Das Land: durch bäuerliches Schaffen geprägter Naturraum, ein Kosmos sinnlicher Eindrücke von Tier und Gewächs; das Dorf: durch eigene Gewohnheiten und Bauten geprägter Kulturraum, Schnittstelle bäuerlichen Lebens. Das war einmal. Wer bedenkt, dass es keine fünfzig Jahre her ist, dass einem da draußen ständig ein gackerndes Huhn vor die Räder lief, kann ermessen, wie drastisch sich diese Welt verändert hat. Strukturwandel nennt man das. Den hat es immer gegeben, und gerade die hier in Rede stehenden Gemeinden haben mit der Vereinödung aufgeklärter Despotie vor rund 250 Jahren tief greifende Veränderungen (Auflösung von Flurzwang und Dorfgemeinschaft, Arrondierung der Flächen um den frei stehenden Hof, Grünlandwirtschaft) erfahren – der bäuerliche Betrieb mit höchstens zwei Dutzend Stück Vieh blieb dennoch prägend. Dagegen steht der Wandel der letzten Jahre: Kaum eine Ortschaft, wo die bäuerliche Bevölkerung noch auf mehr als 10 Prozent kommt, Schlafdörfer mit überwiegend Pendlern, Verhüttelung durch Einfamilienhäuser, Schließung von Gasthaus, Laden, Schule – das Dorf als Inbegriff von Langeweile und Sprachlosigkeit. So der Stand der Dinge im Dorf am Ende des 20. Jahrhunderts. Es zählt zur höchsten Qualität der Bregenzerwälder Kultur, nicht die Augen zu verschließen und die Hände in den Schoß zu legen. Man schafft hier – auch sein Gemeinwesen. Und so haben die Gemeinden – beispielhaft: Hittisau, Krumbach, Langenegg – in den 1990er Jahren Fehlentwicklungen erkannt, Abhilfe gesucht und neue Wege beschritten. Keine Gemeinde hat dabei das Dorf neu erfunden, sondern man hat sich seiner Potenziale besonnen, Neues daraus entfaltet. Erstaunlich, dass jede der Gemeinden, nur wenige Gehstunden voneinander entfernt, ihr eigenes Profil entwickelt hat. Und es ist nur logisch, dass die Holzwirtschaft und besonders der Holzbau, maßgeblich zur Renaissance beitrug.
Hittisau – offen, diskursiv und fachlich fundiert
Hittisau, mit knapp 2.000 Einwohnern die größte Gemeinde, tat mit dem Gemeindesaal den ersten Schritt – erkennbar ein Werk der Vorarlberger Baukünstler und als Holzbau wegweisend. Dem blieb man treu mit den Kommunalbauten Feuerwehr und Kulturhaus und dem Tennisclub (4). Die offene Haltung der Gemeinde zeigt sich daran, dass alle Bauten Ergebnisse von Wettbewerben sind. Darunter auch solche mit Impulsen für die Dorfstruktur, die, ohne in konkrete Objekte zu münden, eine Diskussion eröffneten und in privaten Initiativen ihre Fortsetzung fanden. Das Kennzeichen der Amtszeit von Bürgermeister Konrad Schwarz, der bis April 2012 im Amt war, ist vielleicht: fachlichen Rat suchen (Gestaltungsbeirat seit über einem Jahrzehnt), Entwicklungen offen halten, sich auf Infrastruktur und Finanzen konzentrieren. Und bei der Infrastruktur kommt – vorbildlich – wieder Holz zum Einsatz: ein Biomasseheizwerk, genossenschaftlich von fünfzig Holzbauern betrieben, mit dem der Großteil des Ortes beheizt wird. Offene Entwicklung: Es ist für Hittisau charakteristisch, dass die Holzbaurenaissance maßgeblich von privaten Kräften getragen wird. Bauherren, die sich der Architektur verschrieben haben, mit Ensembles wie den Einfamilienhäusern am Sonnenbühl oder dem Ensemble mit Pfarrhof, Kaplanhaus und Mesmerhaus sowie zahlreichen Umbauten. Besonders hervorzuheben ist das Hotel Gasthof Krone am Dorfplatz, weil es sich dabei um ein vielfach ausgezeichnetes Gemeinschaftswerk von gut einem Dutzend Handwerkern des »werkraum bregenzerwald« handelt, ein Zusammenschluss, der sich der Baukultur verschrieben hat und den Bau um Einrichtung und Möbel ergänzt. Mehrere Mitglieder hat der werkraum in Hittisau und entscheidende Impulse gingen von ihnen aus, etwa mit dem Haus des Zimmerers Nenning oder den Werkstattbauten von Markus Faißt. Handwerk wird hier verstanden als kulturelle Verpflichtung, was in zahlreichen Ausstellungen oder der Initiative »Holzkultur Hittisau« zu erleben war. Der Kreislauf des Holzes ist Dreh- und Angelpunkt der Gemeinde, so die Botschaft des neuen Bürgermeisters Klaus Schwarz. Landschaftsbildend und touristisch relevant die Biotope Biberstein und Lecknertal; prägend die Berge mit der Nagelfluhkette und ihren Schutzwäldern, die intensiver Pflege bedürfen. Die dortige Holzbewirtschaftung liefert ein Drittel Hackschnitzel und zwei Drittel Bauholz, geschnitten in drei Sägewerken, kundengerecht verarbeitet in Handwerksbetrieben von Zimmerei, Fensterbau über Innenausbau und Tischlerei bis zum Küfer. Gegebenenfalls wird Holz in der Hackschnitzelanlage CO2-neutral entsorgt.
Krumbach – Verdichtung auf mehreren Ebenen
Anders liegen die Dinge in Krumbach mit seinen 1.000 Einwohnern. Nach wenigen Sätzen kommt Bürgermeister Arnold Hirschbühl, treibende Kraft der Erneuerung, auf seine Botschaft: Raumplanung und Verdichtung. Wenn er sagt: »Wir sind viel zu schlampig mit Grund und Boden umgegangen«, spricht aus ihm der ehemalige Landwirt. Der Zersiedelung setzt er die Stärkung des Ortskerns mit neuem Dorfhaus, Gemeindehaus, Dorfplatz, Friedhof und Bushaltestelle entgegen. Ein Mehrfamilienhaus in der Ortsmitte war im Ländle des Eigenheims eine Revolution; daran wird sich ein Projekt anschließen, das thematisiert, wie die Älteren wohnen werden, wenn die bäuerliche Großfamilie verschwindet. Kultur als notwendiger Teil des Gemeindelebens wird im neuen Pfarrhaus mit Bibliothek und Musikräumen neben der Kirche Raum finden. Verdichtung aber auch im übertragenen Sinn. Die Gemeinde, die auf die Touristenattraktion Alpenblick verzichten muss, hat sich auf eigene Ressourcen besonnen. »Moorwege« erschließen Birken- und Erlengehölze – mit Zuspruch, der alle Erwartungen übersteigt. Man besinnt sich auf Holz, wie etwa bei der Hackschnitzelbeheizung des Ortskerns, bei den genannten Bauten, deren Holzfassaden erst auf große Skepsis stießen. Heute ist es keine Frage mehr, lautet das Ziel beim neuen Pfarrhaus doch, vom Keller weg nur mit Holz zu bauen.
Langenegg – geistiger Aufbruch mit Gestaltung
Das heutige Langenegg – auf einer stark durch Einzelhöfe geprägten Sonnenterrasse gelegen – geht auf den Zusammenschluss zweier Orte vor achtzig Jahren zurück und schuf erst in den 1950er Jahren mit dem Neubau von Schule und Gemeindehaus den Grundstock zu etwas wie einer neuen Mitte. Der Sub-stanzverlust bäuerlicher Siedlung, die Ödnis eines Schlafdorfes sprangen hier besonders ins Auge. Mitte der 1990er Jahre dann Umkehr und Aufbruch – man möchte von einer Neubildung des Dorfes sprechen. Lag es daran, dass Volks- und Sonderschule so sehr im Mittelpunkt standen? Bürgermeister Georg Moosbrugger verweist auf das Sozialkapital als Zentrum des Aufbruchs, auf Sonderschule, Pflegeheim, Lebenshilfe und den Sitz des Sozialsprengels. Doch auch die breite soziale Verankerung der Initiativen – darunter »Was tun« ab 2000, »Stop in Langenegg«, das Jugendprojekt »be a part« und die Nachbarschaftshilfe, die zur erfolgreichen Regionalwährung »Langenegger Talente« führte – spielte eine wichtige Rolle. Der Stärke im Sozialen folgte das Engagement in Umwelt- und Energiefragen. Der geistige Aufbruch verlangte nach Gestalt: Mit Studenten der Hochschulen Innsbruck und Liechtenstein entstand ein Konzept baulicher Zentrumsbildung. Ab 2004 wurde es mit dem Kindergarten- und Musikbau und dem Café- und Bürobau von Fink Thurnher Architekten umgesetzt, den Typus des kompakten Amtsbaus variierend (mit einem zentralen Wohnhaus derselben Architekten als Vorläufer) und als erster Kommunalbau nach dem Ökoleitfaden Bau errichtet. Neben Passivhaus-Komponenten bedeutet das, dass ausschließlich gemeindeeigene Weißtanne verbaut wird. Mit dem Bachhaus (ein 1996 saniertes Bauernhaus) und dem Dorfladen runden nun Holzfassaden den neu gestalteten Platz vor dem Gemeindeamt ab, ergänzt durch neue Wohnbauten in Holz. »WahrzeichenCharakter«, so J. Peer, Architekt und Vorarlberg Historiker, habe das kleine Buchenwäldchen im neuen Langenegg, und mit den Linden und dem Ahorn des neuen Dorfplatzes wird wiederbelebt, was auf diesem fast waldfreien Höhenrücken ein starkes Bild gibt: der Hausbaum, einst Begleiter eines jeden Hauses.
Fotos:
© Margherita Spiluttini, Architekten Hermann Kaufmann, Dietrich | Untertrifaller, Gemeinde Hittisau
© Darko Todorovic, Adolf Bereuter, Norman A. Müller
© Fink Thurnher