In allen Bereichen unseres menschlichen Wirkens stehen wir am Anfang von längst notwendigen Umbrüchen. Ganz konkret kommt derzeit die Materialwelt des Bauwesens auf den Prüfstand. In Anbetracht der exorbitanten Materialmengen, die hier umgesetzt werden, ist klar, dass damit ein großer Hebel zur Verfügung steht, wirklich klimarelevante Einsparungen an Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen zu erzielen. Materialien, die nachwachsen oder in der Natur vorhanden sind und ohne großen Energieaufwand nutzbar gemacht werden können, entsprechen in idealer Weise diesen Anforderungen. Holz ist somit zum Hoffnungsträger geworden und die weltweit steigende Nachfrage nach Holzbau belegt, dass ein Umdenken begonnen hat. Es scheint, dass die intensiven technischen und architektonischen Weiterentwicklungen des Holzbaus nun eine gute Basis dafür sind, dass der Weg nicht in der Sackgasse endet. Aber sind wir uns dessen wirklich sicher?
Gerade am Beginn einer neuen Epoche ist es notwendig, besonders kritisch zu sein, denn der zu erwartende ökonomische Erfolg wird verstärkt die Konkurrenten motivieren, die ökologischen Versprechen zu relativieren oder zu entkräften. Ich möchte hier nicht auf die quantitative Frage und damit auf die aktuelle Diskussion über die verträgliche Nutzung unserer Wälder eingehen, sondern einen Blick auf die wirkliche Materialwelt des modernen Holzbaus werfen. Dieser ist – je nach Konstruktionssystem – mehr oder weniger hybrid. Unterschiedlich viele nicht holzbasierte „Materialpartner“ kommen zum Einsatz. Beim Holzmassivbau sind es tendenziell weniger als beim „holzsparenden“ Tafel- oder Holzrahmenbau, wo das Volumen die Holzmenge um ein Vielfaches übersteigen kann.
Wie glaubwürdig die ökologischen Vorteile von Holzbau sind, hängt sehr stark von der Art der notwendigen Partner ab. Dieser Aspekt wird umso wichtiger, je mehr Holzbau umgesetzt wird. Wir werden uns schneller als gedacht mit der Frage des sparsamen Umgangs mit der Ressource Holz auseinandersetzen müssen, was die Suche nach geeigneten Materialpartnern zum Gebot der Stunde macht.
Da die derzeit verwendeten Materialien die ökologischen Vorteile des Holzbaus oft noch beeinträchtigen und auch die Fragen des Rückbaus und der Wiederverwendung noch wenig beleuchtet sind, können wir mit der heutigen Situation nicht zufrieden sein. In diesem Bereich gibt es noch viel zu tun. Genau aus diesem Grund befasst sich diese Ausgabe des Zuschnitt mit zwei Materialien, die das Potenzial haben, die oben erwähnte Symbiose zu erfüllen und die angesprochenen Probleme zu entschärfen: Stroh und Lehm.
Stroh ist das Paradebeispiel für einen nachwachsenden Dämmstoff. Es spricht eigentlich fast nichts dagegen, dieses reichlich vorkommenden Restmaterial stofflich zu verwerten, statt es einfach zu verbrennen. Die benötigten Mengen für ein Bauwerk sind beachtlich und somit ein wichtiger Faktor für die Ökobilanzierung. Die Wiederverwendung ist ohne weiteres möglich. Auch die bauphysikalischen Werte sind gut, und mit etwas Mehrstärke – 40 cm Strohdämmung entsprechen 30 cm Mineralwolle – können die geforderten Dämmstandards erreicht werden.
Die Ökodaten sprechen für sich. Laut ökobaudat.de beträgt das GWP (Global Warming Potential) von Mineralwolle 64 kg CO2-Äquivalente, jenes von Strohdämmung –128 kg, weil Stroh wie Holz ein Kohlenstoffspeicher ist. Die für die Herstellung notwendige, nicht erneuerbare Primärenergie (PENRT) für Mineralwolle-Einblasdämmung beträgt 845 MJ, für Stroh dagegen 56 MJ. Holzfaserdämmstoffe haben zwar ein noch besseres Kohlenstoffspeicherpotenzial – das GWP liegt bei −1.358 kg CO2-Äquivalenten –, die Herstellung ist mit 5.859 MJ PENRT jedoch energieintensiv.
Lehm ist ein alter Partner von Holz. Ich erinnere an die Fachwerkbauten im Mittelalter, deren Gefache aus Lehm bestanden. Wie Holz wurde dieses Material in der Moderne vergessen, gerät aber im Zusammenhang mit der Energiefrage wieder ins Blickfeld.
Die Wandlung von Lehm zum modernen Baustoff fand im Verborgenen statt, durch die nicht von Universitäten und Bauindustrie getriebenen Materialentwicklungen von Martin Rauch, einem aus dem Handwerk stammenden Enthusiasten. Ihm gelang eine fast revolutionäre Weiterentwicklung der Lehmbautechnik – bis hin zur Vorfertigung von Lehmbauteilen. Indem Rauch unversöhnlich scheinende Gegensätze überwand, öffnete er die Tür für eine wirklich erfolgversprechende Partnerschaft mit dem Holzbau.Nun besteht die Möglichkeit, an die alten Traditionen in einem modernen Sinn anzuknüpfen. Da der Lehm materialbedingte Nachteile wie Gewicht und Speicherfähigkeit kompensiert, kann Holz seine konstruktiven Vorteile noch besser ausspielen. Der Weg führt hin zum schichtenarmen, monolithischen Bauen mit hoher Recyclingfähigkeit. Zudem zeigen bereits umgesetzte Projekte die Schönheit dieser Materialkombinationen eindrücklich – ein Versprechen auch für die Architektur.