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Zuschnitt 7
Leicht und Schwer


Unsere visuelle Wahrnehmung lässt Holz in seiner Anwendung einmal leicht und ein andermal schwer erscheinen – abhängig von Faktoren wie Maßstäblichkeit, Lichteinfall, Farbe, Grad der Offen- oder Geschlossenheit, Kontrastwirkung oder Erwartungshaltung. Zuschnitt unternimmt den Versuch, der vielschichtigen Wahrnehmung nachzuspüren.

Format DIN A4
Seiten 28
Ausgabe September 2002 - Dezember 2003
Vergriffen!

Editorial

Es war schnell hingesagt: Leicht und Schwer als Thema für das vorliegende Heft. Nur: Was ist leicht im Holzbau, was ist schwer? Oder: Ist Holzbau immer Leichtbau?  

Früher war alles ganz einfach oder – ganz leicht. Holzbau war Leichtbau, weil Holz ein Material mit vergleichsweise geringem spezifischen Gewicht ist. Nicht erst seit der Entwicklung der Holzmassivbauweise in Platten (siehe Zuschnitt 6, Brettsperrholz) muss diese Definition relativiert und differenziert werden. Hallenkonstruktionen in Holz mit weitgespannten Dächern und hohen dynamischen Lastannahmen, etwa bei Schneelasten im alpinen Raum, wirken nur dann nicht schwer, wenn massive Träger gekonnt in Fachwerkträger oder räumliche Tragwerke aufgelöst werden. Tatsächlich benötigen diese oft einen erheblichen Anteil an Stahl für Knoten und Aussteifung. In so mancher Dachkonstruktion soll der (versteckte) Stahlanteil das Gewicht der Holzkonstruktion übertreffen. 

Grundsätzlich gilt für die Wahl einer Konstruktion, herauszufinden, wieviel Materie – und damit Gewicht – erforderlich, sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar ist, um ihre Funktion und Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Immer schon ging es dem Konstrukteur darum, ein Tragwerk zwischen »gefährlich leicht« und »unnötig schwer« auszuloten. Und Holz erwies sich beim Versuch, Gewicht zu minimieren, als geeignetes Material. Genau deshalb wurde in den Dreißigerjahren nicht nur im Segelflug die amerikanische Neuentwicklung Sperrholz sofort eingesetzt, um formschöne, elegante und vor allem leichte Flugzeuge zu konstruieren. Die schnittige de Havilland Albatross, ein Verkehrsflugzeug mit vier 525 PS-Motoren, war mit einem geschichteten Rumpf aus Zedernholz und einem Kern aus Balsa komplett aus Holz.  

Etwa zur selben Zeit suchte die Moderne, durch Ausmagerung des Tragwerks und durch Dematerialisierung der Baustoffe, leicht zu bauen. Dem überkommenen, tradierten Modell des schweren Bauens als Ausdruck von Macht und Repräsentation sollte eine neue Ethik, ein neuer Weltentwurf entgegengesetzt werden. Leichtigkeit und Transparenz als architektonische Mittel stellten diese Absicht dar. 

John Rajchman, der amerikanischer Philosoph und Kunsttheoretiker erhofft sich eine neue »leichte« Erde mit einem Konzept, das »selbst die schwersten Materialien bewegt und die zartesten Transparenzen langsam und schwer werden lässt« und er fragt: »Können wir von leichten Materialitäten sprechen und von schweren Transparenzen?«    

Ebenso muss einer differenzierten Betrachtung des Holzbaus eine Neubestimmung von leicht und schwer, von statisch und dynamisch folgen. Was bei Rajchman theoretischer Diskurs bleibt, ist am Beispiel der in diesem Heft vorgestellten »Dynamischen Brücke«, dem Ergebnis einer Entwurfsarbeit von Architekturstudenten unter Betreuung von Prof. Wolfdietrich Ziesel, intelligent umgesetzt. Der Fußgängersteg reagiert aktiv auf Belastung und nützt die einwirkenden Kräfte zur Erzeugung von Gegenkräften, die das Tragwerk stabilisieren. Was bedeutet, dass solch ein dynamisches System eine Minimierung der Querschnitte – also Leichtigkeit der Konstruktion – möglich macht. 

Allerdings: Die Wahrnehmung von Holzkonstruktionen als leicht oder schwer hängt auch vom Kontext ab, in dem sie stehen – von Faktoren wie Maßstäblichkeit, Lichteinfall, Farbe, Grad der Offen- oder Geschlossenheit, der Relation zu anderen Materialien oder der Erwartungshaltung des Betrachters.  

Ein an sich schweres, massives Dachtragwerk mit einer weiten Auskragung, wie jenes am Einkaufszentrum Lustenau von Marques + Zurkirchen, wird durch eine vollflächige Ummantelung mit transparenten Kunststoffplatten abstrahiert und wirkt dadurch leicht. Andererseits kann das Schwere gewollter optischer Effekt sein, wie im neuen Foyer der Schweizer Rückversicherung in Zürich. Schwere Holzleimbinder geben dort den großen vertikalen Glasflächen Halt und evozieren das visuelle Spiel zwischen Schwere und Leichtigkeit im Raum.  

Eines lässt sich sagen: Leicht im Sinn von einfach ist es nicht, eine Zuordnung des Holzbaus zu leicht oder schwer vorzunehmen. Doch braucht es Kategorisierungen? Man schaue und erlebe und lasse auf sich wirken – und finde das Leichte oder das Schwere jedesmal von neuem für sich selbst.

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