Zum Hauptinhalt springen

Essay
Umbuchen auf Buche

Dieser Essay erschien 2016, im zuschnitt 64, zum Thema Laubholz

erschienen in
Zuschnitt 64 Laubholz, Dezember 2016
Sie besuchen eine Archiv-Seite. Möglicherweise sind nicht alle Darstellungen korrekt.

Strategien des Strukturwandels

Als im Jahr 1855 der spätere Hofkunsttischler Bernhard Ludwig (1834 – 1897) nach Freisprechung, Walz und Meisterstück, aus Deutschland kommend, nach Wien einwanderte, war die Eiche gerade am aufsteigenden Ast. Das Zeitalter des Historismus, welches das moderne Wien wenig später überformen würde, schickte bereits seine Botschafter voraus. Die Zeit der spiegelbildlich aufgebrachten Obstbaumfurniere der Biedermeierzeit war an ihrem Ende angelangt. Ludwig leistete den Untertaneneid, gab für seine Berufskollegen Möbelvorlagen heraus und eröffnete eine gewerbliche Zeichenschule für Tischler, Tapezierer und Bildhauer. Aber all das reichte nicht. Bernhard Ludwig wurde zusätzlich auch noch Erfinder und hatte schließlich eine durchschlagende Idee.

Eiche, also das Modeholz seiner Zeit, war spröde, hart und teuer. Außerdem war der Bedarf nach Totalausstattungen in deutscher Renaissance für altdeutsch gestimmte bürgerliche Familien in der Monarchie weitaus größer als das Angebot an diesen langsam wachsenden Hölzern. Ludwig konnte Abhilfe schaffen: Er erfand die sogenannte Pyrotypietechnik. Es handelt sich dabei um eine Methode, mit der man billiges Buchenholz mit Ornamenten aller Art bedrucken konnte. Buche war bis zu diesem Zeitpunkt nur als Brennholz bekannt. Man klaubte es im nahen Wienerwald. Es schien völlig undenkbar, daraus hochwertige Möbel oder gar Ausstattungen fertigen zu können. Durch ein besonderes Imprägnierverfahren gelang es Ludwig, Buchenholz auch für Bauzwecke verwendbar zu machen. In den 1880er Jahren konnte er bereits vollkommene Ausstattungen daraus herstellen, die damals in Fachkreisen viel Beachtung fanden. Mit dem ebenfalls von ihm erfundenen elektrischen Brandstift, später mithilfe der »Brandtechnik«, gestaltete er aus Buche spätmittelalterliche Welten en gros.

Bernhard Ludwig wurde mit Einrichtungsaufträgen für Wohnungen, Palais und Schlösser überschüttet. Er gründete von Wien aus Niederlassungen in Bukarest, Brünn und Alexandrien, richtete königliche Schlösser in Bukarest ein, baute fürstliche Residenzen in Albanien und stattete den königlichen Palast in Belgrad aus. Kurz gesagt, er wurde zu einem der wesentlichen Akteure des Historismus in Mitteleuropa. Seine technischen Errungenschaften revolutionierten das ornamentsüchtige späte 19. Jahrhundert. Ohne Bernhard Ludwigs Erfindung, das massiv vorhandene und extrem billig zu kaufende Buchenholz für ganze Raumschalen zu verwenden, wäre der Historismus in Mitteleuropa vermutlich anders verlaufen.

Um 1890 ließ sich Bernhard Ludwig in der Münzwardeingasse im 6. Bezirk Wiens von Carl Langhammer ein Haus im damals modernsten Stil des Historismus, des späten Kontinuismus, erbauen. In seinem Haus, das wir vor einigen Jahren für einen privaten Auftraggeber umgestalteten, errichtete Bernhard Ludwig auf mehreren Geschossen eine Art Musterwohnung in deutscher Renaissance, die komplett aus Buche besteht. Dieses Haus wurde von ihm und seiner Familie bewohnt, diente aber zugleich auch als Showroom. Seine Ausstattung hat die letzten 130 Jahre völlig unversehrt überstanden. Es handelt sich um eine äußerst hochwertige späthistoristische Innenausstattung mit Kassettendecken, Täfelungen, ja sogar historischen Textilien und Möbeln. Viele der Holzteile sind mit reichem Dekor in Pyrotypietechnik, Ludwigs Spezialität, gestaltet. Es handelt sich um die vollständigste erhaltene Ausstattung des Historismus außerhalb der Hofbauten.

Dieses Beispiel zeigt den Kreislauf der ständigen Wiederkehr. Die Einführung der Buche als Grundlage für hochwertige Raumschalen war einerseits einer extrem hohen Nachfrage geschuldet, andererseits aber dem damals sicherlich auch vorhandenen großen Preisdruck auf den eingewanderten Tischler. Heute stehen wir am Beginn einer vielleicht ähnlichen Entwicklung im Bauwesen. Wesentlicher Faktor ist der Klimawandel, der dafür sorgt, dass sich die Fichte als schnittfähiges Massenholz aus Ostösterreich zurückzieht. Es wird einfach zu trocken für diesen Baum, der eher im Hochgebirge als in den Niederungen zu Hause ist. Lange nahm man in Kauf, dass dieser Brotbaum der Forstindustrie auch an suboptimalen Standorten wuchs. Eigenschaften wie ein gerader Wuchs, rasches Wachstum und die gute Verwendbarkeit des Holzes schlugen Standortnachteile allemal.

Nun aber sieht es so aus, als könne damit langsam Schluss sein. Die Bäume der natürlichen Standorte drängen nach vorne. Wieder wäre es – wie vor 166 Jahren, als Bernhard Ludwig nach Wien kam, um den Historismus auf bis dahin billigstes Buchenbrennholz zu drucken – die Eiche, die eigentlich in unseren Breiten zu Hause ist. Wahrscheinlicher wird allerdings sein, dass der Bernhard Ludwig unserer Zeit ebenfalls die schnell wachsende, alles überwuchernde Buche entdecken wird, um damit zu bauen. Erste vielversprechende Beispiele gibt es bereits. Alles wiederholt sich.


verfasst von

Klaus-Jürgen Bauer

geboren 1963 in Wien. Architekturstudium in Wien in der Meisterklasse Holzbauer. Er ist Architekt mit eigenem Büro in Eisenstadt, Kurator sowie Mitglied des Fachbeirats der big Art und des P.E.N. Er hält Vorträge im In- und Ausland und pflegt eine umfassende Publikationstätigkeit.

Erschienen in

Zuschnitt 64
Laubholz

Nutzen, was im Wald vermehrt wächst: Mit den Laubbäumen kommen neue konstruktive und ästhetische Möglichkeiten für den Holzbau.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 64 - Laubholz