Wie brennt was? – Brandszenarien am Beispiel der Gebäudeaußenwand
Brandszenarien unter Realbrandbedingungen sind für Experten Grundlage zur Erforschung spezieller Wirkmechanismen im Brandfall. Am Beispiel von über 400 materialunabhängigen Naturbrandversuchen an der Fassade wurden Möglichkeiten zur Verhinderung der Brandweiterleitung im Rahmen anzusetzender Brandschutzziele aufgezeigt.
Die Ausbreitung eines Brandes an der Gebäudeaußenwand wird wesentlich durch Art und Intensität sowie den Ort des Entstehungsbrandes beeinflusst. Die Fassade kann durch drei Brandszenarien thermisch beansprucht werden:
- Brand eines benachbarten Gebäudes
- Brand außerhalb des Gebäudes, unmittelbar an der Fassade
- Brand innerhalb eines Gebäudes in einem an die Außenwand grenzenden Raum mit Öffnung
Aus realen Schadensfeuern und prüftechnischen Erfahrungen ist bekannt, dass dieses dritte Brandszenario die kritischste thermische Beanspruchung einer Fassade darstellt, so dass im Weiteren dieses Brandszenario ausführlicher dargestellt werden soll: Ein Brand in einem Raum mit Außenwand entwickelt sich generell in Abhängigkeit von Art und Anordnung der brennbaren Materialien, der »Brandlast«, sowie den gegebenen Ventilationsbedingungen. Die Brandbelastung entspricht der Wärmemenge sämtlicher in einem Raum anzurechnender, brennbarer Stoffe, bezogen auf die Grundfläche des Raumes, und ist als Summe der immobilen und mobilen Brandlasten stark abhängig von Art und Nutzung des jeweiligen Raumes. Als Orientierung können die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein angegebenen Durchschnittswerte von ca. 600 MJ/m² für Wohnungen und 800 - 1.000 MJ/m² für Büros gelten. Eigene Untersuchungen und die praktischen Erfahrungen beim Einrichten der Prüfräume zeigten, dass eine Brandlastdichte von 500 - 600 MJ/m² auch für Büros als hinreichend hoher Durchschnitts- und Orientierungswert angesehen werden kann.
Brandentwicklung in einem Raum
Nach der Zündung verläuft der Brand in der Phase des Entstehungsbrandes zunächst brandlastgesteuert, d.h. in der Raumluft ist mehr Sauerstoff vorhanden, als für eine stöchiometrische Verbrennung der Brandlast zu diesem Zeitpunkt benötigt wird. Wenn keine Frischluft in den Brandraum nachströmen kann, weil sämtliche Fenster und Türen geschlossen sind, steht nach kurzer Zeit nicht mehr genügend Sauerstoff für den Verbrennungsprozess zur Verfügung. Unter Sauer- stoffmangel verläuft der Brand ventilationsgesteuert. Das Feuer mit offenen Flammen geht in einen Schwel- bzw. Glimmbrand über, der im günstigsten Fall selbständig verlöschen kann. Sind Fenster oder Tür offen, geht der Brand in die Phase des entwickelten Brandes über, für den Abbrand steht zunächst hinreichend Frischluft zur Verfügung, es handelt sich also jetzt um einen brandlastgesteuerten Brand. Die Raumöffnung dient sowohl als Öffnung für die von außen nachströmende Frischluft als auch zur Abführung der Brandgase aus dem Raum. Im oberen Bereich der Fensteröffnung strömen heiße Rauchgase aus dem Brandraum aus (Überdruck), im unteren Bereich fließt Frischluft nach (Unterdruck). Beim Übergang zum Vollbrand und in der Vollbrandphase verläuft der Brand dann wieder ventilationsgesteuert.
Für die thermische Beanspruchung der Fassade ergeben sich unter obigem Ansatz folgende verallgemeinerungswürdige Aussagen:
- Zeitpunkt des »flash-over«: zwischen der 7. und 25., im Mittelwert in der 12. Minute
- Energieabgabe im Brandraum: zwischen 5 - 6 MW (Bestimmung über den Masseverlust)
- Dauer des Flammenaustritts vor die Fassade: 15 - 25 min.
- sichtbare Flammen (T≈ 540°C) oberhalb des Fenstersturzes: durchschnittliche Länge 2,8 bis 3,5 m,maximale Länge 6,5 m; Flammendicke 1 bis 1,5 m.
- Energieabgabe der Flammen vor der Fassade oberhalb des Sturzes: 1 bis 2 MW
- Temperaturen unterhalb des Fenstersturzes: über einen Zeitraum von 30 Minuten mindestens entsprechend der ETK (Einheitstemperaturkurve) nach DIN 4102-2, nach dem »flash-over« deutlich darüber - gleich den oder höher als die Temperaturen unterhalb der Decke des Brandraums - über 15 bis 20 Minuten zwischen 700 und 900°C
Ableitung des allgemeinen brandschutztechnischen Schutzziels an der Gebäudeaußenwand
Eine Brandübertragung von der Brandetage in das darüber befindliche Geschoss kann demnach bei dem Szenario eines Brandes innerhalb des Gebäudes in einem an die Außenwand grenzenden Raum auch bei vollständig nichtbrennbaren Außenwänden bzw. Fassadenbekleidungen stattfinden, wenn übereinander liegende, verglaste Außenwandöffnungen vorhanden sind, da der Feuerüberschlagsweg, d.h. die Entfernung bis zur nächsten Fensteröffnung bei so genannten »Lochfassaden« in der Regel nur von 1 - 1,5m variiert.
Der Brandüberschlag vollzieht sich in folgenden Schritten:
- Scheiben der Verglasung von Öffnungen im oberhalb der Flammenaustrittsöffnung liegenden Raum werden duch thermische Einwirkung zerstört.
- In der Nähe der Öffnung befindliche Gegenstände (z.B. Vorhänge) werden entzündet
- Brennbare Gegenstände im oberen Raumdrittel entflammen.
- Herabfallende brennende Teile entzünden brennbare Gegenstände im unteren Raumdrittel.
- Der Brand entwickelt sich auch in diesem Raum vom Entstehungsbrand über den entwickelten Brand zum Vollbrand.
- Flammen treten aus der Raumöffnung aus und der beschriebene Vorgang wiederholt sich.
Dieser Prozess setzt sich ohne rechtzeitiges Eingreifen der Löschkräfte der Feuerwehr ungehindert nach oben fort (leap frogging) und kann zusätzlich beschleunigt werden, wenn Fenster im über dem Brandraum liegenden Geschoss geöffnet sind. Bei aktuellen Untersuchungen der MFPA Leipzig zum Brandverhalten an Fassaden in einem zum Abriss bestimmten Gebäude konnte dieser Brandüberschlag von Etage zu Etage auch experimentell nachvollzogen werden. Ein derartiger Brandüberschlag über Außenwandöffnungen kann nur durch vorbeugende bauliche und abwehrende Maßnahmen verhindert werden.
Da diese Maßnahmen bei Gebäuden normaler Art und Nutzung - von besonders exponierten Fassadenbereichen abgesehen - baurechtlich nicht explizit gefordert werden, lässt sich im Rückschluss daraus ableiten, dass die Brandweiterleitung in das oberhalb der Brandausbruchstelle liegende Geschoss in endlicher Zeit, die allerdings deutlich unterhalb der geforderten Feuerwiderstandsdauer der Geschossdecken (im Wohnbau 90 Minuten) liegt, baurechtlich toleriert wird. Offensichtlich geht man davon aus, dass der Löschangriff der Feuerwehr in der Regel rechtzeitig erfolgt, was bei der festgelegten Brandschutzhilfsfrist von 9,5 Minuten zuzüglich einer Rüstzeit von 3 min. und damit einem Löschbeginn nach ca. 12,5 Minuten nach Alarmierung bei Gebäuden mittlerer Höhe durchaus berechtigt ist. Unter Berücksichtigung dieser Zeiten lässt sich die allgemeine Forderung formulieren: Das baurechtliche Brandschutzziel an der Gebäudeaußenwand muss darin bestehen, eine schnelle Brandausbreitung über mehr als zwei Geschosse oberhalb bzw. unterhalb der Brandausbruchstelle vor dem Löschangriff der Feuerwehr zu verhindern. Eine Gefährdung der Rettungskräfte durch großflächig abstürzende Fassadenteile ist auszuschließen.
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