Alfred Brunnsteiner ist Tragwerksplaner in Tirol und unter anderem für die Statik der MPREIS-Märkte zuständig. Anlässlich des schneereichen Winters 2005/2006 hat er sowohl eine Anleitung zur Schneelastermittlung für Bauherren als auch einen Leitfaden zum Sicherheitsmanagement von bereits bestehenden Gebäuden erarbeitet.
Zuschnitt: Wie hat sich der vergangene Winter hinsichtlich des Themas Sicherheit auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Brunnsteiner: Generell gab es öfter Anfragen als in den vergangenen Jahren, was die Tragfähigkeit vor allem von Dachkonstruktionen unter der hohen Schneelast betraf. Konkret haben wir im Auftrag des Bauherrn alle MPREIS-Märkte auf ihre Sicherheit untersucht und werden das auch heuer wieder tun. Dabei hat sich herausgestellt, dass alle Märkte den Standards entsprechen, auch wenn bei manchen der verbleibende Spielraum geringer ist als bei anderen. Sehr positiv waren die Reaktionen auf die Anleitung zur Schneelastermittlung, die über unsere Homepage abrufbar war bzw. an unsere Bauherren verschickt wurde. Das hat vielen geholfen, die Situation abzuschätzen und richtig zu reagieren.
Angenommen, ich will eine Halle bauen. Welches Material empfehlen Sie als sicher und was tue ich, wenn es tagelang schneit?
Halleneinstürze oder Schäden sind generell kein Materialproblem, sofern alle Vorschriften eingehalten werden, weshalb ich zu keinem bestimmten Material raten möchte. Bei hohen Schneelasten empfehle ich, das Dach fachgerecht, das heißt, ohne die Dachhaut zu beschädigen, abzuschaufeln bzw. die Meinung von Fachleuten einzuholen. Sie können aber auch eine Schneegewichtsmessmatte am Dach installieren, die Gewichtsüberschreitungen telefonisch oder per sms meldet.
Ein Bauwerk wurde gemäß der Bauordnung errichtet, eine Halle steht – wer trägt nun die Verantwortung für die Sicherheit?
Die Verantwortung liegt laut Gesetz ab dem Moment der Übernahme beim Bauherrn.
Ist ein Bauherr damit nicht überfordert?
Man kann von einem durchschnittlichen Bauherrn hier natürlich keine allzu umfassenden Kompetenzen erwarten. Man kann jedoch durchaus verlangen, dass er seine Verantwortung wahrnimmt und im Zweifelsfall Fachleute – also Zimmermeister, Baumeister oder Statiker – zu Rate zieht.
Gibt es überhaupt ein ausreichend dichtes Netz an kompetenten Fachleuten – gerade im Bereich des Holzbaus?
Tatsächlich ist die Situation diesbezüglich nicht optimal, weshalb ich eine Beratungseinrichtung für Konstrukteure generell, wie sie etwa an der Universität Innsbruck am Lehrstuhl von Prof. Michael Flach durchgeführt wird, in jedem Bundesland für sinnvoll erachten würde.
In fast ganz Österreich haben die Schneefälle des vergangenen Jahres zu Schäden an Bauwerken geführt. Aus Tirol und Vorarlberg gab es hingegen keine entsprechenden Meldungen. Woran liegt das?
In Westösterreich sind sehr schneereiche Winter nicht selten. Sowohl wir Statiker als auch die meisten Bauherren sind entsprechend aufmerksam und vorsichtig. Es gibt hier auch ein gutes Netz an Ansprechpersonen, die über viel Erfahrung verfügen, und die Leute sind dazu bereit, ihre Dächer abzuschaufeln, wenn es kritisch wird.
Das bedeutet, Sie halten das Abschaufeln von Dächern für zumutbar?
Ja, denn natürlich kann ich ein Dach so dimensionieren, dass es jede Schneelast aushält, aber das ist weder wirtschaftlich noch psychologisch sinnvoll: Wenn jemandem ein Bauwerk gehört, dann muss er sich seiner Verantwortung in jedem Fall bewusst sein, nicht nur wenn es schneit. Er muss wissen, was sein Gebäude kann, wie er es wartet und instandhält.
Welche Fehler werden aus Ihrer Sicht am häufigsten begangen?
Ich sehe im Wesentlichen zwei Problemfelder: Erstens Bauherren, die ihr Gebäude nicht kennen und darüber hinaus eigenmächtig Änderungen in der Nutzung, in der Belastung oder auch direkt am Tragwerk vornehmen, wodurch die Bedingungen, unter denen das Bauwerk errichtet wurde, nicht mehr gültig sind. Wenn jemand nachträglich eine Klimaanlage für seine Halle installiert und tonnenschwere Klimageräte am Dach aufstellt, ohne an die Auswirkungen auf die Konstruktion zu denken, dann ist das fahrlässig. Zweitens Tragwerksplaner, deren Anbote weit unter den Richtlinien der Honorarordnung liegen. Wenn ein Statiker sehr große Honorarnachlässe gibt, muss sich das auf die Qualität seiner Arbeit und kann sich damit verbunden auch auf die Sicherheit des Gebäudes auswirken. Aber auch hier läge es an den Bauherren, die nötige Qualität einzufordern und entsprechend zu bezahlen.
Diese Punkte liegen vor allem im Bereich der Bauherren. Gäbe es bezüglich der Sicherheit von Bauwerken keine Forderungen an die öffentliche Hand, an die Gesetzgebung und die Verwaltung?
Doch, ich würde es für absolut sinnvoll halten, für alle infrastrukturellen und öffentlichen Hochbauten eine wiederkehrende Überprüfung durch Befugte (Prüfingenieure) vorzuschreiben, so wie es im Brückenbau üblich ist. Die Überprüfungen werden dann in einem Tragsicherheitsausweis vermerkt.
In Deutschland gibt es die Prüfstatik nach dem Vier-Augen-Prinzip, trotzdem ist das Unglück von Bad Reichenhall passiert und mussten etliche Hallen im vergangenen Winter gesperrt oder gar abgerissen werden...
Das ist richtig, allerdings kann in Deutschland jeder der will Statiker werden, wohingegen das Ausbildungsniveau in Österreich viel höher ist. Trotzdem können Fehler passieren und deshalb ist es gut, wenn es im Sinn einer Qualitätssicherung Kontrollen gibt. Speziell sollte ein koordinierender Tragwerksplaner bei Vorhandensein mehrerer Detailtragwerksplanungen beauftragt werden. Weitere wichtige Maßnahmen wären die Einführung eines Tragsicherheitsausweises im Rahmen der Norm (wie der Typenschein eines Kraftfahrzeuges oder der Energieausweis eines Gebäudes), regionale Einsatzpläne für den Fall von Schnee- oder Sturmereignissen sowie ein Informationsnetz, das über die integrierten Bundesländerleitzentralen, Feuerwehren, die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (zamg) und Private aufgebaut werden und bekannt geben könnte, wieviel Kilogramm Schnee im Lauf eines Tages zu erwarten sind.
Nach den Schneefällen vom Winter 2006 wurden die Schneelasten in der Norm hinaufgesetzt (ÖNORM B 1991-1-3 Teil 1-3 vom 1. April 2006). Empfehlen Sie die Nachrüstung bestehender Bauwerke analog dieser neuen Werte?
Die Anpassung der Norm war richtig, ist aber eher eine Justierung, die auf dem Eurocode aufbaut. Daher ist anzunehmen, dass die meisten Bauwerke, die nach der alten Norm dimensioniert wurden, nach wie vor entsprechen, wie es z.B. bei den MPREIS-Märkten der Fall ist, wo wir schon aus formalen Gründen mit geringeren maximalen Durchbiegungen rechnen, als erlaubt wäre. Im Zweifel würde ich aber empfehlen, das Bauwerk von Experten prüfen zu lassen.
Kontakt
DI Alfred R. Brunnsteiner
In der Stille 11
A-6161 Natters
T +43 (0)512/546919
office(at)dibral.at
www.dibral.at
Schneemessung
- Senkrechtes Eindrücken eines Polokalrohrs in die Schneedecke bis zur Dachhaut. Eine eventuell vorhandene Eisschichte ist mitzunehmen, indem sie mit einem Hammer vorsichtig, ohne die Dachhaut zu beschädigen, zerklopft wird und die Eisbrocken in das Rohr geworfen werden.
- Das Rohr ohne Schneeverlust freilegen und den Rohrboden mit der Hand verschließen
- Messen der Schneehöhe, damit später das Gewicht pro m³ ermittelt werden kann.
- Das Rohr wird mit dem Schneeinhalt auf eine Waage gestellt und anschließend leer gewogen.
Berechnungsbeispiel
Der Schnee wiegt ohne Rohr (Gesamt- minus Rohrgewicht): G = 1000g = 1kg
Die Fläche des Rohrs beträgt:
A Rohr = d²xπ/4 = 0,1² x 3,1416/4 = 0,007854m²
d = Innendurchmesser in m
Das Flächengewicht s (kg/m²) des Schnees ist:
s = GSchnee/ARohr= 1/0,007854 = 127,32kg/m²
Das Raumgewicht S (kg/m³) des Schnees bei 57cm Schnee ist:
S = s/Schneehöhe = 127,32/0,57 = 223,37kg/m³
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