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Schrauben - Innovative Verbindungen mit Potenzial

Im modernen Holzbau werden zunehmend Verbindungen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln entweder als Holz-Holz-Verbindungen oder als Verbindungen mit Stahlblechformteilen verwendet.

erschienen in
Zuschnitt 11 Rein ins Holz - Schraube oder Nagel, Oktober - November 2003
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Schrauben - Innovative Verbindungen mit Potenzial

Traditionelle Holzverbindungen wurden wegen ihrer hohen Herstellungskosten sowie der eingeschränkten Leistungsfähigkeit im modernen Holzbau nach und nach durch Verbindungen mit mechanischen Verbindungsmitteln verdrängt, mit denen einzelne Holzbauteile kraftschlüssig miteinander verbunden werden. Zu diesen Anschlüssen zählen Verbindungen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln (Nägel, Dübel, Bolzen, etc.) entweder als Holz-Holz-Verbindungen oder als Verbindungen mit Stahlblechformteilen (Balkenschuhe, Integralverbinder, etc.). Verbindungen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln, die meist auf Abscheren, d.h. rechtwinklig zur Verbindungsmittelachse beansprucht werden, sind in der Produktion relativ preiswert und können im Gegensatz zu geklebten Verbindungen von jedem Holzbaubetrieb hergestellt werden. 

Allerdings benötigen diese Verbindungen große Anschlussflächen, um die Lasten zwischen den anzuschließenden Bauteilen übertragen zu können. Dies führt aufgrund der notwendigen Mindestabstände der Verbindungsmittel im Holz zu Bauteilabmessungen, die größer sind als der Bauteil selbst. Die Tragfähigkeit bzw. Steifigkeit einer Holzkonstruktion wird daher weniger durch die Tragfähigkeit der Holzbauteile als vielmehr durch die Tragfähigkeit bzw. die Steifigkeit der Verbindungen zwischen den Bauteilen bestimmt. Die Bauteile sind durch die im Anschlussbereich erforderlichen Querschnittsmaße oft überdimensioniert. Daher können auch vergleichsweise preiswerte Verbindungen mit stiftförmigen Verbindungsmitteln zu hohen Materialkosten einer Holzkonstruktion führen. Für tragende Holzverbindungen stehen zwei unterschiedliche Arten von Holzschrauben zur Verfügung: Genormte Holzschrauben, z.B. nach din 96, din 97 oder din 571, die alle eine Gewindeform nach din 7998 aufweisen und in vorgebohrte Löcher eingedreht werden und bauaufsichtlich zugelassene Holzschrauben, die ohne Vorbohren eingeschraubt werden. Die genormten Holzschrauben weisen unter dem Kopf einen glatten Schaftteil auf, der Gewindeaußendurchmesser entspricht in der Regel dem Schaftdurchmesser, der auch der Nenndurchmesser ist. Die Fließmomente des Schaftes bzw. des Gewindes weisen deutlich unterschiedliche Werte auf. Der Durchmesser der Schrauben nach din 571 liegt zwischen 8mm und 20mm, für Senkkopfschrauben oder Halbrundkopfschrauben zwischen 4mm und 8mm. Der Kerndurchmesser beträgt in der Regel 70% des Außendurchmessers. Selbstbohrende Holzschrauben werden im Gegensatz zu den genormten Holzschrauben nach dem Formen des Gewindes gehärtet, um höhere Werte des Fließmomentes, der Zugtragfähigkeit sowie der Torsionstragfähigkeit zu erreichen. Es sind Durchmesser bis zu 12mm und Längen bis zu 600mm verfügbar. Werden diese Schrauben mit durchgehendem Gewinde, d.h. ohne glatten Schaft unter dem Schraubenkopf hergestellt, lassen sich damit völlig neue Anwendungsgebiete erschließen. Dies betrifft sowohl Holzverbindungen mit mechanischen Verbindungsmitteln als auch Verstärkungen des Holzes quer zur Faser. 
Zur Steigerung der Effizienz wurden neue Anschlüsse und Verbindungen mit geneigt angeordneten Vollgewindeschrauben entwickelt. Der Grundbaustein dieser neuen Anschluss- und Verbindungssysteme wurde auf Anregung des Lehrstuhls für Ingenieurholzbau und Baukonstruktionen der Universität Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelt. Die zweite Entwicklungsstufe - neue Systeme in den Anschlussbereichen von Holzkonstruktionen mit Hilfe von Vollgewindeschrauben - wurde vom Lehrstuhl erarbeitet. Nachfolgend werden Konstruktionsdetails für diese neuen Systeme gezeigt sowie Vergleiche zu konventionellen Systemen dargestellt. 

Selbstbohrende Vollgewindeschrauben können wie die anderen stiftförmigen Verbindungsmittel rechtwinklig zu ihrer Achse auf Abscheren beansprucht werden. Der Vorteil dieser Schrauben gegenüber anderen stiftförmigen Verbindungsmitteln liegt jedoch in der hohen Tragfähigkeit sowie der hohen Steifigkeit bei einer Beanspruchung auf Herausziehen aus dem Holz bzw. Hineindrücken in das Holz. Die Übertragung dieser hohen axialen Kräfte zwischen Schraube und Holz in einer Verbindung wird durch das durchgehende Schraubengewinde gewährleistet.

Bei den neuen Anschlüssen und Verbindungen werden selbstbohrende Vollgewindeschrauben als Verbindungsmittel so angeordnet, dass die hohe axiale Tragfähigkeit der Schrauben wirksam ausgenutzt werden kann. Dies wird dadurch erreicht, indem die Vollgewindeschrauben in der Regel schräg zur Faserrichtung in Richtung der Beanspruchung in die zu verbindenden Bauteile eingedreht werden. Nachfolgend sind Beispiele von Verbindungen mit geneigt angeordneten Vollgewindeschrauben dargestellt. In Abb. 4 sind zwei Anschlüsse zur Übertragung von Zugkräften dargestellt. Links wird ein Zugstab mit Hilfe von gekreuzt angeordneten Vollgewindeschrauben an einen Balken angeschlossen. Rechts ist ein Fachwerkknoten mit einer einfachen Verschraubung der Diagonalstäbe dargestellt. In beiden Fällen werden die Vollgewindeschrauben vorwiegend auf Herausziehen bzw. Hineindrücken beansprucht.

Durch eine geneigte Anordnung in den zu verbindenden Bauteilen können selbstbohrende Vollgewindeschrauben auch Querkräfte bzw. Kräfte parallel zur Fuge übertragen. Bei der Übertragung von Kräften parallel zur Fuge (z.B. Querkräfte) sind grundsätzlich zwei Fälle zu unterscheiden: Verbindungen mit ausschließlich parallel angeordneten Schrauben (Abb. 5) und Verbindungen, bei denen zwei unterschiedliche Neigungen der Schrauben auftreten. Im letzteren Fall sind die Schrauben in der Regel gekreuzt oder abwechselnd geneigt (Abb. 6). Bei Verbindungen mit ausschließlich parallel angeordneten Schrauben wird die Zugkraftkomponente der Schraube zugewiesen. Die Zugkraft in der Schraube verursacht eine Druckkraft in der Fuge zwischen den beiden Bauteilen. Diese Druckkraft bewirkt eine günstig wirkende Haftkraft. Daher eignen sich Anschlüsse und Verbindungen mit geneigt angeordneten Vollgewindeschrauben sehr gut zur Übertragung von Kräften parallel zur Fuge. Bei Verbindungen mit gekreuzt angeordneten Schrauben entsteht keine Druckkraft in der Fuge zwischen den Bauteilen. In Abhängigkeit von der Beanspruchungsrichtung der Querkraft wird eine Schraube auf Herausziehen und die andere Schraube auf Hineindrücken beansprucht. Die axiale Tragfähigkeit auf Herausziehen beanspruchter Schrauben wird als gleich groß wie die Tragfähigkeit gegen Hineindrücken angenommen. Daher eignen sich Verbindungen mit unterschiedlich geneigt angeordneten Vollgewindeschrauben ebenfalls zur Übertragung von Kräften parallel zur Fuge. Mit geneigt angeordneten Vollgewindeschrauben in den zu verbindenden Bauteilen können auch biegesteife Anschlüsse und Verbindungen wirtschaftlich hergestellt werden.

In Abb. 7 ist eine biegesteife Rahmenecke, links ein biegesteifer Balkenstoß mit Vollgewindeschrauben dargestellt. Infolge der Biegebeanspruchung werden bei diesen Systemen die Vollgewindeschrauben entsprechend den bisher gezeigten Verbindungen ebenfalls vorwiegend auf Herausziehen beansprucht.
Die Druckkraftkomponente in der Fuge wird hierbei dem Holz bzw. den auf Hineindrücken beanspruchten Schrauben zugewiesen. Das Beispiel dieser acht vorgestellten Verbindungen zeigt den vielseitigen Einsatz von selbstbohrenden Vollgewindeschrauben zur Übertragung von Momenten, Normal- sowie Querkräften im Anschlussbereich. Zahlreiche weitere Anschluss- und Verbindungskonfigurationen im Holzbau sind mit Hilfe geneigt angeordneter Vollgewindeschrauben einfach und wirtschaftlich herzustellen. Die Vollgewindeschrauben werden dabei nur auf Herausziehen bzw. auf Hineindrücken beansprucht. In der Fuge kann das Holz Druckkräfte rechtwinklig zur Kontaktfläche aufnehmen. Da der Vollgewindeschraube nur axiale Zug- bzw. Druckkräfte zugewiesen werden, ist der axiale Ausziehwiderstand bzw. der Widerstand gegen Hineindrücken der Schraube in das Holz der einzige notwendige Parameter zur Bestimmung der Traglast von Verbindungen mit geneigt angeordneten Schrauben.

 


verfasst von

Hans Joachim Blaß

  • geboren 1955 in Dudweiler an der Saar (D)
  • 1974 – 80 Studium des Bauingenieurwesens an der Universität Karlsruhe
  • anschließend wissenschaftliche Tätigkeit an der Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine der Universität Karlsruhe, Abteilung Ingenieurholzbau und Baukonstruktion
  • 1987 Promotion zum Dr.-Ing. Forschungsaufenthalt in Vancouver, Kanada
  • 1991 – 95 Wissenschaftlicher Leiter der Gruppe Ingenieurholzbau des Zentrums für Holzforschung in Delft und Vorstand des Lehrstuhls für Holzkonstruktionen der TU Delft, Niederlande
  • seit 1995 Ordinarius für Ingenieurholzbau und Baukonstruktionen, Universität Karlsruhe

Ireneusz Bejtka

  • geboren 1972 in Bydgoszcz, Polen
  • 1994 – 2000 Studium des Bauingenieurwesens an der Universität Karlsruhe
  • seit Juli 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine der Universität Karlsruhe, Abteilung Ingenieurholzbau und Baukonstruktionen

Erschienen in

Zuschnitt 11
Rein ins Holz - Schraube oder Nagel

Ein nicht unwesentlicher Teil der Entwurfstätigkeit geht bei Holzbauten in die Bemessung und Ausbildung von Verbindungen – immerhin beeinflussen sie die Werkstatt und Montagekosten in nicht geringem Maße. Kenntnisse über Verbindungsmittel, ihre optimale Auswahl und richtige Anwendung sind mitentscheidend für Ästhetik, Wirtschaftlichkeit und Dauerhaftigkeit einer Lösung.

8,00 €

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