, Projektpartner der UMAR Unit im Forschungshaus NEST

erschienen in
Zuschnitt 75 Potenzial Holz, September 2019

Was sollen wir mit den Baustoffen tun, die wir nicht mehr brauchen? Wieder- und Weiterverwenden – das zumindest fordern die Forscher der UMAR Unit, eines Gemeinschaftsprojekts von Werner Sobek, Dirk E. Hebel und Felix Heisel. Die Forschungs- und Wohneinheit im Forschungshaus NEST der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) zeigt, dass eine konsequente Wieder- und Weiterverwendung von Baustoffen bereits heute möglich ist. Wir sprachen mit Felix Heisel, Projektpartner und Forschungsleiter im Fachbereich Nachhaltiges Bauen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), über das Thema Recycling in der Architektur im Allgemeinen und im Holzbau im Besonderen.

Warum ist Recycling ein Thema?

Felix Heisel Für uns ist es nicht nur ein Thema, wir sehen es als absolute Notwendigkeit an. Wir haben nicht genug Ressourcen, um so weiterzubauen wie bisher. Zudem setzen wir die Ressourcen, die wir aus der Erdkruste entnehmen, so ein, dass sie nach dem Abriss größtenteils ihre Wertigkeit verlieren. Eine Lösungsmöglichkeit ist, den Kreislauf zu schließen. Recycling ist eine von mehreren Methoden, um unsere lineare Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen. Und das ist auch mein persönliches Hauptforschungsthema, die zirkuläre Bauwirtschaft. Wie können wir einen Paradigmenwechsel einleiten und eine Kreislaufwirtschaft erreichen?

Wie weit sind wir denn von einer Kreislaufwirtschaft entfernt?

Felix Heisel Wir sind noch weit weg von einer echten Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Österreich ist den Deutschen in dieser Thematik tatsächlich etwas voraus. Aber auch hier kann man noch von keiner geschlossenen Kreislaufwirtschaft sprechen. Vor zwei Jahren hat die Ellen MacArthur Foundation erstmals versucht zu errechnen, wie kreislaufgerecht die Welt aktuell ist und kam auf die Zahl 9. Das bedeutet, dass nur 9 Prozent der eingesetzten Mineralien, fossilen Brennstoffe, Metalle und Biomasse jährlich wiederverwendet oder gleichwertig wiederverwertet werden.1 Österreich hat sich nun ebenfalls dieser Rechenmethode bedient, um zu schauen, wie kreislaufgerecht es ist, und kam auf 9,7 Prozent.2 Die Zahl an sich finde ich nicht so wichtig. Aber es ist eine sehr, sehr kleine Zahl und sie zeigt die Notwendigkeit auf, dass wir hier dringend etwas tun müssen.

Was ist das Ziel? Zu hundert Prozent kreislaufgerecht zu sein? Geht das überhaupt?

Felix Heisel Natürlich muss das Ziel hundert Prozent sein. Der Weg dorthin besteht aber sicherlich aus vielen kleinen Stellschrauben, die wir verändern müssen zum Wohle der Welt und uns aller.

Sie haben gesagt, dass die Ressourcen knapp werden. Welche Rolle spielen hierbei die nachwachsenden Rohstoffe? Gilt für sie dasselbe Prinzip – also eine hundertprozentige Wieder- oder Weiterverwendung zu erreichen? Oder kann man hier entspannt sagen: Die wachsen sowieso nach, da brauchen wir keine Ressourcenknappheit zu befürchten?

Felix Heisel Ein Grundprinzip der Kreislaufwirtschaft ist die Trennung des technischen vom biologischen Metabolismus. Wenn man wirklich kreislaufgerecht bauen will, dürfen diese beiden Kreisläufe in keinem Produkt dauerhaft verbunden sein. Ein Beispiel ist aluminiumkaschierter Holzschaum: Den kann man weder kompostieren noch zu Aluminium einschmelzen. Das ist ein verlorener Wert. Der biologische Kreislauf ist natürlich per se weniger problematisch, unter der Bedingung, dass ich die biologischen Rohstoffe richtig einsetze. Genau hier liegt aber die Krux. Denn sehr, sehr wenige der aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellten Produkte sind wirklich wieder zurückführbar. Oft sind sie mit Chemikalien behandelt, die aus dem technischen Kreislauf kommen und die eine Kompostierung zum Beispiel unmöglich machen. Unbehandelte Vollhölzer hingegen kann ich wunderbar wieder zurückführen in die Wertschöpfungskette, indem ich sie entweder tatsächlich wiederverwende oder kompostiere.

Das Schöne am biologischen Kreislauf ist, dass er sehr groß ist. Ein technischer Kreislauf hingegen ist direkter. Nehmen wir als Beispiel die PET-Flasche. Die bleibt im besten Falle hochwertiges PET. Wir können aber, zumindest bisher, nicht aus dem PET wieder Rohöl herstellen und daraus ein anderes technisches Produkt kreieren. Im biologischen Kreislauf bin ich weder an ein Produkt noch an ein Material gebunden, sondern kann die Moleküle durch Photosynthese wieder neu kombinieren.

Welche Anreize gibt es überhaupt für die Industrie und die Nutzer, über kreislaufgerechte Produkte nachzudenken?

Felix Heisel Aktuell spüren wir ein sehr großes Interesse von Seiten der Nutzer und der Industrie. Bei dieser Thematik ist, glaube ich, ein Punkt besonders interessant: Wir sprechen über eine Kreislaufwirtschaft. Und das Wort Wirtschaft steht hier nicht umsonst. Es geht darum, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. In der linearen Wirtschaft wird ein Produkt hergestellt und verkauft. Was der Käufer damit macht, kann ich nicht kontrollieren. Es gibt Unternehmen, die vermieten ihre Produkte nur noch. Ein Hintergedanke hierbei ist die Unabhängigkeit vom Rohstoffmarkt. Wenn ein Hersteller ein zu hundert Prozent recycelbares Material verkauft, kann er es durch eine Rücknahme als hochwertiges Ausgangsmaterial wieder in die Produktion zurückführen. Diesen Mehrwert gilt es für die Unternehmen zu aktivieren. An solchen Geschäftsmodellen besteht ein großes Interesse.

Gibt es so etwas auch in der Holzindustrie?

Felix Heisel Ich kenne derartige Geschäftsmodelle vor allem für technische Kreisläufe, in denen der Ressourcendruck aktuell höher ist. Das Ziel einer Kreislaufwirtschaft ist, den höchstmöglichen Wert und Nutzen eines Materials zu erhalten. Das umgangssprachliche »Downcycling« entspricht in diesem Sinne nicht der Kreislaufwirtschaft, auch wenn es laut EU-Definition noch als Recycling gilt. 2016 hat Österreich zum Beispiel eine Verwertungsrate für Bauabfälle von 88 Prozent nach Brüssel gemeldet.3 Laut der bereits genannten Berechnung ist Österreich aber nur zu 9,7 Prozent kreislaufgerecht. Diese Diskrepanz entsteht aus den unterschiedlichen Definitionen von Recycling. Im schlimmsten Fall zählt sogar das thermische Recycling dazu, auch wenn man dabei hochwertige Rohstoffe vernichtet. Geschäftsmodelle für den biologischen Kreislauf sollten sich insofern auf eine vollbiologische Schließung des Kreislaufs konzentrieren. Hierzu forschen wir unter anderem an biologischen Klebern auf Basis von Pilzmycelium.

Bei Ihrem Forschungsprojekt UMAR spielt Holz eine tragende Rolle. Warum haben Sie sich für Holz als Baustoff entschieden?

Felix Heisel Zunächst ist Holz per se ein sehr nachhaltiger Werkstoff, der CO2 bindet und für die Herstellung wenig CO2 verbraucht. Ebenso sprechen ästhetische und raumklimatische Argumente für Holz. Das Ziel dieser Unit war, alle Materialien zu hundert Prozent wieder sortenrein in ihre Kreisläufe zurückzuführen. Das unbehandelte Vollholz der Units lässt dies problemlos zu. Zusätzlich sind zum Beispiel fünf der sieben Module, die wir eingebaut haben, baugleich. Die können natürlich auch direkt als Module an anderen Orten wieder eingesetzt werden. Die Wiederverwendung ist eine Lösung, die der Modulbau sicherlich erleichtert.

1 The Circularity Gap Report 2019, www.circularity-gap.world
2 Circularity Gap Report – Austria, www.ara.at
3 Eurostat, Recovery rate of construction and demolition waste 2016, aufgerufen 2019

Circularity Gap Report 2019

Die Weltwirtschaft ist nur zu 9 Prozent kreisförmig – nur 9 Prozent der 92,8 Milliarden Tonnen Mineralien, fossilen Brennstoffe, Metalle und Biomasse, die in die Wirtschaft gelangen, werden jährlich wiederverwendet.


verfasst von

Anne Isopp

ist freie Architekturjournalistin, -publizistin und Podcasterin in Wien. Sie war von 2009 bis 2020 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt. In ihrem Architekturpodcast Morgenbau spricht sie mit Menschen aus der Baubranche über nachhaltiges Bauen.

Erschienen in

Zuschnitt 75
Potenzial Holz

Wir können mehr mit Holz bauen und dabei mehr endliche Ressourcen ersetzen, wenn wir ressourceneffizientere Lösungen entwickeln, das Material länger im Kreislauf halten und auch andere Holzarten vermehrt stofflich nutzen. Das Potenzial von Holz ist längst noch nicht ausgeschöpft.

8,00 €

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Zuschnitt 75 - Potenzial Holz