Mit einem präzisen architektonischen und städtebaulichen Eingriff ist es den Basler ArchitektInnen Miller&Maranta gelungen, dem Färberplatz in Aarau eine neue Identität zu geben. Obwohl der skulpturale Neubau der Markthalle ein eher kleines Volumen einnimmt, darf er als ein Hauptwerk der neuen Schweizer Architektur bezeichnet werden, das vor allem aus städtebaulicher Sicht viele andere in den Schatten stellt. Diese kleine, aber exakte architektonische Intervention lenkt den immer noch von Themen wie Einfachheit, Material und Detail geprägten Schweizer Architekturdiskurs in eine urbanistische Richtung. Wichtiger als die exakt herausgearbeitete Form ist hier nämlich der respektvolle Umgang mit einem charakteristischen, jedoch unspektakulären Stadtraum, war doch der Färberplatz, dessen räumliches Gefüge seit dem Abbruch der alten Gewerbebauten vor 20 Jahren gestört war, trotz seiner Weite nie mehr als ein großer Hinterhof in Aaraus pittoresker Altstadt.
Diese unbefriedigende Situation wollte die Stadt mit einer partiellen Überdachung des Platzes in den Griff bekommen. Den beiden heute gut vierzigjährigen Basler ArchitektInnen Quintus Miller und Paola Maranta war aber sogleich klar, dass nur ein ganz präzise gesetztes Gebäude die städtebaulichen Bezüge klären konnte. Sie schlugen in ihrem preisgekrönten Wettbewerbsprojekt daher eine flachgedeckte Hallenkonstruktion aus Douglasienholz in Form eines gestauchten Sechsecks vor, die von nahezu 300 lamellenartigen Stützen und einem zentralen Pfeiler getragen und so zu einem Haus geschlossen wird. Dabei ist es auch Jürg Conzetts ausgeklügelter Ingenieurtechnik zu verdanken, dass in diesem experimentellen Holzbau auf bestechend einfache Weise Tradition und Fortschritt zusammenfinden. Die sich zum seriellen Muster vereinenden Lamellen lassen das im oberen Teil offene, im unteren aber geschlossene Gebäude von jedem Standpunkt aus anders aussehen. Kommt man von der Rathausgasse her, so wirkt der Hallenbau durchscheinend – als sei über einen großen Tisch ein fadenscheiniges Tuch geworfen worden. Massiv hingegen gibt er sich zu den beiden neu entstandenen Gassen zwischen den Längswänden und den seitlichen Häuserfluchten hin. Gleichwohl verschleiern die geknickten Fassaden die wirklichen Dimensionen des fast 20 mal 30 Meter großen Gebäudes, bis man schließlich in die weite Halle tritt.
Obwohl der Neubau mit leiser Melancholie die Poesie des Ortes widerspiegelt, vermag er mit seiner hölzernen Sperrigkeit bei einer flüchtigen Begegnung durchaus zu irritieren. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Architekten nicht nur den urbanen Raum analysierten, sondern – von der analogen Tradition herkommend – auch den Erinnerungen, Bildern und Stimmungen des einst von alten Schuppen dominierten Ortes nachspürten. Daraus destillierten sie eine architektonische Form, die ebenso diskret wie treffend den Genius loci beschwört, sich aber auch genau in den Stadtkörper einpasst. Nichts jedenfalls erinnert mehr an die schwierige Genese dieser Halle, die – aufgrund vielfältiger Widerstände – mehrere Stadien zu durchlaufen hatte, bevor sie schließlich Ende 2002 doch in ihrer ursprünglichen Form realisiert werden konnte. Inzwischen waren Miller&Maranta aber nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Volta-Schulhaus in Basel zu neuen Einsichten gelangt, die sie in Form einer baukünstlerischen Verfremdung auch in das Aarauer Projekt einfließen ließen. Dazu gehört die stadträumliche Verschleierung ebenso wie die leicht subversive Umdeutung der Holzkonstruktion in eine wie gegossen wirkende Kunstform mittels einer Kupferpigmente enthaltenden Öllasur. Der daraus resultierende Bronzeton verleiht der Halle etwas Skulpturales: Nicht nur lassen sich Bezüge zum Minimalismus ausmachen, das Gebäude spielt auch mit der Wahrnehmung, ist bald Haus, bald Möbel, bald Kunstwerk – oder, wie Quintus Miller meint, »umhüllte Luft«. Zugleich verwandelt es den Ort nachhaltig: Vor der Halle entsteht ein Platz, auf dem nun vier Gassen zusammentreffen, hinter ihr hingegen ein intimer Hof mit einer Kastanienterrasse.
Die gleiche Begeisterung, mit der sie in Aarau Flächen, Licht und Raum in Architektur verwandeln, sprüht auch aus ihren anderen urbanistischen Arbeiten, denn Miller&Maranta sind hierzulande Meister in der Kunst, die Stadt räumlich zu interpretieren. Erst durch die Reibung am Vorhandenen fänden sie zu gültigen Lösungen, meint Paola Maranta. Deshalb wohl gelte ihr Interesse den städtischen Interventionen und nicht den sonst bei Architekten so beliebten Objekten auf der grünen Wiese.
Wie kommt das Holz in die Stadt?
Gespräch mit Quintus Miller
Dieser Beitrag wurde am 16.12.2002 in der »Neuen Zürcher Zeitung« erstmals publiziert und erscheint hier in gekürzter und überarbeiteter Fassung.