Jedes Jahr wachsen in Österreichs Wäldern rund 30 Mio. m3 Holz nach. Das entspricht rund 1 m3 Holz pro Sekunde oder rund 2.000 Einfamilienhäusern aus Holz pro Tag. Der Wald liefert aber nicht nur Material zum Bauen von Häusern. Die heimischen Holzressourcen werden sehr unterschiedlich genutzt, die Anwendungsbereiche sind vielfältig. Was alles wird daraus hergestellt? Wo begegnet uns Holz, augenscheinlich oder auch unvermutet? Ein Blick auf den Holzfluss – also jene Wege, die das Holz von der Ernte bis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern seiner Eignung zufolge durchläuft – schafft eine Übersicht über die Verwendungsmöglichkeiten und über die Bandbreite der Produkte, die aus dem nachhaltigen Rohstoff entstehen können. Das in Österreich genutzte Holzaufkommen setzt sich größtenteils aus der hierzulande gewonnenen Holzernte sowie zusätzlichen Mengen aus Importen zusammen. Die ersten Pfade des insgesamt verfügbaren Rundholzes sind durch seine Hauptverwendungen bestimmt und in folgende Sortimente unterteilt: Stammholz (Sägerundholz), Industrieholz und Brennholz. Stamm- und Industrieholz machen bis zu 80 Prozent des gesamten Aufkommens aus und werden durch die Säge-, Papier-, Platten- und holzverarbeitende Industrie einer stofflichen Nutzung zugeführt. Ein Teil davon kann nach einer oder mehreren Kaskaden noch energetisch genutzt werden. An die 20 Prozent fließen als Brennholz direkt in die energetische Verwendung.
Holz kann zu Werkstoffen, Möbeln, Papier und Schnittholz verarbeitet oder in Form von Scheitholz, Pellets und Hackgut direkt energetisch zur Produktion von Strom oder Wärme genutzt werden. Diese Verwendungen sind uns bewusst. Doch es gibt noch viele weitere Produkte, in denen Holz in den ungewöhnlichsten Formen zum Einsatz kommt. Viele davon haben wir im Alltag in Verwendung bzw. täglich vor Augen und würden sie doch nicht unmittelbar mit dem nachwachsenden Rohstoff aus dem Wald in Verbindung bringen. Unvermutet begegnen wir Holz oft vor allem dort, wo es als chemisch zerlegte Komponente wie Zellulose, Hemizellulose, Holzzucker oder Lignin vorkommt, um nur einige zu nennen.
Kleidsames Holz
Zwar stammt die Baumwolle – trotz ihres Namens – nicht von Bäumen, doch viele andere in der Bekleidungsindustrie verwendete Fasern werden aus Holz gewonnen. Das macht das Kleidungsstück jedoch nicht grob und kratzig, im Gegenteil. Ist auf dem Label als Bestandteil Viskose vermerkt, kann deren Basis die in mehreren Schritten verarbeitete Zellulose aus Buchenholz sein. Heraus kommt eine weiche, feine Fasermischung, zu 100 Prozent aus Holz. Aufgrund des Produktionsprozesses gilt sie jedoch irreführenderweise als Chemiefaser. Bereits seit 1900 wird Viskose in der Textilverarbeitung verwendet und ist mittlerweile ein Klassiker. In weiterentwickelter Form sind heute auch Modal oder Lyocell bekannt. Letztere Faser gilt aufgrund verbesserter Produktionsverfahren als umweltfreundliche Alternative zur Viskose. Doch egal ob Viskose, Modal oder Lyocell: Sie alle werden aus der nachwachsenden Ressource Holz hergestellt. Ihr Vorteil gegenüber den auf Erdöl basierenden synthetischen Fasern liegt auch in der Eigenschaft, Feuchtigkeit zu absorbieren und wieder abzugeben. Während die Synthetikfaser Polyester beispielsweise Feuchtigkeit kondensiert, reduziert diese Art der Feuchteregulierung das Bakterienwachstum: ein Vorteil in puncto Hygiene und Geruch.
Hölzerner Genuss
Ein gutes Stück Holz ist nicht nur ein Leckerbissen für Biber, Holzwurm und Co. – nicht selten steht auch bei uns Holz auf der Speisekarte. Als Lebensmittelzusatzstoff mit der Nummer E460 macht Zellulose Speiseeis und Pudding besonders cremig, hält Schlagobers auf der Torte stabil und verleiht Soßen eine sämige Konsistenz. Als Trennmittel nehmen wir Zellulose beispielsweise beim Trinken von Orangensaft zu uns. Sie bewirkt die gleichmäßige Verteilung von festeren und weniger festen Bestandteilen, wodurch sich das Fruchtmark nicht auf dem Boden des Glases ablagert, sondern das Getränk, gut durchmischt, auch optisch ein Genuss ist. Weniger schmackhaft, aber zweckdienlich ist der Einsatz in Medikamenten. Um eine kleinste Menge einer Wirksubstanz verabreichbar zu machen, bestehen Tabletten zumeist hauptsächliche aus einem Füllstoff – und zwar auf Basis von Zellulose. Der Verzehr ist in diesem Fall sogar gesundheitsförderlich. Die Gerüstsubstanz von Holz regt außerdem das reibungslose Funktionieren des Darmtraktes an, ist aber gänzlich unverdaulich, was sie zum besonders beliebten Bestandteil kalorienreduzierter Lebensmittel macht. In Japan ist sogar ein Diät-Trend auf den Zusatzstoff zurückzuführen. Die über hundert Jahre alte Textilfirma Omikenshi Co. mit Sitz in Osaka hat sich neben der Herstellung von Handtüchern auf jene von Nudeln spezialisiert. Die Baumnudeln schlagen mit nur ca. 10 Kalorien pro 100 Gramm auf den Bauch – statt der satten 150, die gekochte Spaghetti haben. Sollte das Geschmackserlebnis nicht zufriedenstellend ausfallen, kann die Zugabe von Aromen – ebenfalls aus Holz gewonnen – das Gericht aufpeppen. Hierzu sind entweder Raucharomen, die bei der Verbrennung von Holz entstehen, zu empfehlen oder auch 4-Hydroxy-3-methoxybenzaldehyd, besser bekannt als Vanillin. Der Bedarf an diesem mengenmäßig weltweit wichtigsten Aromastoff kann nur zu einem Bruchteil durch die Anzucht von Vanilleschoten gedeckt werden. Der Einsatz alternativer Vanillearomen ist letztlich auch eine Preisfrage. Der natürliche Aromastoff ist bis zu 200 Mal teurer als der synthetische.
Holz, einfach dufte!
Gewonnen wird das holzbasierte Vanillin aus Lignin, das unter anderem als Nebenprodukt in der Papierherstellung anfällt. Hier wird es aus dem Holz herausgelöst, da es sonst zur Vergilbung führt. Reste davon lassen sich von feinen Nasen erschnuppern: Der typische Geruch von altem Papier, leicht vanillig, ist auf das verbliebe Lignin zurückzuführen. Etwas bekannter ist die olfaktorische Komponente von Holz bei im Barrique ausgebauten Weinen. Hier ist ebenfalls Lignin der aromabildende Bestandteil. Seine Komplexität erlaubt unterschiedlichste Verwendungen. Als Aroma in Form von Vanille-, Schokolade- und Karamellnoten lässt es die Herzen zahlreicher Weinfans schmelzen, ebenso hält es als Binde- und Stabilisierungsmaterial Betone und Zemente im Fluss. Betonverflüssiger auf Basis von Lignin sind maßgeblich dafür, wie gut Beton fließt und wie schnell er sich verfestigt. Durch ihre Zugabe lässt sich die für die Verarbeitung benötigte Wassermenge reduzieren. So wie das Lignin die Fasern des Holzes im Baum miteinander verkittet, erzeugt der geringere Wassergehalt beim Beton größere Homogenität und höhere Dichte – Baum und Beton erhalten so die nötige bzw. eine bessere Druckfestigkeit. Hier schließt sich der Kreis.
Direkt vor unserer Haustür wächst ein Rohstoff, dessen Nutzungspotenzial ebenso überraschend wie unbegrenzt scheint und der, von Fantasie und Forschungstätigkeit beflügelt, für innovativen und ressourcenbewussten Einsatz steht. Die ungewöhnliche Auswahl an hier kurz vorgestellten Verwendungen zeigt jedenfalls: Holz ist überall!
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Ein Überblick über den Stofffluss und die Nutzung von Holz wird jährlich von der Österreichischen Energieagentur erstellt. Sämtliche Daten seit dem Jahr 2010 stehen online zur Verfügung.