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Auf Achse
Mit dem Fahrrad und zu Fuß über Brücken, Stege und Highways aus Holz

erschienen in
Zuschnitt 92 Infrastrukturbauten, März 2024

Wenn es um klimatisch vorbildliche Verkehrsinfrastrukturen geht, wird immer öfter auf den Baustoff Holz gesetzt. Dabei ist die Bandbreite zwischen konstruktiver Logik und Öko-Symbolik recht groß. Erste Vorbilder moderner Infrastruktur des Überbrückens aus Holz kamen jedenfalls zeitgleich mit dem Aufschwung des Individualverkehrs auf.

Das 20. Jahrhundert gilt in puncto Mobilität zu Recht als das Jahrhundert des Automobils, und Städte wie Los Angeles mit ihren ausufernden Highways sind Symbole einer exzessiv automobilzentrierten Stadtplanung. Doch zumindest an einer Stelle in Kalifornien begann das Jahrhundert bereits anders, und das ganz pünktlich. Am 1. Januar 1900 um 8.30 Uhr wurde der California Cycleway zwischen Los Angeles und Pasadena eröffnet. Die 2,1 km lange Strecke wurde, wie die Los Angeles Times berichtete, am Eröffnungstag von rund tausend Personen beradelt, und das ganz ohne Unfälle. Bis zu 15 Meter über dem Boden wand sich der Cycleway dahin, war nachts beleuchtet und bot ausreichend Platz, um zu viert nebeneinander zu fahren. Eine Infrastruktur wie diese würde noch heute beeindrucken – um so mehr, als sie komplett aus Holz errichtet wurde, das eigens aus Oregon herbeigeschafft worden war.

Inzwischen weitgehend vergessen ist, dass die USA zwischen 1896 und 1900 einen regelrechten Fahrradrausch erlebten, der sich vor allem der Erfindung von luftgefüllten Reifen und Kettengangschaltung verdankte. Fahrräder galten als Hightech und als leistbar sogar in der damaligen Wirtschaftskrise – so lange bis der Boom wieder abflaute. Auch der Cycleway erwirtschaftete nicht den erhofften Profit, die geplante Verlängerung um 8 km wurde nie realisiert und die Holzkonstruktion bald wieder abgebaut. Der Rest ist Geschichte.

Zurück in die Zukunft

Nach langer Pause werden Fahrradhighways heute wieder als Lösung für urbane Mobilität angepriesen. Der Baustoff Holz war für diese Planungen bisher kaum im Gespräch – das soll sich jetzt ändern, wenn es nach dem Schweizer Start-up urb-x geht. Das vom Ingenieur, Bankier und Politiker Klaus Kirchmayr gegründete Unternehmen hat das Fahrradhighway-System urb-x entwickelt, das auf Modul-Leichtbauweise mit Brettschichtholz-Elementen basiert. Dadurch könnten 95 Prozent des Volumens aus nachwachsenden Rohstoffen errichtet werden; pro Kilometer Strecke sind rund 1.000 Tonnen Holz notwendig. Wesentliches Tragelement ist ein zentraler Hohlkasten mit einer Länge von 20 Metern, für Kurven gibt es Sonderelemente. Statisch ist die Konstruktion so stabil, dass sie von Straßenreinigungsfahrzeugen und Krankenwägen befahren werden kann. Ideal sei das Modell, so die Entwickler:innen, für Pendelrouten von der Peripherie ins Stadtzentrum, wofür bestehende Verkehrsachsen genutzt werden könnten. Bislang gibt es noch keinen Auftrag, die Teststrecke von 180 Metern Länge hat jedoch bereits beim süddeutschen Bundesland Baden-Württemberg Interesse geweckt.

Es liegt auf der Hand, dass eine plakativ klimagerechte Verkehrslösung sich noch glaubwürdiger verkauft, wenn sie mit einem klimagerechten, weil nachwachsenden Baumaterial umgesetzt wird, und die laut eigenen Angaben 3.000 eingesparten Tonnen CO2 gegenüber Stahl oder Stahlbeton sind nicht nichts. Fragen darf man sich allerdings, in welchem Maße die vertikale Entflechtung von Verkehrsströmen, wie sie die autogerechte Stadt der Nachkriegszeit propagierte, wieder in die Städte zurückkehren soll, nachdem die Philosophie der Begegnungszonen heute auf das genaue Gegenteil, nämlich auf multimodale Rücksichtnahme und Umverteilung auf Straßenniveau, setzt. Auch die in den letzten Jahren eingeführten Londoner Fahrrad-Superhighways sind ebenerdig.

Reichlich Erfahrung mit innerstädtischen Fußgängerbrücken an sowohl für das Stadtbild als auch für den Verkehr neuralgischen Stellen haben Dietmar Feichtinger Architects, die auch den Wettbewerb für die Querung der Gleise am Bahnhof Saint Laud in der 300 Kilometer südwestlich von Paris gelegenen Stadt Angers gewannen. Die 2020 fertiggestellte Brücke schwingt sich in einem Bogen über das Bahnareal und dockt an den Bewegungsflüssen der benachbarten Quartiere an, für deren Stadtentwicklung sie symbolisch steht. Während die Stützen einem entgleisenden TGV standhalten müssen und darum in Stahlbeton errichtet wurden, zeichneten die Architekten den Schwung der Brücke mit Rahmen aus Holzleimbindern nach, deren Abstand sich zur Brückenmitte hin verdichtet. Hier findet das Holz seine ideale Rolle in der Infrastruktur: als zarte Andeutung von räumlicher Fassung, die sowohl im Detail als (Sitz-)Möbel als auch weithin sichtbar als Wahrzeichen fungiert.

Holz-Connections

Ein solches ist bereits seit Jahren der High Line Park in New York, dessen Erfolg alle Erwartungen übertraf. Der lineare, erhöhte Park auf einer stillgelegten Bahnlinie war eine Typologie, die viele andere Städte zu kopieren suchten, und er beschleunigte die Aufwertung der angrenzenden Quartiere in Manhattan. Dies gipfelte im 25-Milliarden-Dollar-Projekt Hudson Yards, der Überbauung der Bahngleise nahe der Penn Station, dem viele Kritiker Maßstabslosigkeit und schlechte architektonische Qualität trotz astronomischer Quadratmeterpreise vorwarfen. Genau hier wurde 2023 das letzte Stück der High Line, der sogenannte Moynihan Connector, mit zwei Brücken aus Leimbindern realisiert – ein harter Kontrast zu den rundum aufragenden Spiegelglasfassaden.

Entworfen von Skidmore, Owings & Merrill (som) und James Corner Field Operations, ist die an die Stahlfachträger der Bahnvergangenheit erinnernde Brückenkonstruktion durchaus beeindruckend und als Bestandteil eines linearen Freiraums auch passend. Die von SOM stolz angemerkte Verwendung erneuerbarer Materialien mag jedoch angesichts der enormen fossilen Verschwendung, die die umgebende Architektur kennzeichnet, nach Greenwashing klingen.

Definitiv kein Marketing-Gag ist die Verwendung von Holz für Fuß-Rad-Infrastrukturen in der freien Natur. Für die neue Radroute durch den Nationalpark Hoge Kempen in der belgischen Provinz Limburg lag die Wahl des Baustoffs schon deshalb auf der Hand, weil hier früher schnellwachsende Wälder angepflanzt wurden, um die Kohleindustrie vor Ort zu befeuern. Diese ist inzwischen verschwunden, heute ist der sanfte Tourismus in der Mechelse Heide ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der postindustriellen Region. Die Route gipfelt als Höhepunkt in einer vom Team aus Maat-Ontwerpers und Lens°ass architecten entworfenen 300 Meter langen Brücke mit Tragstruktur aus Azobéholz und Seitenwänden aus Kiefernholz, zwischen denen die Fahrbahn langsam auf 6,5 Meter Höhe ansteigt. So wird nach innen eine räumliche Spannung erzeugt, die den Ausblick und die Fortbewegung dramaturgisch inszeniert. Von außen besehen fungiert die Brücke als Teil der Landschaft und erinnert sogar ein wenig an den California Cycleway von vor 124 Jahren. Manche Ideen brauchen eben etwas länger, bis sie sich durchsetzen.


verfasst von

Maik Novotny

ist Architekturjournalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung Der Standard, die Wochenzeitung Falter sowie für Fachmedien über Architektur, Stadtentwicklung und Design.
www.maiknovotny.com

Erschienen in

Zuschnitt 92
Infrastrukturbauten

Mobilitätswende mit Holz

8,00 €

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Zuschnitt 92 - Infrastrukturbauten