Mitten im Feld scheint ein dünnes Dach in der Luft zu schweben. In der Nähe des Dorfes Otok pri Dobravi und unweit des Flusses Krka erhebt es sich mit Leichtigkeit über dem hohen Gras, lässt die Natur frei hindurchfließen und deutet nur an, dass darunter etwas Schützenswertes liegen könnte. Es sind die archäologischen Überreste der mittelalterlichen Siedlung Gutenwerth, die nach der Türkenbelagerung Ende des 15. Jahrhunderts verlassen wurde. Das Dach schwebt über den tiefer liegenden alten Mauerresten und berührt den Boden nur mit zwei Stützen, die eine mit Stahldiagonalen vorgespannte Holzbinderkonstruktion tragen, auf die wiederum eine schlanke Konstruktion für das Reetdach gelegt ist.
Diese einfache, subtile Architektur wurde 1973 vom slowenischen Architekten Oton Jugovec entworfen. Auf den ersten Blick erinnert uns das Schutzdach an einen traditionellen slowenischen Heuschober. In solchen Holzkonstruktionen wurde die Heuernte getrocknet. In ganz Slowenien, aber auch im Zillertal, in Kärnten und in Italien haben sich verschiedene Formen von Heuschobern entwickelt. Sie unterscheiden sich je nach ihrem topografischen und landwirtschaftlichen Kontext und zeichnen sich doch alle durch eine klar gegliederte, modulare Konstruktion aus, bei der ein oder zwei Säulenreihen über horizontale Lamellen und ein Dach miteinander verbunden sind. Diese Heuschober stehen für eine Tektonik, die die Stärke des Materials ebenso wie die Poesie der Konstruktion in sich verkörpert. Es ist eine entmaterialisierte Architektur, die in ihrer Leichtigkeit äußerst modern wirkt und zugleich einen offenen, flexiblen Raum zwischen Innen- und Außenbereich bildet.
Jugovecs Dach ist primär ein Unterstand, eine einfache architektonische Form. Zugleich ist sein Design eine komplexe, modernistische Interpretation der traditionellen Form der Heuschober. Der Architekt entwickelte seine künstlerische Sprache bereits in anderen Arbeiten, wie der Renovierung der Kirche in Reteče und der Gedenkstätte des Zweiten Weltkriegs in Kočevski Rog. Auch hier interpretierte er das Dachmotiv in seinem komplexen historischen und natürlichen Kontext neu. Dieser Ansatz, die Tradition als Ausgangspunkt für seine eigene Interpretation zu nehmen, kann als die wichtigste Qualität der slowenischen Moderne in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Er vereint den Sinn für die Tradition des Architekten Jože Plečnik, den Erfindungsgeist seines Studenten Edvard Ravnikar und die Offenheit der slowenischen Architektur für die damalige internationale Architekturszene, insbesondere für die der skandinavischen Länder, miteinander. Alle drei Bedingungen werden jedoch in diesem speziellen Fall durch die Poetik des Raumes, die außergewöhnliche natürliche Umgebung noch unterstützt. Das Dach von Oton Jugovec ist wie ein japanisches Haiku, das in der Lage ist, sehr komplexe Gedanken auf einfache Weise auszudrücken.