Daten zum Objekt
Standort
Lindesberg/SE Google Maps
Bauherr:in
Lindesbergsbostäder AB, Lindesberg/SE, www.libo.seRegion Örebro län, Örebro/SE, www.regionorebrolan.seFALAB – Fastigheter i Linde AB, Lindesberg/SE
Architektur
White Arkitekter, Västerås/SE, www.whitearkitekter.com
Statik
WSP Byggprojektering, Borlänge/SE, www.wsp.com
Fertigstellung
2020
Typologie
Eine gebaute Lichtung
Mitten im Wald liegt eine unerwartete Lichtung, die nur von dem gefunden werden kann, der sich verlaufen hat.
Die Lichtung ist umschlossen von einem Wald, der sich selbst erstickt. […] Doch auf dem offenen Platz ist das Gras sonderbar grün und lebendig.
Thomas Tranströmer: Die Lichtung, in: Sämtliche Gedichte, München-Wien 1997, S. 153
Eine Lichtung im Wald verweist oft auf Spuren menschlicher Gegenwart: Vielleicht stand hier einmal ein Haus, das inzwischen in Vergessenheit geraten ist – die Struktur verfallen, das Holz wieder zu Erdreich geworden. Oder es zeigen sich Reste eines jüngst vergangenen Augenblicks: Spuren von Kinderspielen, Spuren einer kurzen Rast – kleine Abdrücke auf moosbewachsenen Steinen, es duftet nach Kiefern und einem Hauch von Kaffee. Solche Zeugnisse menschlichen Lebens können auf den „Gemeinschaftslichtungen“ im Bergsparken im schwedischen Lindesberg tatsächlich gefunden werden und sie werden fortwährend geschaffen.
Das 2020 fertiggestellte Gebäude ist ein Gemeinschaftsprojekt der regionalen Gesundheitsbehörden und einer kommunalen Wohnbaugesellschaft. Es verbindet die Wohnnutzung mit verschiedenen Funktionen des Gesundheitswesens, verknüpft durch einen dazwischenliegenden öffentlichen Raum. Die Sinnesreize, die die Besucher:innen beim Betreten dieses „Zwischenraums“ empfangen, ähneln jenen bei einem Spaziergang im Wald: sonnengewärmter Stein, Lärchenholz und frisch gefällte Kiefer.
Natur als Teil architektonischer Präsenz
Das hier eingesetzte Holz ist mit allen Sinnen wahrnehmbar. Die Entscheidung für die Nutzung von Holz trafen White Arkitekter ursprünglich als Reaktion auf die Nachhaltigkeitsziele des Bauherrn. Die Architektur des Bergsparken geht jedoch weit über die klimafreundlichen Aspekte der Holzbauweise hinaus und zielt auf ein Lebensumfeld ab, das die Heilung fördert und ein Gefühl der Zugehörigkeit, Vertrautheit und Sicherheit schafft. Unter der Leitung von Olov Gynt entstand ein Entwurf, der sich auf aktuelle Forschungsergebnisse hinsichtlich der physiologischen und neurologischen Vorteile von Holz in Gesundheits- und Wohnumgebungen stützt: Menschen, die Zeit in der Natur verbringen, profitieren mental durch eine Verbesserung ihrer kognitiven Fähigkeiten und weisen ein geringeres Stress-Erleben auf. Die gleichen Effekte wurden auch bei der Verwendung von Holz in der gebauten Umwelt festgestellt. In diesem Sinne ist Holz im Bergsparken weit mehr als ein konstruktives Element. Es soll den Besucher:innen und Bewohner:innen das Gefühl geben, mit der Natur zu leben.
Die mit Lärchenholz verkleidete Fassade, das begrünte Dach und das Tragwerk aus Brettsperrholz bilden eine wohldurchdachte Einheit, die auf die umliegende bewaldete Natur referenziert. Als Regenwasserspeicher imitiert das begrünte Dach die Prozesse der natürlichen Sumpfgebiete. Es spiegelt auch die unkontrollierbaren jahreszeitlichen Veränderungen wider: In trockenen Monaten kann das Grün vergilben und vertrocknen, bei Regen im Frühjahr hingegen sprießt es mit neuer Energie. Die Natur ist Teil der architektonischen Präsenz, sie darf und soll Schwellen überschreiten.
Das gelungenste Merkmal des Bergsparken ist der öffentliche Raum in Form einer glasüberdachten „Lichtung“, eines klimatisierten Bereichs, der zwei „dichte“ Baukörper verbindet. Mitten im weitläufigen Gebäudekomplex dringt hier das Sonnenlicht durch die Bäume des „Brettsperrholz-Waldes“ in ein außergewöhnliches nicht kommerzielles Wohnzimmer, einen Indoor-Park, einen Spielplatz und einen Spazierweg. Dieser Raum ist viel mehr als ein Zugangsbereich: ein Ort für Begegnungen, den alle Bürger:innen von Lindesberg nutzen können.
Die Gesundheitseinrichtungen sind im straßenseitig gelegenen Volumen untergebracht. Auch hier wurden – unter Einhaltung der Hygienestandards – sämtliche Bereiche mit viel Sichtholz ausgeführt. Großzügige Fensterflächen holen möglichst viel Tageslicht in den Innenraum. Im zweiten Volumen befinden sich in den unteren Geschossen ein Seniorenzentrum und ein Restaurant. Die Wohnungen im Obergeschoss haben holzverkleidete Privatbalkone, die sich zum Wald hin orientieren, und überdachte Laubengänge, die sich zum Gemeinschaftsraum hin öffnen. Die ersten Mieter:innen – vor allem ältere Menschen aus der Umgebung – haben diese gemeinsam genutzten Terrassen im Innenbereich zu schätzen gelernt: Gerade während der Pandemie erwiesen sich die großzügigen Dimensionen und die Verfügbarkeit der „Lichtung“ im Bergsparken als willkommene Erweiterung der Privatsphäre und als Schauplatz sozialer Kontakte in Zeiten weit verbreiteter Einsamkeit.
Im Bergsparken kommt die tief verwurzelte Beziehung des Menschen zum Wald zum Ausdruck. Kunstwerke im Gebäude unterstreichen dies: Per Agéliis bespielbare Skulptur „Flodland“ („Flusslandschaft“) und Monika Goras’ Skulptur „Samtal med träd“ („Gespräch mit Bäumen“) beziehen sich beide auf die Waldlandschaften, die sich hinter den Toren des Bergsparken öffnen. Sie verstärken noch das Gefühl, in der Natur zu sein und nicht in einer klinischen Gesundheitseinrichtung.