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Höhenflug und geglückte Landung
Berghütte am Plateau de Saleinaz

Die extremen Windkräfte der exponierten Lage bestimmen die Gestaltung der Berghütte. Mit einer Fassade aus wettbeständiger Lärche und minimierter Profilierung, bietet sie Stürmen kaum Angriffsmöglichkeiten.

erschienen in
Zuschnitt 5 Holz zu Gast, März - Juni 2002
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Der Neubau der Cabane de Saleinaz (cabane ist das französische Wort für Hütte) sitzt wie die Konstruktion aus dem Jahr 1893, die sie ersetzt, auf einer Felsnase hoch über dem Val Ferret. Sie bietet fünfzig Alpinisten eine einfache, zweckmäßige Unterkunft. Das Programm umfasst neben Aufenthalts- und Schlafräumen eine professionelle Küche und einen abgetrennten Bereich für den Hüttenwart, wobei auch ein reduzierter Betrieb ohne Wartung möglich ist.

Die Architektur der neuen Hütte nimmt bewusst Themen des Altbaus in zeitgemäßer Weise wieder auf. Die extremen Windkräfte der exponierten Lage bestimmen den Ausdruck des Hauses. Optimal in die Windrichtung gedreht, bietet es mit seiner minimierten Profilierung den Stürmen kaum Angriffsmöglichkeiten. Besonders mit geschlossenen Fensterläden wirkt es wie ein abstrakter Körper, der, ähnlich einem Holzklötzchen in einem Baumassemodell, eher ein Symbol für ein Haus als ein wirkliches Gebäude zu sein scheint. Seine reine Geometrie steht als ein Zeichen menschlicher Präsenz in Kontrast zur gestaltund maßlosen Natur.

Ist das Haus dagegen bewohnt, öffnet es sich und verliert seine Härte

. Die freie Anordnung der Fenster folgt streng den Innenräumen und spiegelt gleichzeitig die moderne Technologie des Holzbaus wider. Dabei wurden die Elemente in der Werkstatt inklusive innerer und äußerer Verkleidung und der Fenster im Tal vorfabriziert. Die Länge der Zimmerei reichte gerade aus, die Längsfassaden von fast 20m auszulegen und als Ganzes vorzufertigen. Sie wurden dann wieder in Einzelteile, optimiert nach Gewicht und Fläche für den Helikopter, zerlegt. Ihre Struktur besteht aus einem Fachwerk

, das durch eine innenliegende Beplankung aus Tannen-Dreischichtplatten ausgesteift wird. Um größtmögliche Stabilität zu erreichen, sind die geschoßhohen Tafeln analog zu Mauersteinen im Verbund gesetzt. Anders als im traditionellen Holzständerbau sind damit die Fassaden von einem dominierenden Raster befreit, was in der freien Fassadengestaltung zum Ausdruck kommt. Die horizontalen Kräfte werden durch Holzzapfen übertragen. Zusätzlich verankern durchgehende Gewindestangen aus Chromstahl die ganze Struktur mit dem Fundament und sichern die relativ leichte Konstruktion zusätzlich gegen die Stürme.

Während sich die vertikalen Elementfugen in der Hülle aus wetterbeständigem Lärchenholz nicht abzeichnen, zeigt eine horizontale Überschuppung der Brett

den zweigeschoßigen Aufbau. Die kubische Erscheinung des Körpers wird nur so weit durchgesetzt, als sie nicht mit den Bedingungen des Ortes in Konflikt tritt. Genau dies wäre jedoch bei einer ungeschützten Horizontalfuge oder dem Verzicht auf Präfabrikation der Außenhaut der Fall. Mit der gewählten Bauweise konnte der Holzbau nach den Vorarbeiten für den Betonsockel in nur dreieinhalb Tagen montiert werden - ein entscheidender Vorteil bei den extremen Witterungsbedingungen der Baustelle. Ohne spektakulär zu sein, ist die neue Hütte oberhalb des Saleinaz-Gletschers mit ihrer Thematisierung der Tradition, der spezifischen Bedingung des Ortes, der Materialien und des Fertigungsprozesses ein exemplarischer Beitrag zur aktuellen Schweizer Architektur, gerade weil keiner dieser Aspekte vordergründig dominiert, sondern alle in eine kohärente Gestaltung integriert sind.

Arbeitsbericht der Architekten

Für uns war dieser Bau und vor allem diese Baustelle eine unglaublich faszinierende Erfahrung. Wir übernahmen auch die Bauführung und mit den Unternehmern, großteils Familienbetriebe aus dem Tal, war es möglich, nur einmal wöchentlich eine Bausitzung einzuberufen. Wir stiegen meist am Wochenende den steilen Pfad zum Saleinaz auf und konnten in Ruhe die Baustelle inspizieren und allfällige Kontrollen durchführen. Am Montag wurden die Arbeiter hochgeflogen und die neue Arbeitswoche konnte mit einem gemeinsamen Rundgang begonnen werden. Die Zimmermanns- und Schreinerarbeiten begannen zur selben Zeit wie die Baumeisterarbeiten vor Ort. Auf der Rückfahrt konnten wir also jeden Montag auch in den Werkstätten vorbeisehen und mit den Unternehmern etwa die Details an den 1 : 1 Fassaden besprechen.

Die Montage des Holzbaus gehörte zu den spannendsten Phasen, da Wetter und Zeit sich gegenseitig jagten. Der Holzbau - Fassaden und Decken - wurde innerhalb von dreieinhalb Tagen gesetzt und das bei immer wieder einfallendem Nebel. Die gesamte Bauzeit inklusive Innenausbau dauerte von Anfang Juli bis Ende September. Während des Winters wurde die neue Hütte verschlossen und die alte diente als Winterquartier. Im darauffolgenden Juni wurde das Finish des Innenausbaus vorgenommen, die alte Hütte abgebrochen und die neue im Juli eröffnet.

Architekten
Brigitte Widmer und Stéphane de Montmollin

Bauherrschaft
Schweizerischer Alpenclub, Sektion Neuenburg S.A.C.

Standort
Wallis, Schweiz,
2.691m ü. M.

Fertigstellung
1997

Brigitte Widmer
1983 - 89 Architekturstudium an der ETH Zürich.
1994 - 98 Assistentin an der ETH Zürich. 2000 Entwurfs - Workshop an der Technischen Universität München.
1999 Anerkennung Internationaler Preis für neues Bauen in den Alpen für die Berghütte am Plateau de Saleinaz. Seit 2002 freischaffende Architektin und Bürogemeinschaft mit Stéphane de Montmollin in Basel.

Stéphane de Montmollin
1975 - 82 Architekturstudium an der EPF Lausanne. Anschließend zwei Jahre Praktikum in Béchar, Algerien.
1986, 1993 - 95 und
1998 - 99 Assistent an der EPF Lausanne.
Seit 2002 freischaffender Architekt.


verfasst von

Martin Tschanz

  • Studium an der ETH Zürich, Diplom 1990
  • Lehrtätigkeit an der Fachhochschule Ostschweiz in Chur und an der ETH Zürich
  • Publizistische Tätigkeit und Forschung zu Architektur und Architekturgeschichte
    mit Schwerpunkt Schweiz

Erschienen in

Zuschnitt 5
Holz zu Gast

Es gibt sie, die Bauten für Gäste, die beweisen, dass touristische Begehrlichkeiten nicht mit falscher Heimeligkeit, sinnentleerter Symbolik und billigen Repliken erfüllt werden müssen. Mit »Zeitgemäßer Architektur im Tiroler Stil« und künstlicher »Dorfplatzidylle« herrscht dennoch immer noch mehr Schein als Sein. Umso wichtiger sind jene, die versuchen, diese Front zu durchbrechen und zu einer Architektur – auch in Holz – zu stehen, die in heutiger Sprache auf das Besondere von Orten antwortet, dabei auf Traditionen, Erinnerungen und Sehnsüchte eingeht. Bewahren heißt nicht konservieren, sondern das Erhaltenswerte weiterentwickeln.

8,00 €

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Zuschnitt 5 - Holz zu Gast