Skizzen und Zeichnungen sind der Ausgangspunkt von Eide Aas’ künstlerischen und poetischen Überlegungen. Der norwegische Künstler beschäftigt sich mit Themen wie Abwesenheit, Chaostheorie, Zeit und Raum. In seiner Ausstellung „At Hermit Street Metro Entrance“, die 2021 in der Non-Profit-Galerie Entrée in Bergen gezeigt wurde, war auch die hier abgebildete Arbeit „Hermit Street – Balcony“ aus dem selben Jahr. Der Balkon (170 × 127 × 67 cm), den der Künstler aus Eiche, Kiefer und Leinen baute und an die Galeriewand hängte, war Teil eines dystopischen Settings, das aus einer Straßenlaterne, einem stilisierten U-Bahn-Eingang und einer Kuppel-Markise bestand. Die Installation referiert auf utopische Arbeiten anderer Künstler und bietet zugleich einen nüchternen Blick auf unser zeitgenössisches Leben zwischen Pandemie, Fake News und Krieg.
Der vom Künstler konstruierte U-Bahn-Eingang fungiert – ähnlich der Arbeit „Metro-Net“ (1993) des deutschen Künstlers Martin Kippenberger – als Portal in eine fiktive Welt, als Fluchtweg in eine bessere Wirklichkeit. Kippenberger dachte darüber nach, die Welt durch ein Metrosystem zu verbinden und baute an verschiedenen Orten Eingänge und Lüftungsschächte von U-Bahn-Stationen, die funktionslose Attrappen sind. Neben der täuschend echten Optik wurden Fahrgeräusche abgespielt und Ventilatoren erzeugten Luftströme. Die scheinbar funktionierenden U-Bahn-Eingänge befanden sich in verschiedenen Städten auf der ganzen Welt und sahen so aus, als führten sie zu realen Zielen.
Auf der griechischen Kykladeninsel Syros wurde 1993 die erste Station in Form eines Treppenabgangs aus Beton errichtet. Ein aus Holz gefertigter U-Bahn-Ausgang kam im August 1995 in Dawson und ein weiterer Ausgang 1997 auf dem Gelände der Leipziger Messe hinzu. Das Projekt wurde auch nach Kippenbergers Tod 1997 fortgesetzt. Die von Sjur Eide Aas installierte Balkonarbeit „Hermit Street – Balcony“ hingegen erinnert an René Magrittes Öl-Malerei „Perspektive II. Der Balkon von Manet“ von 1950. René Magritte war einer der wichtigsten Vertreter des Surrealismus in Belgien, und obwohl sein Werk beunruhigend, ironisch und poetisch ist, ist es selten offen konfrontativ. Die meisten seiner Werke kommentieren subtil und mit surrealistischem Humor die Realität und die Konventionen der damaligen Zeit. Im Falle der Arbeit „Perspektive II. Der Balkon von Manet“ zum Beispiel ersetzt er die vier Protagonisten aus Manets Gemälde „Le Balcon“ durch vier Särge. Der berühmte Kunstkritiker Siegfried Gore schrieb über Magrittes Gemälde: „Der Künstler übertrug die Unbeweglichkeit und Blässe der [vier] Personen auf dem Balkon, die offensichtliche innere Leere und die mangelnde Interaktion zwischen ihnen auf eine Gruppe von Särgen. Mit anderen Worten, anstatt eine Alternative zu Manet zu schaffen, machte er die Atmosphäre der Arbeit absurder und beängstigender.“ Ähnliches könnte man auch über den verlassenen und verzerrten Balkon von Sjur Eide Aas sagen, der eine vergleichbare Beklemmung auslöst, aber formal durch die stellenweise Verwendung gelber Pigmente (z. B. am Geländer) auch eine Art Optimismus ausstrahlt. In der Farbpsychologie ist Gelb die Farbe des Lichts, der Rationalität und der Kreativität – so gesehen gibt es in der Arbeit von Sjur Eide Aas noch Hoffnung auf eine bessere Welt.
Sjur Eide Aas
geboren 1989 in Stavanger, Studium an der Trondheim Academy of Fine Arts und Bergen Academy of Art and Design, lebt und arbeitet in Marrakesch und Gjerstad
Einzelausstellungen
- 2021
At Hermit Street Metro Entrance, Entrée, Bergen - 2019
The Miracle of the Burning Bush, Was All in Your Head, Noplace, Oslo
Gruppenausstellungen
- 2020
Unfolding Questions, Codes, and Contours, Tromsø Kunstforening, Tromsø omissíssimo, Cavalo, Rio de Janeiro - 2017
The Thinker, Flower Pot and Mush, Entrée, Bergen