Selten gehen Theorie und Praxis eines Architekten so überzeugend Hand in Hand wie bei Bruno Taut. Bei einem Besuch der Hufeisensiedlung wird schnell klar, warum das Ensemble UNESCO-Welterbe ist. Die großflächige Siedlung entstand im Berlin der 1930er Jahre, als der Zeilenbau gerade aufkam. Das riesige Areal in Berlin-Britz wurde damals für den sozialen Wohnungsbau in zwei politische Lager aufgeteilt: Die Nationalkonservativen beauftragten für die eine Seite ein konservatives Büro, die linksnahe gehag beauftragte Bruno Taut gemeinsam mit Martin Wagner, um einen modernen Baustil umzusetzen. Die Linken wollten sich baulich eindeutig abgrenzen von der Gegenseite. So entstand die »Rote Front« an der Fritz-Reuter-Allee als trennendes, verschlossenes Element und Gegenstück zum offenen »Hufeisen«, das Ben Buschfeld bei der Führung als »ikonischen Ausdruck und Speerspitze des neuen Bauens« bezeichnet. Der Designer engagiert sich für die denkmalgerechte Erhaltung der Siedlung und führt regelmäßig Besucher durch das Areal, in dem er selbst seit zwanzig Jahren wohnt. Taut und Wagner hatten den Auftrag, die insgesamt 2.000 Wohneinheiten kostengünstig zu bauen, was sie nur durch Standardisierung erreichen konnten. Um Monotonie zu vermeiden, setzen sie Farbe ein. Bruno Taut, der ursprünglich freier Künstler werden wollte, verstand es, künstlerische Prinzipien in der Architektur anzuwenden. Durch viele kleine Variationen in der farblichen Gestaltung der Türen erzeugte er ein vielfältiges Bild sogar an den langen Fronten der Zeilenbauten. Die Genialität des anscheinend kostengünstigen Gestaltungsmittels Farbe zeigt sich in der Fülle von Variationen, die sich durch ein einfaches Prinzip ergeben: Die Füllungstüren mit sieben verschiedenen Füllungen – mal quadratisch, mal rechteckig, mal opak oder transluzent – werden mit sechs verschiedenen Farbkonzepten variiert. Das macht 42 verschiedene Varianten, die ein zugleich einheitliches und abwechslungsreiches Farbbild ergeben. Die bunten Türen sind nicht nur fröhlich, sie stiften auch Identität. Denn »das Betreten und Verlassen der eigenen Wohnung durch die bunte Tür ist wie ein tägliches Vergewissern, wo man wohnt«, so Ben Buschfeld. Auch für Besucher und Kinder gebe die farbige Tür Orientierung und Anhaltspunkte, wenn als Beschreibung gilt: »Wir sind das Haus mit der roten Tür.« Als Besucher möchte man sofort unterschreiben, dass das Bunte in dieser Gestalt die Lebensqualität steigert. Zugleich fragt man sich, warum es heutzutage keine bunten Türen mehr gibt oder überhaupt so wenige Farbkonzepte?
Ein Architekturbüro, das heute erfolgreich mit Farbe arbeitet, ist Sauerbruch Hutton aus Berlin. Matthias Sauerbruch sagt, es sei kein Widerspruch, sowohl künstlerischspielerisch als auch funktionalpragmatisch zu sein. Auf das richtige Maß komme es an. Er begründet das Weglassen von Farbe heute damit, dass sie eben doch kein kostengünstiger Faktor sei. Ein Farbkonzept zu entwickeln, sei viel Arbeit, koste viel Zeit und am Ende daher doch mehr Geld. Während des Prozesses sei es außerdem schwer, die Farb-Idee zu vermitteln. Denn man müsse über Dinge sprechen, die noch nicht da sind. Weil Architekten die Überzeugungsarbeit scheuten, ließen sie es eben weiß, schwarz oder grau. Es klingt nachvollziehbar, dabei wäre die Hinwendung zum Subjektiven, zur »Pointe« in einer »ansonsten kühlen Welt der Architektur«, wie Bruno Taut es in seiner Architekturlehre formuliert, eine Chance für Architekten, ihrem Gestaltungswillen Ausdruck zu verleihen. »Ich glaube, Farbe macht einen riesigen Unterschied. Wenn wir nicht der Meinung wären, dass wir mit physischen Bedingungen, sprich: Räumen, Oberflächen und eben auch Farben, die Stimmung von Menschen heben und deren Lebensumstände verbessern könnten, dann sollten wir keine Architekten sein«, sagt Matthias Sauerbruch.
Literatur
- Bruno Tauts Hufeisensiedlung
Ben Buschfeld (Hg.), Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 2015 -
Bruno Taut Architekturlehre
ARCH+, Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Nr. 194, Oktober 2009