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Nachgefragt bei Felix Montecuccoli
Was kann der Wald alles leisten?

erschienen in
Zuschnitt 91 Wald und Holznutzung, Dezember 2023

Im Zuschnitt 51, vor genau zehn Jahren, luden wir Felix Montecuccoli zu einem Gespräch über den Wald unter dem Motto „Der Wald ist ein Spiegel unserer Gesellschaft“ ein. Zum Anlass dieser Ausgabe mit dem Schwerpunkt Wald und Holznutzung haben wir den niederösterreichischen Großwaldbesitzer erneut zur Waldwirtschaft, den sich verändernden Anforderungen und zukünftigen Herausforderungen befragt.

Der Wald, seine Bewirtschaftung und Nutzung unterliegen einem stetigen Wandel. Ebenso verändern sich die Gesellschaft, ihre Bedürfnisse und Ansprüche. Wie sehen Sie die Entwicklung des Waldes? Wo steht er in fünfzig Jahren?

In fünfzig Jahren wird es in Österreich ­sogar mehr Wald geben als heute, der Holzvorrat wird höher sein. Der Wald wird aber anders aussehen, es werden andere Baumarten wachsen. Warum gehe ich ­davon aus? Die stetige Zunahme der Waldfläche hat verschiedene Gründe. Erstens führt der Nachhaltigkeitsgrundsatz in der Bewirtschaftung zu einem Zuwachs an Fläche und einem steigenden Holzvorrat. Ein weiterer Faktor ist die Klimaerwärmung, wodurch sich die Bewaldung in weitere Höhenlagen des Gebirges verschiebt – das ist zwar kein im wirtschaftlichen Sinne nutzbarer Wald, aber es ist ein Zugewinn an Flächen. Die Holzvorräte werden trotz Klimawandels und Holznutzung zunehmen. Das liegt daran, dass wir eine nicht ganz regelmäßige Altersklassenstruktur im Wald haben. Das Alter der Bäume ist unregelmäßig verteilt und in großen Teilen des Wirtschaftswaldes gibt es einen Überhang an Altholz. Viele der Eigentüme­r:innen haben sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren nicht zu einer Nutzung für die Holzwirtschaft entschieden und werden das voraussichtlich auch weiterhin nicht tun. Und es wird neue und andere Waldbesitzer:innen geben, die sich heute gegen die Holznutzung entscheiden, sodass das Holz zu einem späteren Zeitpunkt in die Wertschöpfungskette fließt. Diese Wälder müssen natürlich trotz allem gemanagt werden, auch wenn keine Bewirtschaftung im Sinne der Holzernte stattfindet. Darüber hinaus haben wir durch die Kalamitäten einen signifikant höheren ­Anteil an Jungwald, der natürlich zuwächst und in fünfzig Jahren erst seine volle Leistungsfähigkeit erreicht. Der Wald wird ­außerdem bunter sein. Es sind schon heute viele verschiedene Baumarten vertreten, und diese Baumartenvielfalt wird noch ­zunehmen, sich verändern und der Anteil von sogenannten Mischbaumarten wird wachsen.

Schauen wir fünfzig Jahre zurück: Wie ­haben sich die Voraussetzungen für die Waldbesitzer:innen verändert und welchen zukünftigen Herausforderungen werden Sie sich stellen müssen?

Blicken wir noch weiter zurück als fünfzig Jahre. Jahrhundertelang war der Wald in erster Linie Energielieferant, das heißt Quelle für Brennholz zum Heizen und zum Kochen, und Jagdgebiet – Jagd nicht zur Erholung, sondern zur Ernte von Fleisch für die Ernährung der Menschen. Die Landwirtschaft wurde erst im Laufe der Zeit produktiv genug, um den Bedarf ausreichend zu bedienen. An Landschaftsbildern aus dem Biedermeier fällt zum Beispiel auf, dass die dargestellten Alpenlandschaften alle von Großkahlschlägen dominiert sind. Das waren alles Holzerntemaßnahmen für Brennholz.

Die nächste entscheidende Entwicklung kommt um das Jahr 1880 mit dem Aufkommen der Sägetechnologie in Gang. Es gibt nun Maschinen, mit denen sich runde Stämme zu flachen und geraden Balken und Brettern sägen lassen. Plötzlich dreht die Waldwirtschaft komplett, bekommt einen vollkommen neuen Fokus. Es geht nicht mehr um die Ernte von Brennholz, sondern um die Ernte von Sägeholz, wobei Energieholz und Jagd schon immer noch ein Thema waren.

Nach den Weltkriegen gibt es im Zuge des Wiederaufbaus einen enormen Bedarf und gleichzeitig einen Innovationsschub. Die Besiedelung des Alpenraums nimmt zu, der Bau neuer Infrastruktur, insbesondere der Eisenbahnlinien durch die Alpen, schreitet voran. Damit bekommt die Schutzwirkung des Waldes eine größere Bedeutung, doch daneben bleibt er auch Rohstofflieferant für die Sägeindustrie und damit für den Bau, Energielieferant und Jagdgebiet.

Mit dem Beginn der 1970er und 1980er Jahre kommen neue Interessen hinzu – Naturschutzideen, Naturschutzkonzepte und Biodiversität werden Thema und nehmen Einfluss auf die Waldbewirtschaftung. Alle anderen Funktionen sind immer noch aufrecht, wobei die Schutzfunktion immer bedeutender wird, denn es wird immer mehr Infrastruktur und vor allem immer teurere Infrastruktur gebaut und die ­Menschen haben einen immer höheren Anspruch an deren Zuverlässigkeit. Es wird nicht mehr akzeptiert, dass irgendwo eine Straße eine Woche blockiert ist oder dass eine Eisenbahnlinie zehn Tage nicht befahren werden kann.

Mit den 1990er Jahren wird der Wald als Erholungsraum und für Freizeit- und Sport­aktivitäten entdeckt. Das wirkt bis heute und ist tägliches Faktum in der Waldbewirtschaftung. Wir Waldbesitzer:innen müssen darauf Rücksicht nehmen beim Maschineneinsatz, wenn wir selbst auf unseren eigenen Forststraßen fahren und ebenso bei der Planung von waldbaulichen Maßnahmen und bei der Jagd. Dabei reden wir aber immer von derselben Fläche. Das ist schon ziemlich viel geworden im Laufe der Zeit.

Aktuell rückt das Thema der Kohlenstoffspeicherung in den Fokus. Es wird langsam kompliziert. Wo anfangs alles nebenein­ander und miteinander funktioniert hat, kommen wir zunehmend in die Situation, dass sich verschiedene Zielsetzungen oder Erwartungen an den Wald oder an jene, die ihn bewirtschaften, teilweise widersprechen. Es sind zwar mehrere Nutzungen beziehungsweise Funktionen auf einer ­Fläche möglich, aber nicht überall und nicht in der erwarteten Quantität. Damit stehen Entscheidungen im Raum, sich auf eine bestimmte Hauptnutzung zu konzentrieren. In Zukunft, da bin ich mir sicher, wird dies immer öfter der Fall sein. Das ist auch gut so.

Genauso wichtig wie die Biodiversität im Wald ist die Diversität im Management. Ein einheitliches Konzept – 10 Prozent von dieser Nutzung, 30 Prozent von jener, eine übergeordnet vorgegebene Zusammen­setzung der Baumarten – wäre nicht zielführend. Denn wenn das nicht ganz ­genau das Richtige für die Zukunft ist, dann hat man natürlich ein großflächiges Problem. Warum ist aber der Wald in Mitteleuropa und in Österreich so gut beieinander? Weil wir viele Eigentümer:innen ­haben, die ­unterschiedliche Entscheidungen treffen, und es jede und jeder ein bisschen anders macht. Das führt dazu, dass wir viele verschiedenen Waldgesellschaften und viele verschiedene Altersklassen haben, viele unterschiedliche Systeme und damit einen Wald, der insgesamt einfach resilienter ist. Das ist die große Stärke des österreichischen Waldes. Beim Staatswald zum Beispiel in Deutschland oder in Osteuropa ist das im Vergleich schwieriger, denn die ­öffentliche Hand muss bei ihren Entscheidungen einen komplizierten parlamentarischen Prozess durchlaufen.

Ich möchte nochmals auf die dynamische Entwicklung des Waldes, die aktuellen Herausforderungen und den Umgang damit eingehen. Vor zehn Jahren haben Sie an dieser Stelle mit Arno Ritter ein Gespräch über den Wald geführt und Zukunftsbilder diskutiert. Was davon ist eingetroffen und was hat sich gänzlich unerwartet ­entwickelt?

Vor zehn Jahren gingen wir beide als Gesprächspartner davon aus, dass Holz ein nachhaltiger Baustoff ist, zur Sanierung der Klimakrise beitragen wird und die Verwendung von Holz in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit einen positiven Beitrag leistet. Inzwischen ist das aber kein Allgemeingut mehr, denn immer mehr Menschen stellen infrage, dass der Einsatz von Holz positiv fürs Klima ist, und plädieren dafür, das Holz im Wald als Kohlenstoffspeicher stehen zu lassen. Das zeigt, dass der Wald häufig nicht richtig verstanden wird. Die lange Dimension der Waldbewirtschaftung wird dabei übersehen und die Tatsache, dass der Wald ein dynamisches System ist.

Wir sind gewohnt, unser Leben immer schneller zu leben – und die Schnelllebigkeit auf sämtliche Bereiche zu übertragen. Beim Wald ist das aber nicht möglich, denn das Waldwachstum funktioniert über hundert Jahre und ist auch nicht kontinuierlich. So wie der Mensch, der in der Jugend schnell wächst, viel Energie braucht, viel essen kann, um damit zu wachsen, und im Alter nicht mehr so viel essen muss, weil er nicht mehr wächst, so ist es auch bei den Bäumen. Ein junger Wald wächst nicht sehr sichtbar die ersten paar Jahre. Dann kommt die Phase, wo man alle zwei Jahre sagt: „Wow, sind die Bäume groß geworden!“ Später wächst der Baum in die Dicke, und schließlich hat er seinen vollen Umfang erreicht und es kommt nicht mehr viel dazu. Im Waldbestand als System ist außerdem irgendwann das maximal mögliche Holzvolumen erreicht – einige Bäume können nur weiterwachsen, wenn andere absterben. Diese Bäume, die im Wald absterben, vermodern und setzen ziemlich schnell Kohlenstoff frei. Und wenn man dieses Gesamtsystem betrachtet, dann ergibt es Sinn, einzugreifen und Bäume zu entnehmen, bevor sie absterben, und beispielsweise Häuser damit zu bauen. Denn in ­einem Gebäude halten sie deutlich länger und setzen den Kohlenstoff nicht direkt frei. Auf der freigewordenen Fläche können gleichzeitig die vorhandenen Bäume weiterwachsen oder neue Bäume wachsen und Kohlenstoff aufnehmen. Das wird immer übersehen. Menschen sind immer weniger gewohnt, Dinge über einen längeren Zeitraum, also über 100 oder 150 Jahre, zu ­betrachten. Wir Waldbesitzer:innen müssen aber immer in diesen Zeiträumen denken.

Wenn die EU heute Ziele für 2030 oder 2050 setzt, dann verleitet das viele Menschen dazu, immer alles auf diesen Zeitpunkt hin zu betrachten und zu berechnen. Ein bewirtschafteter Wald hat aber nie den maximal möglichen Holzvorrat, weil es ja immer Jungbestand und Totholz gibt. Rein rechnerisch kommen wir zu dem ­Ergebnis, dass bis 2050 mehr Kohlenstoff im Wald gespeichert werden kann, wenn wir heute aufhören, Holz zu nutzen und alles nur mehr wachsen lassen. Im Kreislauf und der zeitlichen Dimension des Waldes funktioniert dies aber nicht.

Felix Montecuccoli
ist Waldbesitzer in Markersdorf-Haindorf, ­Niederösterreich, und Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich.
www.montecuccoli.at


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 91
Wald und Holznutzung

Wald und Holznutzung im Spiegel der Zeit und im Kontext des Klimawandels

8,00 €

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Zuschnitt 91 - Wald und Holznutzung