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Vom Krankenhaus zum Gesundheitsbau
Skizze einer sozialen und architektonischen Entwicklungsgeschichte

erschienen in
Zuschnitt 84 Gesundheitsbauten in Holz, März 2022

Architektur wird beeinflusst von unserem kulturellen Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systeme werden immer wieder von Ausbrüchen unterschiedlichster Krankheiten vor immense Herausforderungen gestellt. Der soziale Status spielte zwar schon immer eine wesentliche Rolle für ein gesundes und langes Leben, doch das Krankheitspanorama wandelte sich in den ­letzten 300 Jahren stark. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung oder die sogenannten Volksseuchen (Pocken, Tuberkulose, Diphtherie), an ­denen die meisten Menschen starben. Mittlerweile dominieren chronische Krankheiten, wie Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen sowie Erkrankungen des Nervensystems die Liste der ­Todesursachen. Wie sich parallel dazu die Architektur der Gesundheitsbauten in den verschiedenen Ländern entwickelte, lässt sich aus einer europäischen Perspektive gut ablesen. Technologische Innovationen oder Erkenntnisse über Behandlungsmethoden ­beeinflussten die typologischen Neuerungen der Einrichtungen, die sich der Pflege und Heilung des Menschen verschrieben hatten. Einige dieser Bauwerke waren zukunftsweisend und dienten unzähligen anderen als Modelle.

Von der Beherbergungsstätte zum Krankenhaus

Räumlichen Anforderungen leiten sich immer auch von einem medizinischen Verständnis der jeweiligen Zeit ab. Das Allgemeine Krankenhaus (Altes AKH), durch Reformen von Joseph II. angestoßen und 1786 eröffnet, ist – nach heutigem Verständnis – ­eines der ersten Beispiele eines Krankenhauses in Wien. Die ­Anordnung von Krankenstationen um Innenhöfe ist eines der wesentlichen Merkmale dieser Typologie. In dem von Filarete 1465 geplanten Ospedale Maggiore in Mailand, das 1471 zum Teil und um ca. 1800 in vollem Umfang fertiggestellt wurde, ist dieses Prinzip auch geometrisch deutlich umgesetzt. Es prägte die euro­päischen Krankenhausbauten des 18. Jahrhunderts maß­geblich und ist, wie das AKH in Wien, ein frühes Beispiel eines kommunalen Krankenhausbaus. Obwohl beide vorhin genannten Beispiele als Vorreiter ihrer Zeit gelten, waren die Verhältnisse nicht optimal und wohlhabende Bürger ließen sich vornehmlich zu Hause ­behandeln. Ging man in der frühen Neuzeit noch von Miasmen (Ausdünstungen des Bodens) als Grund für die Verbreitung von Krankheiten aus, so konnten mit Hilfe des Mikroskops Bakterien und Viren als Hauptverursacher dafür identifiziert werden. Eine gute Hygienepraxis, die Versorgung mit Frischluft und die räumliche Abtrennung der Patient:innen, die von ansteckenden Krankheiten betroffen waren, resultierten daraus.

Die Organisation der Krankenhäuser in kleineren Pavillons brachte demnach viele Vorteile mit sich. Ein bekanntes Beispiel ist das Spital am Steinhof von Otto Wagner (1907), das in einer park­ähnlichen Anlage am Rand der Stadt Wien die Behandlung der Kranken in kleineren Gruppen und in einer angenehmen, natür­lichen Atmosphäre ermöglichte. Erst durch das technologische Voranschreiten der diagnostischen Apparaturen, explizit des Röntgenapparats1, verlor diese Struktur an Bedeutung und wurde durch neue Formen der Organisation abgelöst. Räume ähnlicher Nutzung wurden horizontal übereinander und in ­verschiedenen Gebäudeflügeln gruppiert, zugleich begannen sich auch die Prinzipien der internationalen Moderne in der ­Architektur der neuen Krankenhäuser abzubilden.

Körper und Architektur

Alvar und Aino Aalto kritisierten an diesen eine fehlende Hin­wendung zum Menschen. Sie selbst versuchten, mit dem Paimio Sanatorium für Tuberkulosekranke in Finnland (1933) einen technischen Funktionalismus durch die Einbeziehung eines psychophysischen Ansatzes in eine humanisierte Architektur überzuführen.2 Eine wichtige Errungenschaft des Sanatoriums war die Verringerung der Bettenanzahl in den Zimmern. Waren es im Ospedale Maggiore noch ca. 24 bis 36 Betten, oft auch doppelt belegt, und im Spital am Steinhof noch ca. acht bis zwölf, so sahen Alvar und Aino Aalto nur noch Zwei-Bett-Zimmer vor. Die andere Innovation betraf die Betrachtung der Position, die der Körper im Raum einnimmt. Die horizontale Lage der Kranken schlug sich in vielen Entwurfsentscheidungen nieder. Die damals vertretene Meinung, viel frische Luft und Sonne könne Tuber­kulose heilen, fand ihren Niederschlag in den charakteristischen Balkonen und der Sonnenterrasse. Sie zeugen vom Einfluss der medizinischen Behandlungsmethoden auf die Architektursprache.

Eine neue soziale Gerechtigkeit

Nach den Kriegswirren in Europa boten umfassende soziale ­Reformen Absicherung gegen die Folgen von Arbeitslosigkeit, Invalidität, Alter und Krankheit für die breite Bevölkerung. Damit einhergehend wurde das Krankenhaus zu einem „Monument des Wohlfahrtsstaates“. Ein neues Zeitalter des wissenschaftlichen Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit begann.3 Heute liegen die Herausforderungen darin, das Gesundheitssystem durch strukturelle Veränderungen zu entlasten. Neben hochspezialisierten Krankenhäusern können kleinere Strukturen wie Gesundheitszentren (zur Primärversorgung), Patientenhotels oder Tages­zentren für Menschen mit speziellem Krankheitsbild (wie zum Beispiel die Maggie’s Centers für Krebskranke in Großbritannien, Demenzzentren u. v. m.) niederschwellige und vielseitige Interventionen in der Nähe des jeweiligen Wohnorts anbieten. Präventive Maßnahmen in allen Lebensbereichen – sogenannte Health-in-all-Policies-Strategien – werden in Zukunft ebenso ­bedeutend sein wie eine beachtliche architektonische Qualität, in der sich die gesellschaftliche Dimension der Gebäude widerspiegelt.

1 Beatriz Colomina: X-Ray Architecture, Zürich 2019.
2 Die Psychophysik bezieht sich auf die Wechselbeziehung zwischen subjektivem psychischen (mentalen) Erleben und quantitativ messbaren, also objektiven physikalischen Reizen.
3 Cornelius Wagenaar: Five Revolutions: A Short History of Hospital Architecture, in: Ders. et al., The Architecture of Hospitals, Rotterdam 2006, S. 26 – 28.

Literatur

  • Healthcare Center – Learning from Denmark, Tina Gregoric, Evelyn Temmel (Hg.), Wien 2021

verfasst von

Evelyn Temmel

arbeitet in Bereichen der Architektur und des Städtebaus. Sie studierte Architektur an der TU Graz und der Escola Tècnica Superior d’Arquitecturea de Vallès in Barcelona. Sie beschäftigt sich seit 2017 mit der Architektur von Gesundheitsbauten im Rahmen ihrer Arbeit als Universitätsassistentin am Institut für Architektur und Entwerfen – Gebäudelehre und Entwerfen an der TU Wien.

Erschienen in

Zuschnitt 84
Gesundheitsbauten in Holz

Was kann ein Gebäude aus Holz zu Genesung, Gesundheit und Wohlbefinden beitragen? Antworten darauf finden Sie in diesem Zuschnitt.

8,00 €

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Zuschnitt 84 - Gesundheitsbauten in Holz