Unsere frühen Vorfahren hatten es leicht. Bei Entwurf und Bau ihrer Versammlungsstätten war der Baum Maß aller Dinge. Die Tragfähigkeit und Abmessung des Holzes bestimmte auch die Spannweite. Heute scheint es schwer zu sein, überhaupt Grenzen zu finden. So entstand in jüngster Zeit eine beachtliche Zahl sehr großer stützenfreier Hallen in Holz, vor allem Sportarenen in den USA und Japan, die immer weiter in neue Dimensionen vorstoßen.
Das Bestreben, für die Ansammlung von Menschenmassen angemessene Räumlichkeiten zu schaffen, hat mit der Möglichkeit, Tragwerke zu berechnen, durch neue Materialien ein weitgefächertes Anwendungsspektrum erhalten. In der Folge löste sich das Schwere der massiven Kuppeln oder Gewölbe auf in Konstruktionen, die leicht und gebrechlich erscheinen. Licht kann nun die Grenzen von Raum und Hülle verwischen. Es werden Räume geschaffen, die mit ungewöhnlicher Größe und Volumen neue Maßstäbe setzen. Es wird soviel Luft umbaut, dass einem dieselbe beim Betreten wegbleibt. Das große Volumen ist im doppelten Sinn nicht »begreifbar«. Zum einen ist das Dach, die Hülle, zu weit entrückt, um sie berühren oder begehen zu können. Es wird eine eigene Hemisphäre geschaffen. Zum anderen ist die Funktionsweise des Tragwerkes für den Laien nicht immer verständlich und daher kaum vertrauensbildend.
Die Dachkonstruktion ist bei Hallen mit großen Spannweiten direkter als bei anderen Bauten prägend für Form und Funktionen mit all ihren Wechselwirkungen.
Wie bei einem Weitsprung ist bei der Überwindung der Gravitation von einem Auflager zum anderen Kraft und Leichtigkeit erforderlich. Die Eigenlast wird zum wichtigsten Kriterium, je größer die Spannweite ist. Hierbei bemisst sich eine leichte Konstruktion durch das Verhältnis des Eigengewichtes zu der von ihr getragenen Nutzlast. Jede intelligent und verantwortungsbewusst entworfene Tragkonstruktion will so leicht wie möglich sein. Das Leichte ist aber schwer, weil es die Grenzen der Theorie, Technik und Fertigung auslotet. Gut Konstruieren heißt, Verhältnisse schaffen, in denen die Tragwerke in ihrer günstigsten Form und Struktur, und die Materialien mit ihren besten Eigenschaften eingesetzt werden. Wissen, Erfahrung und Intuition sind notwendig, damit eine vollkommene Konstruktion entsteht.
Dabei ist bemerkenswert, wie groß die Vielfalt der Konstruktionssysteme auch bei extremen Spannweiten ist. Es gibt nicht »das optimale Tragwerk«, das bei zunehmender Spannweite zwangsläufig entsteht. Unterschieden werden kann zwischen Tragsystemen, die überwiegend biegemoment-, druck- oder zugbeansprucht sind.
Biegebeanspruchte Tragwerke
Der einfache Biegebalken aus Holz, Stahl oder Beton, also monolithische und massive Tragwerke, die ihre Lasten und ihr Eigengewicht über Biegung abtragen, sind ungeeignet für extreme Spannweiten. Die Auflösung in Druck- und Zugelemente führt zu wesentlich leichteren Konstruktionen, wie z.B. dem unterspannten Träger oder dem Fachwerkträger. Da die einzelnen Stäbe nur Normalkräfte, also Druck oder Zug aufweisen, können sie entsprechend den Materialeigenschaften optimiert werden. Dazu kann ein maximierter Abstand zwischen den Zug- und Druckelementen Kräfte und somit den Materialaufwand minimieren.
Beim Pavillon der Utopie auf der Expo 98 in Lissabon von Regino Cruz und SOM werden Fachwerkträger, deren Tragsysteme zwischen Bogen und Rahmen liegen, linear addiert. Die verschieden großen Träger über einem ovalen Grundriss spannen bis zu 115m.
Mit Fachwerkträgern ließen sich noch weit größere Strecken überbrücken. Da jedoch die Beanspruchung in der Mitte immer am größten ist, wird dort mit zunehmenden Abständen der Auflager eine immer größere Tragwerkshöhe erforderlich, was für den umschlossenen Raum von Nachteil sein kann.
Die Auflösung einer Platte, somit eine Tragwirkung in zwei Richtungen, lässt sich über Trägerroste und Raumfachwerke erzielen. Der Oguni Dome in Japan vom Yoh Design Office zeigt dies auf sehr leichte Weise.
Druckbeanspruchte Tragwerke
Bogensysteme und Kuppeln nutzen die gesamte Raumhöhe statisch. Die Lasten werden über Druckkraft in der Bogenachse abgetragen. Dies ist ideal für die Verwendung von Materialien ohne große Zugfestigkeit. Hier kann Holz seine Stärken ausspielen. Druckbeanspruchte Bereiche sind aber knickgefährdet, so dass die Querschnitte und seitlichen Stabilisierungen angepasst werden müssen. Schon 1966 erreichte der Dreigelenkbogen der Messehalle in Klagenfurt von O. Loider aus Wien beachtliche 96m.
Die für sehr große Spannweiten notwendige Reduzierung des Eigengewichtes wird erreicht durch die Verwendung von leichteren Materialien und wiederum durch die Auflösung des Bogens in einen Fachwerkbogen oder die der Kuppel in ein räumliches Fachwerk. Der Odate-Dome in Japan (1992) von Toyo Ito entwickelt sein Tragwerk aus Zedernholz-Fachwerkbögen, die sich zur Seite hin neigen und mittels senkrecht dazu verlaufenden Holzbögen stabilisiert werden. Der Stahl wird nur zur Aussteifung benutzt. Die Ausbildung der Hülle mit einer Membran unterstützt die Leichtigkeit dieser Baseball-Arena.
Die 178m weit gespannte Holzkonstruktion lagert auf einem abgesetzten Stahlbetonring und zeigt eine ausnehmend klare Gesamtform.
Bei der Arena Nova in Wien (1995) von Wolfgang Brunbauer , werden mittels einer als Raumfachwerk aufgelösten Tonnenschale 63m überspannt. Die Profile sind hier alle konsequent aus Brettschichtholz. Eine geschlossene Deckung mindert leider die ursprünglich transparente Wirkung.
Eine andere Art der kleinteiligen Auflösung einer Tonnenschale schlug schon 1910 Herr Zollinger mit der nach ihm benannten Lamellenbauweise vor.
Die neuen Messehallen in Rimini (2001), Rostock und Friedrichshafen (2002) von Gerkan, Marg und Partner nehmen die Art der Lamellendächer – rhombenförmige Maschen mit gleichen kurzen Brettschichtholzrippen – wieder auf, mit Spannweiten von 60 – 65m.
Bei Dachformen, die eine doppelte Krümmung aufweisen, wie bei einer Kuppel, liegt es nahe, die Schalenwirkung auszunutzen. Dazu müssen die Bögen untereinander durch Verstrebungen oder Kreuze schubsteif verbunden werden. Die dadurch entstehende Stabwerksschale ist stabiler gegen Knicken und steifer gegenüber ungleichen Lasten als Einzelbögen und kann deshalb wiederum wesentlich leichter sein. Entsprechend bildet der Izumo Dome in Japan (1992) seine Kuppelgeometrie mit radialen Holzbögen bei einem Durchmesser von 143m. Die schubsteife Ausbildung zur Kuppel wird ausschließlich von Stahlprofilen übernommen. Die Hülle muss nicht mittragen und kann somit leicht und transparent ausfallen. Die Strukturierung der Kuppelfläche ist auf verschiedene Weise möglich. Meist sind Holzkuppeln aus dreiläufigen Stabnetzwerken – durch die Unterteilung der Kalottenfläche in gleichseitige Dreiecke – gebaut.
Der Tacoma Dome in Washington – USA (1982) ist mit einem Durchmesser von 162m bei einer Scheitelhöhe von 48m die größte Holzkuppel der Welt. Heute können Holzkuppeln so groß wie Beton- und Stahlkonstruktionen sein, mit einem Durchmesser bis 200m.
Zugbeanspruchte Tragwerke
Zeigen Bogen- oder Kuppelformen sehr große Querschnitte und entsprechende Hallenvolumen, können Hängedachkonstruktionen die Konditionen des umbauten Raumes besser optimieren. Bei Belastung auf Zug können die Materialquerschnitte auf der gesamten Länge gleich bleiben.
Schon 1964 begeisterte die Festhalle der Expo in Lausanne mit ihrem Hängedach aus Sperrholzbändern an einem 87m weit gespannten Holzbogen. Neue Beispiele, wie das Dach des Werkhofs in Hohenems (siehe Zuschnitt 6) oder die Nagano Olympic Speed Skating Arena (1998), die 70m mit einem Verbund aus Stahlplatten und Lärchenholzlamellen überspannt, zeigen neue Möglichkeiten von Struktur und Material auf.
Da überwiegend zugbeanspruchte Konstruktionen geringste Eigengewichte aufweisen, sind die größten Spannweiten auch mit Konstruktionen verwirklicht, die dem Prinzip des Speichenrades nahe kommen, d.h. die Horizontalkräfte einer Seilkonstruktion werden über einen massiven Druckring kurzgeschlossen. So hat der Georgia Dome in Atlanta mit 240m eines der weitgespanntesten Dachtragwerke. Folglich bedeutet es, dass ein Tragwerk um so leichter ist, je mehr Elemente zugbeansprucht und je weniger druckbeansprucht sind.
Zusammen geht besser
Die optimierte Umsetzung von Tragkonstruktionen zeigt sehr wohl, dass es in vielerlei Hinsicht lohnenswert ist, unterschiedliche Elemente mit dem jeweils entsprechenden Material und seinen spezifischen Eigenschaften einzusetzen. Synergie bedeutet ein Zusammenwirken verschiedener Kräfte zu einer gesamtheitlichen Leistung. Hier gilt derselbe Grundsatz wie bei der Arbeit von allen Planungsbeteiligten: Allein ist es schwer, zusammen geht es leichter.