Am 2. Januar 2006 um 15:54 stürzte das Dach der Eissporthalle in Bad Reichenhall ein. Kurz nach diesem Unglück bzw. nahezu zeitgleich fand eine Reihe weiterer Einstürze von weitgespannten Tragwerken statt. Es ist zutiefst zu bedauern, dass in Bad Reichenhall und im Nachbarland Polen (Einsturz der Messehalle in Kattowitz) Todesopfer zu beklagen waren, viele Menschen schwer verletzt wurden. Die tragischen Ereignisse schreckten sowohl die Öffentlichkeit als auch die Betreiber von Hallentragwerken auf und führten in der Folge zu einer Vielzahl von Überprüfungen weitgespannter Tragwerke. Nachfolgend werden Ursachen von Einstürzen bzw. Schäden an weitgespannten Holztragwerken genannt, die bei der Bearbeitung einer Vielzahl von Schadensfällen und Überprüfungen besonders auffällig waren.
Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall
Die Eissporthalle Bad Reichenhall (Bj. 1971/72) war ein Bauwerk mit ca. 75m Länge und ca. 48m Breite. Das Dach wurde durch 2,87m hohe Hauptträger (Kastenträger) getragen, die in Holzbauweise als Sonderkonstruktion erstellt waren. Die Ober- und Untergurten bestanden aus Brettschichtholz, die seitlichen Stegplatten aus »Kämpfsteg-Platten«, wobei die 48m langen Gurte aus drei 16m langen Teilen bestanden, die mit Universal-Keilzinkungen gestoßen waren. Für die Kämpfstegbauweise lag eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung vor, die jedoch die Bauhöhe der daraus hergestellten Träger auf 1,20m beschränkte. Die Sonderkonstruktion war mit herkömmlichen Brettschichtholzträgern nicht vergleichbar!
Insgesamt handelte es sich also um das Zusammenspiel einer Reihe von Einzelursachen.
Zudem lag ein sogenanntes progressives Kollapsverhalten vor, d.h. das Versagen eines einzelnen Hauptträgers konnte durch die sehr steife Querträgerkonstruktion infolge der eintretenden Kettenreaktion zum Einsturz des gesamten Hallentragwerks führen.
Zusammenfassung
Von der Planung und Errichtung über die Wahl der Werkstoffe bis hin zu Wartung und Instandhaltung der Gebäude besteht teilweise ein erhebliches Defizit. Wesentlich ist der Einfluss des Faktors Mensch, nicht des Materials. Nur materialgerechte Konstruktionen und eine besondere Sorgfalt (= Qualitätssicherung, Vier-Augen-Prinzip und regelmäßige Instandhaltung) helfen, langfristige Schäden an weitgespannten Konstruktionen zu vermeiden. Das Kollapsverhalten von Konstruktionen sollte künftig verstärkt bei der Konstruktion berücksichtigt werden. Harnstoffharz-Klebstoffe sollten ab sofort im Ingenieurholzbau nicht mehr verwendet werden.
Die nachfolgend in Kurzform genannten Ursachen wurden dem zwischen den Hauptgutachtern zum Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall (TU München und TÜV Süd) und der Staatsanwaltschaft in Traunstein vereinbartem Pressetext entnommen und werden bezüglich der technischen Sachverhalte unverändert wiedergegeben:
- Verstoß gegen wesentliche Regelungen der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (Überschreitung der maximalen Trägerhöhe von 1,20m, vorhanden 2,87m Höhe.) Keine »Zustimmung im Einzelfall« der Obersten Baubehörde des Freistaates Bayern
- Keine Prüfung der statischen Berechnung
- Die in der statischen Berechnung angesetzte maximale Schneelast von 150kg/m² war zum Unfallzeitpunkt nicht überschritten, aber ein Auslöser des Einsturzes.
- Die Zugspannungen im Schwerpunkt der Gurte wurden nicht nachgewiesen.
- Die Schwächung der Konstruktion infolge der Stöße von Gurten und Stegen mit Universalkeilzinkungen wurde in der statischen Berechnung nicht berücksichtigt.
- Bauwerksicherheit von mindestens 2,0 nicht vorhanden, lediglich eine Sicherheit von ca. 1,5
- Verwendung von Harnstoffharzklebstoffen
- Herstellung der Hauptträger des Dachtragwerks überwiegend unter Verwendung eines Harnstoff-Formaldehyd-Klebstoffes. Harnstoffharzleime sind für die Verleimung tragender Bauteile in Eishallen nicht geeignet, da sie nicht dauerhaft feuchtebeständig sind. (Universalkeilzinkenstöße der Untergurte, Verklebung zwischen Gurten und Stegen)
- Mängel der Konstruktion der Hauptträger. Der Herstellungsvorgang der Kastenquerschnitte der Hauptträger durch Blockverleimung zwischen Stegen und Gurten entsprach nicht den damaligen allgemein anerkannten Regeln der Technik.
- Instandhaltung – periodische Wassereinbrüche in das Gebäudeinnere der Eissporthalle wurden nicht dauerhaft beseitigt, es erfolgte kein Renovierungsanstrich der hölzernen Dachkonstruktion. Eine fachgerechte Überprüfung zur Standsicherheit der Dachkonstruktion ist nicht dokumentiert.
Beobachtungen bei anderen Halleinstürzen bzw. Hallenschäden
Bei den Untersuchungen unterschiedlichster anderer Hallenkonstruktionen kristallisierte sich eine Anzahl weiterer wesentlicher Schadensursachen heraus:
- In sehr seltenen Fällen eine von Beginn an unzureichende Verklebung
- Ringschäle der Lamellen, in Verbindung mit Schub- oder Querzugbeanspruchungen schadensauslösend
- Keilzinkung der Lamellenstöße mit sogenannten »Minizinken« der Länge l ≤ 7,5mm
- Verwendung von für die klimatischen Verhältnisse ungeeignetem Klebstoff
- Fehlende Querzugverstärkungen, insbesondere bei gekrümmten Trägern, Ausklinkungen oder Querzug erzeugenden Lasteinleitungen
- Abweichung der tatsächlichen Bauausführung von den geprüften statischen Unterlagen
- Fehlende oder fehlerhafte Aussteifungen, zusätzliche und ungeregelte baukonstruktive Einbauten, angehängte Lasten (wie z.B. Turngeräte), Veränderungen der Dachlasten oder nachträglich angebrachte, nicht zusätzlich nachgewiesene Durchbrüche
- Dauerhaft sehr trockene Randbedingungen oder große Schwankungen der Holzfeuchten
- Mangelnde Wartung und Instandhaltung
Text
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter
Ordinarius für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München
Mitinhaber eines Ingenieurbüros beratender Ingenieure
öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Holzbau
Prüfingenieur für Baustatik – Fachrichtung Holzbau
www.hb.bv.tum.de