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Braucht der Holzbau Ornamente?

erschienen in
Zuschnitt 72 Das Ornament, Dezember 2018
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Die einfachste Form der Dekoration im Blockbau war in den einstmals ärmsten Gegenden zu finden. Aus Sparsamkeit, aus Mangel an gutem Baumaterial und erstklassigen Handwerkern waren die Balken nicht dicht gefügt. Die breiten Spalten zwischen den einzelnen Lagen wurden mit vegetabilem Dichtungsmaterial ausgestopft, das zur Sicherung außenseitig verputzt wurde. Das führte zu einer klar differenzierten Zweifärbigkeit der Wandfläche. Der Eindruck gebar die Idee, durch Auftrag richtiger Farben den Effekt zu intensivieren. Wirklich dichte Balkenlagen erfordern gutes Baumaterial und eine sehr hoch entwickelte Verbindungstechnik spezialisierter Handwerker. Deren Arbeitseinsatz war kostspielig, weil sie sehr exakt und daher langsamer bauen mussten. Es ist nicht jedermanns Sache, die horizontale Gliederung der Lagerfugen und Holzrisse einer älteren Blockbauwand als materialspezifisches Ornament zu lesen.

An den Verbindungsstellen lässt sich am deutlichsten der Entwicklungs- und Präzisionsgrad von Blockbauten erkennen. Die mit ornamentalen Mustern übersteigerte Gestaltung von Balkenköpfen an den Hausecken oder eingebundenen Zwischenwänden erlaubte dem Zimmermann, sein Können zu demonstrieren. So manche Ausformulierung macht deutlich, dass es ihm nicht um größere Festigkeit der Konstruktion ging. Der Ehrgeiz der Handwerker ließ sie in einigen Extremfällen die im Material liegenden Grenzen so weit vergessen, dass die Konstruktion Schaden nahm.

Die Bandbreite der Beispiele lässt den sehr unterschiedlichen Arbeitsaufwand erahnen. Besonders beliebt, weil nur von Spezialisten realisierbar und daher ein Distinktionsmittel, waren geschweifte Formen. Wer mit seinem Bauwerk repräsentieren wollte, wer zeigen wollte, was er sich leisten kann, der spornte den Zimmermann zu dessen Freude an, noch nicht Dagewesenes zu versuchen.

Im Skelettbau treffen wir auf vergleichbare Muster. Der vor allem im Fachwerk überschaubare Holzanteil mag seinen Beitrag dazu geleistet haben, dass Zeitströmungen, Moden und Lokalkolorite auffälliger in Erscheinung traten. Die rote Farbe der Ochsenblutanstriche hebt sich stark von den weiß getünchten verputzten Ausfachungen ab. Diese dekorativ wirkende farbliche Zweiteilung gab den englischen Häusern den Namen »black and white houses«. England wurde im Zweiten Weltkrieg weit weniger zerstört als Festlandeuropa, sodass der südliche Landesteil in nahezu jedem Dorf mit einer beeindruckenden Palette an ornamentalen Überformungen aufwartet.

Sobald konstruktive Probleme zufriedenstellend gelöst schienen, war der Weg frei, dem anscheinend inhärenten Verzierungsbedürfnis nachzugehen. Verziert wurden konstruktiv wichtige Elemente durch einfache Kerbschnitzereien und/oder farbige Fassung. Je mehr und je größere Bauteile aus der Fassadenflucht herauswuchsen, desto plastischer erschien das ganze Bauwerk. Die irgendwann notwendig gewordene gesetzlich erzwungene Rückkehr zur ebenen Fassadenfläche ließ neue Ideen für Ornamentierung aufkommen. Immer körperhaftere Schnitzereien und immer buntere Einfärbungen sollten den Verlust der Auskragungen wettmachen.

In der Gegenüberstellung von statisch oder funktionell erklärbaren Konstruktionsmaßnahmen und dekorativer Überarbeitung ergibt sich ein erstaunlich unklares Bild. Zimmerleute, professionelle Schnitzer und Anstreicher haben das eine Mal konstruktiv wichtige Elemente besonders herausgearbeitet, ein anderes Mal durch Dekor bewusst überspielt. Welcher Laie erkennt hinter einem »Sonnenrad« die Aussteifung von horizontalem und vertikalem Konstruktionselement durch Fußbänder? Dabei ist es irrelevant, ob die applizierten Texte oder Plastiken symbolischen oder dekorativen Hintergrund haben. Alle werden sie ornamental gelesen. In Südengland und Westfrankreich wurden vertikale Streben sehr eng nebeneinandergesetzt, vermeintlich ohne Diagonalstreben. Tatsächlich sind die aussteifenden Streben unsichtbar hinter dem Putzmantel verborgen. Putz half dem Zimmermann, Details vorzutäuschen, deren Realisierung zu unökonomisch gewesen wäre.

So lässt sich die einleitende Frage mit einem Zitat von Dai De aus der westlichen Han-Dynastie beantworten: »Wissen die Menschen, dass alles eine innere Schönheit besitzen muss, die aus seiner Substanz kommt, wenn es in seiner äußeren Erscheinung, in seiner Farbe und seinem Klang schön sein will?«

Fotos

© Klaus Zwerger


verfasst von

Klaus Zwerger

habilitierte sich 2012 zum historischen Holzbau. Er hat fast alle Staaten Europas sowie China und Japan zu Forschungszwecken besucht. 2015 hatte er eine Gastprofessur an der Hosei University in Tokio inne. Er ist Autor mehrerer Bücher.

Erschienen in

Zuschnitt 72
Das Ornament

Ein Ornament ist ein sich meist wiederholendes, oft abstraktes Muster mit symbolischer Funktion. Ist Holz nicht an sich schon ornamental? Man schaue sich nur die Maserungen an und bedenke, in welches andere Material man so leicht jegliches Muster fräsen kann. Im Bundwerk sind die einzelnen Balken so kunstvoll miteinander verwoben, dass die Konstruktion selbst zum Ornament wird. Wir machen uns auf die Suche nach dem Ornament im Holz.

8,00 €

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Zuschnitt 72 - Das Ornament