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Im Dazwischen
Formgeber aus Holz

erschienen in
Zuschnitt 83 Holz im Alltag, Dezember 2021

Kommt Holz formend zum Einsatz, ist von Holzmodeln wenig die Rede. Als Mittler zwischen Kopf und Hut, Fuß und Schuh gehören sie ins Reich traditioneller Handwerkstechniken. Hut- und Schuhmacherinnen und -macher arbeiten mit massiven Formhölzern, sie bauen ihr Stück rund um einen Leisten oder einen Kopfmodel auf. Im Lebensmittelbereich sind es Hohlformen, die einem Stück Butter, einem Laib Käse oder einem Gebäck die gewünschte Form geben. In Slowenien ist das Schnitzen von Negativformen für Honigbrote seit 2018 als immaterielles Kulturerbe gelistet. Kulturhistorisch interessant ist nicht nur das Wissen um diese Dinge, erinnerungswürdig ist auch das Nebeneinander ganz ähnlicher Entwicklungen in den unterschiedlichsten Gewerken. Mit einem Model dazwischen.

Ein Beispiel aus der Käseherstellung ist der „Backsteiner“. In Form und Proportion gleicht der aus dem Raum Limburg stammende Weichkäse einem klassischen Backsteinziegel. Käse wie Ziegel sind von einer Holzform geprägt. In der niederösterreichischen Kartause Mauerbach wird diese traditionelle Technik des Ziegelmachens noch handwerklich vermittelt, an Tagen des Denkmals öffentlich vorgeführt. Dabei wird eine Masse aus Lehm in hölzerne Formen geklatscht, gerüttelt und geschüttelt, herausgenommen und dann gebrannt. Sein käsiges Pendant wurde zum Ablaufen der Molke in gelochte Holzformen gefüllt. Mit der Ausbreitung dieser Machart ist aus dem „Backsteiner“ dort und da ein Bach- oder Bachensteiner geworden, der Bezug zum Ziegel ist im Namen und in der Proportion verschwunden. Nicht nur beim Weichkäse, auch beim Hartkäse sind Holzformen und Holzeigenschaften herstellungsrelevant. Beim Versennen einer Milch zu Berg- oder Alpkäse kommt die Milch zum Abstehen über Nacht in Gebsen. Eine Gebse ist ein vom Küfer gemachtes flaches Gefäß aus Holz, im Alpenraum sind klassische Milchgebsen aus Fichtenholz. Dieses fördert das natürliche Vorreifen der Milch, die niedere und flache Form der Gebse das Abrahmen. Das Drücken und Pressen des handgeschöpften Käsebruchs in hölzerne Reifen bestimmte nicht nur Größe und Form des Käselaibs, das Holz half zudem beim Aufbauen eines gesunden Mikroklimas.

Wie Stuckateure mit Zuckerbäckern bildhauerisch verbandelt sind, zeigt ein Beispiel aus dem Bregenzerwald. Im neu eröffneten Barockbaumeistermuseum in Au ist das Schaffen einer Stuckateurfamilie dokumentiert. Deren Mitglieder waren mit den Baumeistern u. a. im klösterlichen Kulturraum in der Schweiz tätig, wo sie im frühen 18. Jahrhundert noch mit Hohlformen aus Holz arbeiteten. Dabei wurden Druckmodel aus Hartholz in die noch geschmeidige Stuckmasse an Wand und Decke gepresst. Nach demselben Verfahren wurde in dieser Gegend eine unter dem Namen Springerle bekannte Anisbäckerei hergestellt. Dazu wird eine Masse aus Teig in einen handgeschnitzten und verzierten Model aus Holz gedrückt. Den Stuckateuren aus der Auer Familie Moosbrugger hat dieses feine Anisgebäck wohl gut geschmeckt, der technische Zugang war ihnen ohnehin von der eigenen Arbeit vertraut. So stellten sie, wohl mit Unterstützung ihrer Frauen, die Springerle fortan selbst her und verkauften sie, man staune, als „Moosbruggerli“ auf dem Markt. Im traditionsreichen „Berner Kochbuch“ sind sie unter diesem Namen noch überliefert. Im Museumsshop ist die handgemachte Spezialität wieder erhältlich, hergestellt wird sie von einer Bäuerin aus dem Dorf. Form und Bild verdankt das Gebäck einem handgeschnitzten Model aus Lindenholz, aber nicht nur. Geht der Teig nämlich nicht auf, ist auch das reliefartige Bild verloren. Die Herstellung ist eine heikle Sache, denn der aus Zucker, Eiern, Mehl und Anis gemachte Teig will gut gerührt und gewalkt sein, möchte dann 12 bis 24 Stunden in einer angenehmen Temperatur ohne Durchzug in Ruhe trocknen. Nur so bekomme das schöne Anisbrot sein markantes Füßchen.

Nah am Fuß ist auch der Maßschuh. Die Schuhmacherin Ina Rüf formt ihn mithilfe eines Leistens. Zuerst nimmt sie das Maß an den Füßen, misst Länge, Ballen, Fersen und Rist und macht einen Abdruck. Dann sucht sie aus einer Kollektion von Leistentypen das passende Modell aus, wählt zwischen runden, spitzen, schlanken, breiten, abgeflachten oder steilen Grundformen. In einer ersten Anprobe mit einem Probeschuh wird der Maßleisten geprüft und angepasst, sind letzte Änderungen in Form, Machart und Material möglich. Die Leisten stehen nach Fertigstellung der Schuhe in einem Regal, fein säuberlich mit Namen und Datum beschriftet, für weitere Modelle parat. Mit Kunststoffleisten zu arbeiten, kann sich Ina Rüf nicht vorstellen, das Arbeiten mit einem „Holz“ sei ihr einfach lieber.

Das Hutmacherhandwerk, vereinzelt noch ausgeübt, war einst ein prominenter Geschäftszweig. In Zagreb gab es im späten 19. Jahrhundert an die fünfzig Hutmacher, heute sind es noch drei. In Wien ist der Hutmacher Mühlbauer eine Institution. Ausgangsmaterial für seine klassischen Woll- und Filzhüte ist der Hutstumpen. Dieser wird von Hand in feuchtem Zustand auf die Hutform aus Holz gezogen und darauf fixiert. Der geformte, noch feuchte Hut wird sodann getrocknet. Nach dem Trocknen hat der Hut seine Form und kann fertig genäht, „garniert“ werden. Als Zeugen und Mittler einer hochstehenden Hutkultur stehen die Holzmodel von nun an im Regal und warten auf neue Auftritte. Der holztechnische Wandel in der Herstellung hat auch hier Einzug gehalten. Heute werden die Blöcke großteils importiert und ragen an die herausragende Qualität der traditionellen, gedrechselten Holzformen nur schwer heran. Das so bearbeitete Holz dürfte die Feuchtigkeit des Hutstumpens besonders gut aufnehmen und wieder abgeben und so den entscheidenden Prozess des Formens positiv begleiten.

Es gäbe noch viele alltägliche Dinge mit Holz als mittelbarem Formgeber, das Stopfei, die Stricknadel, den Kleiderbügel. Für sie alle gilt: Die Artikulation liegt im Dazwischen. So oder so.


verfasst von

Renate Breuß

Studium der Kunstgeschichte, unterrichtet Kultur, Design und Wahrnehmung in Dornbirn an der fh Vorarlberg, arbeitet frei an den Schnittstellen Handwerk, Kochen und Kultur, Publikationen u. a. Das Maß im Kochen, Neuauflage 2019, Edition Löwenzahn.

Erschienen in

Zuschnitt 83
Holz im Alltag

In diesem Zuschnitt zeigen wir, in welcher Vielfalt uns Holz täglich begegnet!

8,00 €

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Zuschnitt 83 - Holz im Alltag