Mobilität polarisiert nicht nur, sie fasziniert auch – und das oft auf eine fast irrationale Weise. Die Ästhetik der Dynamik und das Erleben von Raum in Bewegung üben von jeher eine große Anziehungskraft auf all jene aus, die öffentliche und gebaute Räume gestalten. Es ist kein Zufall, dass Le Corbusier 1928 den damals brandneuen Mercedes Benz Typ 8/38 PS-Roadster vor seinem Haus in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart ablichten ließ oder die damaligen Überseedampfer als Metapher für seine Wohnmaschinen heranzog.
Neuerungen auf dem Gebiet der Mobilität wirken darüber hinaus direkt auf das Bauen. So wurden mit dem Aufstieg des Autos nicht nur neue Straßenbauten wie Autobahnbrücken und Unterführungen notwendig. Es entstanden auch neue Typologien wie Parkhäuser, Tankstellen, Drive-in Diner und Autokinos. Architekt:innen nahmen sich begeistert dieser neuen Aufgaben an. Sie entwickelten neue, passende Formensprachen und nutzten neue Technologien und Materialien, um diese umzusetzen. Das bekannte Repertoire der Moderne – viel Beton, Stahl und Glas – wurde hier zuerst und ohne die bei anderen Bauaufgaben zwingendere Berücksichtigung traditioneller Bauformen und Techniken eingesetzt. Infrastruktur- und Mobilitätsbauten wurden zum Experimentierfeld der Moderne. Eine neue Mobilität erzeugte eine neue Architektur.
Auch heute tut sich (wieder) etwas in der Mobilität. Nach Jahrzehnten einer kapazitätsorientierten Autozentrizität treten Alternativen zum motorisierten Individualverkehr und die Frage der räumlichen Qualitäten zunehmend in den Vordergrund. Gerade für den öffentlichen Verkehr und die aktive Mobilität (Zufußgehen und Radfahren) werden verstärkt attraktive Räume gebaut.
Ab und zu entstehen sogar neue, auch gestalterisch spannende Typologien wie der „Woonerf“, ein in den Niederlanden in den 1970er Jahren entwickeltes Konzept für verkehrsberuhigte Straßen in Wohngebieten mit einer besonderen räumlichen Gestaltung. Ein neuer Wegetypus ist der Radschnellweg, der seit den 2000er Jahren in den Niederlanden und Dänemark Fahrt aufnahm: eine Art Super-Radweg für schnelleres, hindernisfreies Vorankommen mit dem Fahrrad.
Gerade beim Bauen für den wachsenden Radverkehr treten einige Parallelen zum einstmaligen Bauen für den Autoverkehr in Erscheinung: In vielen Städten entstehen neue, oft spektakuläre Radverkehrsbrücken und Tunnel, mehrgeschossige, manchmal sogar unterirdische Fahrradgaragen mit 30.000 Stellplätzen wie in Utrecht und natürlich die teils aufgeständerten Cyclesuperhighways wie in Kopenhagen. Ganz neu sind diese aber nicht, wie der California Cycleway aus dem Jahr 1900 zeigt: eine Roller-Coaster-artige Konstruktion aus Holz, die von Pasadena nach Los Angeles führte und auf der Radfahrende gegen eine Gebühr das damals brandneue „Safety Bicycle“, das moderne Fahrrad in seiner heutigen Form, nutzen konnten. Der Cycleway war zum Schutz vor streunenden Hunden und Autos, die den Radfahrenden in die Quere hätten kommen können, über dem Straßenraum angelegt. Dass die Radfahrer:innen damit (wie Autos auf der Autobahn) in ihr eigenes Reservat verbannt wurden, ohne Möglichkeit zum direkten Kontakt und Austausch mit ihrer räumlichen und sozialen Umgebung, wurde übersehen. Nicht nur, aber auch wegen dieses modernistischen Irrwegs – die strikte Trennung von Funktionen und Verkehrsströmen – war der California Cycleway zum Scheitern verurteilt. Er wurde schon nach wenigen Jahren wieder abgebaut, als Bauholz verkauft und wiederverwertet.
Von diesem historischen Beispiel können wir eines lernen: Heutige Mobilitätsräume können nicht mehr losgelöst von ihrem räumlichen und gesellschaftlichen Kontext entwickelt werden. Sie sind wesentliche, visuell und räumlich prägende Teile unserer Städte, Dörfer und Landschaften. Ob wir an dieser neuen Mobilität und den dadurch entstehenden Räumen weiterhin in Beton und Stahl, in Holz oder einem ganz anderen Material bauen, ist zunächst nicht die entscheidende Frage. Es kommt erst einmal grundsätzlich auf die Konzeption dieser Mobilitätsräume 2.0 an: Sehen wir Räume der Mobilität als integralen Teil unseres öffentlichen Raumes oder als Nicht-Orte ohne Verweilqualität, von denen wir nur so schnell wie möglich wieder weg- oder einfach woanders hinwollen?
Vor allem bei Orten des öffentlichen Verkehrs gilt heute ein erhöhter Anspruch an räumliche und gestalterische Qualität – gehören doch zu den größten Hemmnissen der Mobilitätswende die Gewohnheit und der Komfort. Gerade die (nicht vorhandene) Qualität des Wartens und Umsteigens, also des Transits, ist ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder eben doch lieber das (eigene) Auto. Neben einem attraktiven Angebot an verschiedenen Funktionen und Serviceleistungen ist die gute Gestaltung von Busterminals, Bahnhöfen, Straßenbahnhaltestellen und mit diesen vernetzten Fuß- und Radwegen essenziell. Attraktive Mobility Hubs, Vorplätze, grüne Boulevards oder gut gestaltete Fuß- und Radverkehrsbrücken können einen entscheidenden Beitrag zur Änderung des Mobilitätsverhaltens leisten.
Folgt aus der Mobilitätswende auch eine Bau- oder gar eine Materialwende? Nun, die systemischen Vorteile des Bauens mit Holz, wie Nachhaltigkeit, CO2-Speicherung und bessere Adaptier- und Wiederverwendbarkeit, sind evident und nicht nur auf Infrastruktur- und Mobilitätsbauten beschränkt. Mehr Holzbauten im Mobilitätssektor sind unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls wünschenswert. Aber gerade auch die haptischen, sinnlichen Qualitäten des Baustoffs Holz haben das Potenzial, der Mobilität von morgen und ihren Räumen ein anderes „Look and Feel“ zu geben. Auch darauf wird es ankommen, denn beim Thema Mobilität entscheiden wir ja bekanntlich nicht immer rational.