Die Installationen, Videos und Fotografien des rumänischen Künstlers Mircea Cantor sind poetische Reflexionen über den Verlust alter Traditionen, Entwurzelung, die eigene Biografie und die Auswirkungen der Globalisierung auf die individuelle Freiheit. Für die hier abgebildete Arbeit »Threshold Resigned«, die Cantor 2012 für das Ausstellungsprojekt »Track« in Gent konzipierte, ließ er auf dem Areal der aus dem 7. Jahrhundert stammenden Sankt-Bavo-Abtei ein traditionelles rumänisches Holzhaus errichten. Das Dach des Hauses ließ Cantor ungedeckt, er zeigte lediglich die Konstruktion des Dachstuhls und erzeugte damit einen unfertigen bzw. verlassenen Eindruck. Auffallend sind auch die Ornamente an der Außenfassade wie die Wolfszähne (entlang der Fensterrahmen) und das Motiv des Seils, das Cantor in das Kiefernholz schnitzen ließ. Das Seil als gestalterisches Mittel symbolisiert in der rumänischen Kultur den Zusammenhalt einer Gemeinschaft und findet sich auch in den berühmten Holzkirchen der Maramures˛, einer Region im Norden Rumäniens. In »Threshold Resigned« wurde das Seil allerdings auch zur Metapher der Einengung und das Haus zum Ort vergessener Tradition. Cantor ließ in einer Performance den rumänischen Kantor einer orthodoxen Kirchengemeinschaft auftreten, der in einem melancholischen Gesang detailreich die Entstehungsgeschichte eines alten Holzhauses beschrieb. Der Liedtext begann mit den Bäumen, die im Wald von einer Familie ausgesucht wurden, um das Haus zu bauen, erzählte weiters von den unterschiedlichen Generationen, die es im Laufe der Zeit bewohnten, und endete schließlich in der Gegenwart mit dem verlassenen und verfallenen Zustand des Holzhauses. Mit der Performance verwies Cantor auf das ambivalente Gefühl der Verantwortung gegenüber dem gemeinschaftlichen kulturellen Erbe, die vergessenen Formen des Zusammenlebens mehrerer Generationen unter einem Dach und die Erinnerung an eine Zeit, die nicht mehr wiederkehrt.
Bereits in früheren Arbeiten setzte sich Cantor intensiv mit der Kultur- und Handwerksgeschichte der bereits oben erwähnten Region Maramures˛ auseinander. In dieser waldreichen Gegend wurde über Jahrhunderte die Holzverarbeitung perfektioniert, sie wurde in der bäuerlichen Architektur und im Sakralbau angewandt. Reich verzierte Holztore vor den bäuerlichen Gehöften bilden ein weiteres Charakteristikum der Gegend. In »Arch of Triumph« ließ Cantor 2008 eine solches Tor nachbauen und mit 24-karätigem Gold verkleiden. Das über Jahrhunderte tradierte Ornament des Lebensbaums, das sich auf nahezu allen Toren dieser Art befindet (in Form eines gedrehten Seils), ersetzte Cantor durch das Motiv der dna-Doppelhelix. Auch in dieser Arbeit war es Cantor wichtig, eine überlieferte Tradition, ein Stück Architekturgeschichte in die Gegenwart zu transformieren, neu zu übersetzen und damit zu bewahren.
»Threshold Resigned« in Gent, 2012
Mircea Cantor
geboren 1977 in Oradea, Rumänien
lebt und arbeitet in Paris
und Cluj-Napoca
www.mirceacantor.ro
Einzelausstellungen (Auswahl)
- 2014 Collected Works, Rennie Collection at Wing Sang, Vancouver
Ti do la mia giovinezza, Magazzino d’Arte Moderna, Rom - 2013 Q.E.D., Muzeul Nat˛ional de Arta˘ Contemporana˘, Bukarest
- 2012 Prix Marcel Duchamp, Centre Georges Pompidou, Paris
Museo d’Arte Contemporanea, Rom - 2011 More Cheeks Than Slaps, le Credac, Ivry sur Seine/FR
Phishing, Salzburger Kunstverein, Salzburg - 2010 Vertical Attempt, Solo Screening, Kunst-Werke, Berlin
- 2009 Tracking Happiness, Kunsthaus Zürich, Zürich
The Need for Uncertainty, Camden Arts Centre, London
White Sugar for Black Days, Yvon Lambert, Paris
Gruppenausstellungen (Auswahl)
- 2014 Fantome, Dvir Gallery, Tel Aviv
19th Biennale of Sydney,
You Imagine What You Desire, Sydney - 2013 Le Pont, Le Musée d’Art Contemporain de Marseille, Marseille
Isaac Babel: Makhno’s Boys, Dvir Gallery, Tel Aviv - 2012 Räume der Erinnerung, Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf
European Travellers, Mücsarnok Kunsthalle, Budapest - 2011 / 12 Project Space: I decided
not to save the world, Tate Modern, London - 2011 How to Disappear, The Luminary Center for the Arts, St. Louis/MO