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Holztransport

erschienen in
Zuschnitt 83 Holz im Alltag, Dezember 2021

Der 1937 geborene amerikanische Maler, Grafiker, Fotograf und Filmemacher Ed Ruscha antwortete auf die Frage, aus welchen Beweggründen er sich für seine Form der Kunst entschied: „Wie soll man mit einem großen Stück Holz durch die Stadt laufen?“ Er meinte sinngemäß, dass Bildhauerei für ihn alleine wegen der Transportfrage nicht infrage gekommen sei. Er dachte praktisch, ein Stück Papier ist einfach mobiler als eine Skulptur.

Man kann das auch beim einfachen Mann oder der einfachen Frau auf der Straße sehen, wenn er oder sie alleine und zu Fuß ein Möbelstück transportiert, beispielsweise ein Sitzmöbel, oder mit ihm an der Bushaltestelle auf den Bus wartet und dann im Bus ist, dass niemals auf dem Möbel gesessen wird, was ja praktisch wäre, aber man macht es nicht, und wenn, dann grinst man verlegen, als wäre das eine absurde, falsche Idee, ein schlechter Witz, diese Möbel außerhalb ihres, nun ja, Habitats zu benutzen, als sei das nicht richtig, würde die Ordnung stören, als wären die Möbel nur Gepäcksstücke, die man durch nicht ordnungsgemäßes Sitzen entweiht. Anders ist es in der Adventszeit, wenn man sich einen Christbaum kauft, ihn durch die Stadt in die Wohnung transportiert, den Kontext kann jeder herstellen, das ist ein notwendiger Holztransport durch die Stadt, dafür hat jeder Verständnis. Dennoch sieht man den Trägern an, dass sie unsicher sind, weil dieser Akt eben nur einmal im Jahr passiert. Das liegt daran, dass vieles, was wir in der Öffentlichkeit machen, beobachtet wird, wir haben ein Publikum, und je seltener diese Tätigkeit, desto eher haben wir so etwas wie Lampenfieber, wie werden die Passanten reagieren, spottend bei einem zu kleinen Baum, oder aber auch bei einem zu großen, angeberischen?

Zum Auffallen in der Öffentlichkeit braucht man Mut. Wir gerieren uns zwar als Individualisten, aber fügen uns lieber in eine Schwarmordnung, weil
wir vielleicht glauben, zu viel Abweichung würde den Schwarm, die geordnete Gesellschaft, aus der Harmonie bringen. Selbst der Individualrebell, der bei Rot über die Ampel geht, macht das für ein Publikum und fühlt sich geringfügig wie ein Schauspieler, von manchen für seinen Mut bewundert, von anderen verachtet, vielleicht sogar, weil man selbst nicht so mutig ist, sich über das Gesetz zu stellen. Seine Attitüde dient vielleicht auch weniger einem erzieherischen Impuls, sich gegen die für ihn fragwürdigen Regeln zu stellen, sondern ist eher ein verzweifeltes Defizit an gesundem Individualismus.

Aber sich im Bus auf den mitgebrachten Stuhl zu setzen, bricht ja kein Gesetz, mit dem gelösten Fahrschein ist man ja nicht verpflichtet, auf einem Bussitz Platz zu nehmen oder zu stehen. Aber es ist einfach „das andere“, das uns schüchtern macht, nervös.

Wenn Weihnachten endet, schmeißt man in Schweden, das ist so Brauch, den nun funktionslos gewordenen Baum einfach aus dem Fenster, die Stadtreinigung transportiert das dann einfach ab, damit ist man die zweite Bühne los, mit einem sozusagen abgelaufenen, nadelnden Baum zum dafür vorgesehenen Sammelplatz zu gehen und je nach Nadelungsgrad von der Gesellschaft beurteilt zu werden, ob man den Baum zu früh (legt wohl keinen Wert auf Tradition) oder zu spät (ist zu faul) durch die Stadt schleppt.

Wie es wohl Jesus ergangen sein muss, als er vor ca. 2.000 Jahren ein großes Stück Holz durch die Stadt schleppte? Kam ja nun auch nicht alle Tage vor. Aber er hatte ja vorher schon eine Reihe von Bühnen, war es also gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Nun kam bei ihm dazu, dass das Stück Holz sehr schwer war, vielleicht hätte er sich eine Busverbindung zum Zielort gewünscht, oder zumindest ein leichteres Transportgut, einen Stuhl vielleicht, auf dem er sich immer wieder hätte ausruhen können. Ihm hätte es mit Sicherheit nichts ausgemacht, im Bus auf dem Mitgebrachten zu sitzen, vielleicht hätte man das sogar von ihm erwartet, man hätte ihn für diese kluge Lösung bewundert, daraus wäre eine Bewegung entstanden, und am Ende wäre es sogar ganz normal geworden, wenn Buspassagiere ihre eigenen Sitzgelegenheiten mitbringen, weil die Busunternehmen schon von vorneherein ihre Fahrzeuge unmöbliert ausgestattet hätten. Andererseits, wenn Jesus bequem herumgekommen wäre, wäre es vermutlich nicht zu der Bewegung gekommen, die am Ende dafür sorgte, dass wir uns einmal im Jahr Nadelbäume in unsere Stuben holen und mit allerlei Schnickschnack behängen, um sie ein paar Tage oder Wochen später wieder zu entsorgen wie leere Flaschen.

Den Baum hätten wir also nicht, und vielleicht gäbe es an irgendeinem Tag im Jahr den Tag des Sitzmöbels, man würde den Stuhl in frommen Liedern besingen und ihn erst entsorgen müssen, wenn der Holzwurm ihn schon fast gefressen hätte.


verfasst von

Tex Rubinowitz

ist Zeichner, Maler, Cartoonist, Reisejournalist und Schriftsteller. Er lebt in Wien und wurde 2014 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.

Erschienen in

Zuschnitt 83
Holz im Alltag

In diesem Zuschnitt zeigen wir, in welcher Vielfalt uns Holz täglich begegnet!

8,00 €

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Zuschnitt 83 - Holz im Alltag