Zum Hauptinhalt springen

Die Welt mit Holz entdecken
Spielzeug aus Holz

erschienen in
Zuschnitt 83 Holz im Alltag, Dezember 2021

Pieter Bruegels Gemälde „Die Kinderspiele“ (um 1560) bildet achtzig Kinderspiele ab und ist damit eine Momentaufnahme der Niederlande im 16. Jahrhundert. 400 Jahre später diente nach Ansicht von Roland Barthes das Gros des französischen Spielzeugs dazu, das Kind auf seine Zukunft vorzubereiten. Darunter fänden sich kaum erfundene Dinge und Formen, wodurch die Nutzung des Spielzeugs bereits stark vorgegeben sei und kaum Raum für die Entfaltung der Fantasie des Kindes lasse. Da das Spielzeug bereits immer schon etwas bedeute, trete das Kind im Spiel nur als Nutzer, niemals aber als Schöpfer eigener Welten hervor. Als Zeitdokumente werfen Bild und Text die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Spielarten und -formen des Kindes und der Gesellschaft, in die es eingebettet ist, auf. Was sagen die Spielzeuge über die Kultur und Zeit aus, in der sie entwickelt und gespielt wurden bzw. immer noch werden?

Mit dem Aufkommen von Entwicklungspsychologie und pädagogischen Ansätzen der ganzheitlich orientierten Erziehung Ende des 18. Jahrhunderts verschiebt sich der Fokus vom Kind als „noch nicht fertigem Erwachsenen“ hin zur Auffassung der frühesten Kindheit als einer eigenen, spezifischen Phase der menschlichen Entwicklung. Es entstehen erste Versionen von „pädagogisch wertvollem“ Spielzeug. Die sogenannten „Spielgaben“ des Pädagogen Friedrich Fröbel beispielsweise sollten die kindliche Eigenkreativität fördern und die freie und selbsttätige Entwicklung bestärken. Als „offene Materialien“ laden etwa Holzbausteine Kinder zum Ausprobieren und Entdecken ein. Diese können die Kontrolle über das Spielszenario selbst übernehmen, weil ihnen nicht durch (versteckte) didaktische Absichten ein konkreter Spielablauf vorgeben wird. Die reduzierte Form, die natürliche und warme Haptik, der Geruch, die Einzigartigkeit eines jeden Bausteins aufgrund seiner Maserung, seine Langlebigkeit, vor allem aber seine vermeintliche „Zwecklosigkeit“ eröffnen unendlich viele Varianten des Spiels. Auf spielerischem Weg werden dabei jedoch kognitive und motorische Fähigkeiten wie lösungsorientiertes Denken und Feinmotorik geschult.

Im Jahr 1899 erfand der Wiener Johann Baptist Korbuly, Geometer und Bauleiter der Grazer Schlossbergbahn, den Holzkonstruktionsbaukasten Matador. Durch stabförmige hölzerne Verbindungselemente und dazu passende Bohrungen ließen sich Klötze, Leisten und Räder aus Buchenholz miteinander kombinieren. 1901 erhielt Korbuly ein Patent für den Baukasten, 1906 eröffnete er den ersten Verkaufsladen am Wiener Graben – mit vollem Erfolg. Ende der 1970er Jahre eroberten Plastikspielzeuge wie Lego und Playmobil den Markt. Der Versuch, Matador an den Zeitgeist anzupassen, indem die Holzteile durch Plastikteile ersetzt wurden, scheiterte. 1987 wurde die Produktion eingestellt. Knapp zehn Jahre später, unter neuer Leitung, wurde die Produktion des altbewährten Holzbaukastens in seiner ursprünglichen Form wieder aufgenommen.

Um 1900, im Rahmen der Reformbewegung des Kunstgewerbes, kam der Förderung der kindlichen Kreativität und künstlerischen Entwicklung eine zentrale Rolle zu. Die Protagonistinnen und Protagonisten neu gegründeter Vereinigungen wie der Wiener Werkstätte strebten zusammen mit der Wiener Kunstgewerbeschule und der Secession im Sinne des Gesamtkunstwerks die Gestaltung des gesamten Lebensbereichs der Menschen an. Auch Entwürfe für Holzspielzeuge finden sich darin, die von Fabelwesen und puppenartigen Skulpturen bis hin zu Stadtbauklötzen reichten.

Eine zentrale Rolle nahm die Herstellung von Spielzeug auch am Bauhaus ein. Die Zusammenführung von Entwurf, Holzbearbeitung und farbiger Gestaltung eines Designobjekts in einer Anwendungsaufgabe stellt eine durchaus komplexe Aufgabe dar. Das wohl bekannteste „Spielzeug“ dieser Epoche stammt von Alma Siedhoff-Buscher, die 1923 das 22-teilige Schiffbauspiel entwarf, das bis heute produziert wird. Dafür werden aus zwei Ahorn-Holzleisten ohne Verschnitt einzelne geometrische Formen herausgearbeitet, die zu einem Schiff zusammengefügt werden können. Diese Art der Nutzung ist aber keineswegs vorgegeben. Sie selbst beschrieb das Schiffbauspiel wie folgt: „Es will nichts sein – kein Kubismus, kein Expressionismus, nur ein lustiges Farbenspiel aus glatten und eckigen Formen nach dem Prinzip der alten Baukästen“, mit dem Kinder „grenzenlose Wolkenkuckucksheime zimmern“ können sollten.

Das Jahr 1986 stellt das gemeinsame, offizielle Geburtsdatum von Kapla und Cuboro dar. Bereits 1976 erzeugte der Schweizer Mechaniker und Sonderpädagoge Matthias Etter den ersten Prototypen des modularen Kugelbahnsystems Cuboro – aus Ton. Bis 1979 entwickelte Etter das System weiter, ein erstes Set aus 48 Elementen aus Tannenholz entstand. Die heutige Version besteht aus bis zu 100 verschiedenen Elementen, gefertigt aus naturbelassenem Schweizer Buchenholz. Das System beruht darauf, dass Würfel mit Rinnen und Tunneln unterschiedlich zusammengesetzt werden können und so eine Kugelbahn bilden. Das Spiel zeichnet sich durch seine Einfachheit, Kombinierbarkeit und die unendliche Fortführung der Konstruktion aus. Die Anordnung muss stetig kontrolliert und verändert werden, um den Lauf der Kugel zu ermöglichen, und fördert damit das logische Denken, das Ertasten sowie den Mut zum Ausprobieren und Experimentieren.

Ende der 1960er Jahre versuchte der niederländische Kunsthistoriker und Antiquitätensammler Tom van der Bruggen mithilfe von konventionellen Holzklötzen ein Architekturmodell anzufertigen, scheiterte jedoch aufgrund der zu groben Dimensionierung und beschloss daher, seine eigenen Bausteine zu entwickeln: Kapla besteht aus uniformen Bausteinen mit den Maßen 120 mal 24 mal 8 mm und stellt damit wohl die einfachste Variante eines Holzbauspiels dar. Gefertigt werden die Klötze aus unbehandeltem Pinienholz, das aus einem nachhaltig bewirtschafteten Wald in Südfrankreich stammt. Aufgrund der Offenheit und Undefiniertheit des Spiels ist es für Kinder, Jugendliche und Erwachsene jeden Alters zugänglich und motiviert spielerisch die Verräumlichung eigener Vorstellungswelten.

„Holz behält jede Form, die man ihm gibt, vermeidet Verletzungen durch scharfe Kanten, die chemische Kälte des Metalls; wenn das Kind mit ihm hantiert und gegen es stößt, zittert und quietscht es nicht, es gibt einen satten und zugleich klaren Ton von sich; es ist eine vertraute und poetische Materie, welche die Berührung fortführt, die das Kind mit dem Baum, dem Tisch, der Diele hat. Holz verletzt nicht, geht nicht kaputt; es zerbricht nicht, sondern verschleißt; es kann lange halten, mit dem Kind leben, nach und nach die Verhältnisse zwischen dem Gegenstand und der Hand verändern; und wenn es stirbt, dann so, daß es schrumpft und nicht sich aufbläht wie jene mechanischen Spielsachen, die durch den Bruch einer überspannten Feder den Geist aufgeben. Aus Holz werden wesentliche Dinge, Gegenstände von Dauer.“

Roland Barthes: Spielsachen, in: Mythen des Alltags, Berlin 2010, S. 74 – 76

Die Reduziertheit der hier vorgestellten Holzspielzeuge und ihre hochwertige Fertigung mit Fokus auf die regionale und nachhaltige Nutzung der Wälder macht sie allesamt zu sowohl visuell als auch haptisch schönen Alltagselementen, mit denen teilweise über mehrere Generationen hinweg gespielt werden kann. Alle diese Eigenschaften entsprechen den Vorstellungen von Roland Barthes für gutes Spielzeug, denn „es kann lange halten, mit dem Kind leben, nach und nach die Verhältnisse zwischen dem Gegenstand und der Hand verändern. [...] Aus Holz werden wesentliche Dinge, Gegenstände von Dauer.“


verfasst von

Linda Lackner

Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 83
Holz im Alltag

In diesem Zuschnitt zeigen wir, in welcher Vielfalt uns Holz täglich begegnet!

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 83 - Holz im Alltag