Hü oder hott oder Holz
Gregor hatte das Waldhaus angezündet, und Waldsamen auf die Stelle gestreut; die Ahornen, die Buchen, die Fichten und andere, die auf der Waldwiese standen, hatten zahlreiche Nachkommenschaft und überwuchsen die ganze Stelle, so dass wieder die tiefe jungfräuliche Wildnis entstand, wie sonst, und wie sie noch heute ist.
Gehen wir von einem Schlüsselwort aus, kommen wir dem Thema Holz möglicherweise etwas näher. Das Schlüsselwort heißt Ambivalenz. Holz ist ein Material, das tausende Zeugnisse einer Jahrhunderte zählenden Bautradition abgibt. Gleichzeitig gibt es beharrliche Bedenken, was die Dauerhaftigkeit und Brandsicherheit dieses Materials anbelangt. Auf der emotionalen Empfindungsebene ist die Situation vergleichbar: Auf der einen Seite stehen Behaglichkeit und Wärme, auf der anderen wird der Werkstoff oft naserümpfend als armselig und heimwerkpfuschig abgetan. Holz ist demnach alles andere als ein eindeutiger Faktor, es ist vielfältig und hat in seinem kulturellen Zuordnungsrahmen vielleicht sogar einen etwas diffusen und unbestimmten Charakter (der Kulturwissenschafter Klaus P. Hansen weist etwa auf den Umstand hin, dass es für die meines Erachtens in einem Kontext mit Holz stehende Bauernstube keine Entsprechung im angelsächsischen Sprachraum gibt).
Auch wenn sich der Begriff der Messlatte davon ableitet: Holz ist unermesslich und im positivistischen Koordinatensystem nur sehr schwer einordenbar. Seine Verwendungsgeschichte weist zurück auf eine Zeit davor, als durchaus unterschiedliche, wenn nicht gar gegensätzliche Eigenschaften mit einem Wort ausgedrückt werden konnten: das lateinische altus etwa heißt sowohl hoch als auch tief. Wahrscheinlich sind wir es einfach nicht mehr gewohnt, mit diesem Phänomen umzugehen, und denken nur noch in Hü- oder Hott-Kategorien. Holz spricht dagegen.
Einen alten Mann, wie einen Schemen, sah man noch öfter durch den Wald gehen, aber kein Mensch kann eine Zeit sagen, wo er noch ging, und eine, wo er nicht mehr ging.
Wir können nicht über Holz reden, ohne auch auf gewisse, oft überraschende Eigenschaften einzugehen. Dies soll nun keineswegs Wasser auf die Mühlen esoterischer Verklärungsrunden und obskurer fernöstlicher Wohlfühlkreise sein, sondern Hinweis auf weitere Qualitäten des Materials. So wird im bäuerlichen Umfeld immer wieder auf die Tatsache hingewiesen, dass Holz unter bestimmten Umständen schwer entflammbar ist. Der in einem alten, großteils aus Holz gebauten ehemaligen Bregenzerwälder Gasthof lebende Bildhauer und Beton-Künstler Hanno Metzler erzählt folgende Geschichte:
Als er das Haus übernommen hatte, war der Holzboden im oberen Stockwerk mit Hunderten Zigarettenkippen übersät. Der gebrechliche, bettlägrige Wirt hatte sie einfach bis zum Filter geraucht und dann aus dem Bett geworfen, ohne sie abzutöten. Der Boden war voller Brandmale. Auf seine Verwunderung hin, dass das Haus nicht schon längst abgebrannt war, hatten die alten Dorfbewohner eine einfache Erklärung: der alte Gasthof ist eben aus Holz.
Die Geschichte bleibt offen und nur eines steht fest:
Westlich liegen und schweigen die unermesslichen Wälder ...
(Zitate aus: Adalbert Stifter, Der Hochwald)