Was hat es für einen Sinn, echtes Holz mit vorgetäuschtem Holz zu übermalen? Es sind zunächst ökonomische Gründe: Im 19. Jahrhundert ist die Technik der Holzmalerei, die verschiedene Holzarten imitiert, angesehen und verbreitet. Viele gründerzeitliche Eingangs- und Wohnungstüren, die aus kostengünstigem Weichholz bestehen, sind mit einer Öllasur gestrichen, die die Maserung edler Holzarten wie Zitronenholz, Palisander oder Mahagoni nachahmt. Diese Art der Holzimitation auf Echtholzgrund – auch „Fladern“ genannt – ermöglichte es nicht nur, das Holzmaserbild eines tangential geschnittenen Bretts naturgetreu wiederzugeben, sondern auch das Idealbild einer Holzoberfläche zu erzeugen. Während man in der Tischlerei mit den unterschiedlichen Qualitäten des Naturholzes zurechtkommen musste, konnten die Dekorationsmalerinnen und -maler das Holz immer in seiner Bestform in Erscheinung treten lassen. Die holzimitierenden Ölfarbenanstriche sind zudem sehr haltbar und haben sich als Schutzschicht auf dem Holzgrund lange bewährt. Als Grundierung wird eine „magere“ Ölfarbe aufgetragen, dann mit einer Bier- oder Essiglasur das Maserbild mit dem Fladerpinsel erzeugt. Weitere Werkzeuge sind der Schläger zum Nachahmen der Holzporen, der Zackenpinsel und Gänsefedern für die Feinzeichnung der Jahresringe. Die Ergebnisse sind erstaunlich, die gemalten Holzarten von den echten Vorbildern kaum zu unterscheiden. Nachdem das Kunsthandwerk der Holzdekorationsmalerei um 1870 seinen Höhepunkt erreicht hat, gerät es am Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich in Vergessenheit. Die Moderne, die mit dem Wahrhaftigkeitsdogma einer „Materialehrlichkeit“ antritt, erblickt in der Holzimitationsmalerei nur noch den Aspekt des Surrogats. „Man kann Holz in jeder Farbe anstreichen, nur nicht in der Holzfarbe“, so der trockene Kommentar von Adolf Loos. Die Materialimitationstechniken wie Stuckmarmor, Stuccolustro und Holzmalerei, die es im Historismus zu großer Blüte gebracht haben, erscheinen nun nicht mehr zeitgemäß.
Aber auch das 20. Jahrhundert kommt nicht lange ohne Holznachahmungstechniken aus und entwickelt neue und immer kostengünstigere Methoden zur Herstellung von Ersatzstoffen. Die industrielle Fertigung von Bau- oder Dekorteilen, die bereits im 19. Jahrhundert das Bauwesen revolutionierte, treibt nun vor allem im Bereich der Werkstoffimitationen neue Blüten. Bereits in den 1920er-Jahren werden für Arbeitsflächen, Fensterbretter oder Lamperien vermehrt Laminatwerkstoffe eingesetzt. Dabei gehen der Fortschritt in der Kunststoffentwicklung und das Schwinden des Handwerks Hand in Hand. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg scheint sich die Gesellschaft geradezu nach Künstlichkeit zu sehnen – Parkettfußböden werden mit Acrylteppichen zugeklebt, zugige Holzfenster durch dichte und wartungsarme Plastikfenster ersetzt. Anstelle der alten Holztürblätter hängen in den Türangeln nun Spanplatten, auf denen eine wischfreundliche Folie mit oder ohne Holzdekor klebt.
Am Ende des 20. Jahrhunderts verschafft die Aura der Natürlichkeit den Holzimitationen erneut Konjunktur. Heutige Laminatböden, deren Trägermaterial meist MDF-Platten sind, sind von Echtholzböden kaum zu unterscheiden (wenn man sie nicht barfuß betritt). In der Angebotspalette der Baumärkte finden sich unzählige Scheinholzprodukte wie Bodenfliesen in Holzoptik, Küchenfronten mit einer Holzbeschichtung aus Melaminharz, Schichtstoff oder Lacklaminat, Fototapeten mit aufgedruckter Bretterwand und vieles mehr. Bei zahlreichen dieser Produkte zeichnet sich im Anspruch an das Fake-Holz jedoch ein Paradigmenwechsel ab: Die beim einstigen „Fladern“ angestrebte Optimierung des Maserbilds wurde allmählich durch die Imitation von Natürlichkeit an sich abgelöst. Bei manchen Produkten – etwa einem Landhausdielenboden aus Laminat – ist inzwischen auch die Haptik eines Bretts mit all seinen Unregelmäßigkeiten und „Naturholzfehlern“ eingeprägt. (Der Perfektionismus der Imitationsindustrie macht sich nun also auch über ausbrechende Astlöcher her.) Das Ersatzprodukt ist dann nicht mehr das (teure) Echtholz, sondern die Irregularität des Natürlichen selbst, die in der Glätte moderner Kunststoffe abhandengekommen ist. Angesichts dieser Spielarten des täuschend echten Falschen kann man Holzimitationen, die sich nur eine der natürlichen Eigenschaften des Holzes angeeignet haben – z. B. das Maserbild – als wahrhaftigen oder ironischen Umgang mit dem Fake ansehen. Wer das Kunsthandwerk des Fladerns nicht beherrscht, kann heute zum „Maserboy“ greifen, einem Werkzeug mit Gummimaserprofil zum Abziehen des Farbanstrichs auf beliebigem Grund. Auch lasergefräste Schablonen mit unterschiedlichen Holzmaserungen sind in allen Formaten und Designs erhältlich. Eine handelsübliche profilierte Farbwalze mit Holzmaserung benutzte auch der Wiener Architekt und Künstler Heinz Frank, als er die Wände seiner eigenen Wohnung mit einer gemalten Lamperie versah. Er tat dies aber in einer Konsequenz, die den Widerspruch zwischen Echt und Falsch auflöst und den Schein zur Kunst erhebt.