Seit der Antike gab es eine enge Beziehung zwischen Kunst und Rhetorik, die erst in der Moderne in Vergessenheit geriet. Architektur und bildende Kunst als solche standen von ihren Anfängen her ganz eng in Zusammenhang mit einer Kunst der Überredung und Überzeugung. Der Künstler und Architekt verglich sich in seiner Vorgangsweise mit einem Redner, der nach den Regeln der Rhetorik arbeitet. Dieses Prinzip galt für den Zeitraum der Antike über die Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, das Ornament nimmt dabei eine zentrale Stellung ein.
Bereits Vitruv wandte die Lehre vom decorum auf die Wandmalerei an, um der Lage und Funktion der jeweiligen Räume nach den Regeln der Angemessenheit zu entsprechen. In der Renaissance gewann die Rhetorik enorm an Bedeutung. Alberti bezog sich in seiner »De re aedificatoria« auf die römischen Rhetoriklehren und griff deren zentrale Kriterien der Findung, Gliederung und Ausarbeitung des Stoffes auf, daher spielte der Schmuck bzw. das Ornamentum als Träger des Ausdrucks eine wesentliche Rolle für die Überzeugungskraft. Als leitendes Prinzip galt die Angemessenheit (aptum, decorum). Alberti löste die Säule von ihrer konstruktiven Funktion ab und konvertierte sie zur Würdeform, Sebastiano Serlio integrierte die Säulenordnungen in eine umfassende Theorie, deren Bedeutung für die folgenden Jahrhunderte galt. Sebastiano Serlio hatte der Kategorie des decorum eine zentrale Stellung in der Architektur der Hochrenaissance zugewiesen, indem die inhaltliche Angemessenheit der Form zur Bedingung sine qua non wird und damit die architecture parlante der folgenden Jahrhunderte begründet.
In der Moderne wurde der Künstler autonom. Die Kunst, ursprünglich ein Handwerk, mit dem man mittels Regeln eine Darstellung von idealer Schönheit erlernen konnte, wurde zu einem Unternehmen mit dem Ziel des richtigen Selbstausdrucks. Die Rhetorik hatte bis dahin ein Referenzsystem bereitgestellt, das die Künste mit klaren Anleitungen versorgte, nun vollzog sich der Übergang zu einer neuen Kunsttheorie, die dem Ornament kritisch begegnete.
Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass bereits in der Antike ein gewisser Vorbehalt gegen das Ornament aufgrund der verführerischen Eleganz des Rhetors bestand. Platon argumentierte gegen die Sophisten, weil er ihrer Redekunst mitsamt den Verzierungen misstraute. Mit dem attischen Stil kam eine frühe Form des Purismus auf, dessen Vertreter gegen den sogenannten asiatischen Stil mit seinen Kunststücken, rhythmischen Kadenzen und seinem weit hergeholten Bilderschmuck wetterten. Auch Cicero schloss sich zögernd dieser Anschauung an und attestierte dem attischen Stil aufgrund seiner Schlichtheit und Vermeidung von Künstelei eine beachtliche Kraft und Würde, wenngleich er ihn nur für bestimmte Anlässe reservierte.
Auch in der Architektur der Moderne spiegelte sich diese Problematik durch die Frage nach dem ornatus paradigmatisch wider. Louis H. Sullivan konnte sich bereits Gebäude ohne Ornament vorstellen, wenn die konstruktive Klarheit gegeben ist, dennoch plädierte er noch für das Ornament, wenn es aus dem organischen Prinzip von Funktion und Form erwachsen ist und dieses ausdrückt. Langsam setzte sich aber der eindeutige Vorrang der Konstruktion durch und dem Ornament wurde nur noch in besonderen Fällen eine dekorative Rolle zugestanden, wenn es organisch vertretbar war. Loos erteilte dem Ornament bekanntlich in mehreren Aufsätzen eine deutliche Absage, weil der Gebrauchswert der Dinge im Vordergrund stand und keine zusätzliche Verzierung erforderte. Wenig später wurde im Funktionalismus die Form völlig dem Verwendungszweck untergeordnet, was den absoluten Verzicht auf ornamentale Ausschmückung implizierte. All das stand im Zeichen einer vermeintlichen Wende zur Wahrheit, die das wirkliche Wesen nicht hinter Ornamenten verbirgt.
In der Postmoderne erhielt das Ornament aufgrund der Einflüsse des Surrealismus, wie etwa der Situationisten, durch das Zulassen einer anderen Symbolik eine neue Bewertung. Die radikale Ablehnung des Ornaments durch die klassische Moderne wurde als lustfeindlich und gegen die menschliche Triebstruktur gerichtet eingeschätzt.
Damit treffen gegenwärtig zwei unterschiedliche Bewertungen des Ornaments aufeinander, die eine auf der puristischen Tradition fußend, die andere dem Denken des Surrealismus folgend, auf Spiel und Einschränkung der Kontrolle bezogen. Dementsprechend kann man nun neue, noch zögerliche Schritte zu einer wachsenden Akzeptanz des Ornaments beobachten. Denn eine Eigenschaft des Ornaments war im Grunde immer unbestritten: die Steigerung von Fantasie und Einbildungskraft.
Foto
© Klaus Zwerger