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Stallgebäude Dorf in Hittisau

erschienen in
Zuschnitt 87 Holz, Lehm, Stroh, Dezember 2022

Daten zum Objekt

Standort

Hittisau/AT Google Maps

Bauherr:in

Georg Bechter Architektur und Design, Langenegg/AT, www.bechter.eu

Architektur

Georg Bechter Architektur und Design, Langenegg/AT, www.bechter.eu

Statik

zte Leitner ZT GmbH, Schröcken/AT, www.zte.at

Holzbau

dr’ Holzbauer Dietmar Berchtold GmbH, Andelsbuch/AT, www.derholzbauer.com

Fertigstellung

2020

Denkwerkstatt aus Holz, Stroh und Lehm

Dort, wo bis vor ein paar Jahren noch Schweine und Kühe eingestellt waren bzw. Heu und Stroh gelagert wurden, arbeiten heute auf 850 m2 die Mitarbeiter:innen des Architekturbüros sowie der Leuchtenmanufaktur von Georg Bechter.

Der 28 mal 17 Meter große und 12 Meter hohe ehemalige Stadel befindet sich in Familienbesitz und wurde seit den 1980er Jahren als Wirtschaftsgebäude genutzt. Nach Auflösung des landwirtschaftlichen Betriebs entschied sich Bechter gegen einen Abriss und für eine Um- und Weiternutzung als „Denkwerkstätte“, bestehend aus Gipsmanufaktur, Schauraum und Büros. Dafür wurde das Gebäude sorgsam bis auf die tragende Holzstruktur demontiert. Die bestehende Holzfassade wurde ebenfalls in der Kon­struktion belassen. Die Produktionsstätte befindet sich heute im ehemaligen Stall im Erdgeschoss, während die Büros im Bereich des Heu- und Strohlagers angesiedelt sind – ergänzt um eine ­Galerie, die weitere Arbeitsräume bietet.

Jenem Material, das vor dem Umbau lediglich dort gelagert ­wurde, kommt heute eine neue Funktion als Dämmmaterial zu. Tier und Mensch haben ganz andere Wärmebedürfnisse: Das ­bestehende Riegelwerk wie auch die Decke des Obergeschosses wurden mit etwa 650 Strohballen ausgefacht, die Innenwände mit Lehmputz aus der eigenen Baugrube verputzt. Nicht nur bei der Wahl des Dämmmaterials verschrieb sich ­Bechter der Nutzung regionaler und kreislauffähiger Natur­materialien. Während die Decken der Büroräume mit sichtbar ­belassenem Schafwollfilz ausgeführt sind, um die Akustik zu verbessern, findet sich unter den Füßen ein Boden aus gestampfter Erde, die geschliffen und zu einer Art „Naturterrazzo“ veredelt wurde. Ein liebevolles ­Detail im Bereich des Empfangs im ersten Obergeschoss verweist auf die Natürlichkeit des Materials: Hier wächst eine Pflanze aus dem Boden, deren Wurzelwerk mittels einer im Aufbau integrierten Pflanzkiste gezähmt wird. Im Erd­geschoss, im Bereich der Gipsmanufaktur, ist jedoch Holz das ­dominierende Material – Wände, Decken und Fußböden aus ­heimischer Fichte dienen hier als neutraler Hintergrund für die Gipserzeugnisse.

Auch bei der neuen Fassade setzte Georg Bechter auf natürliche Materialien und entschied sich für eine diagonal gekreuzte, wellenartig geschwungene Holzlattung aus heimischer Berg­fichte, die bei richtigem Lichteinfall eine optische Täuschung hinsichtlich ihrer Tiefe erweckt.

Durchbrochen wird diese Südfassade durch einen vorgesetzten Wintergarten (vormals wurden hier unter einem Vordach Maschinen gelagert), der einerseits als Erschließungs- und Kommuni­kationsfläche dient, andererseits als thermische Pufferzone ­ganzjährig die Innentemperatur reguliert. Nachhaltigkeit und Weiternutzung sind hier nicht nur auf die Errichtung und die ­dabei verwendeten Materialen beschränkt, sondern setzen sich auch im Betrieb des Gebäudes fort. So wurde die ehemalige ­Jauchegrube zu einem Eisspeicher umfunktioniert, der in Verbindung mit einer Wärmepumpe und einer Solarthermieanlage an der Südfassade das Gebäude heizt und kühlt. Zusätzliche Energie wird mittels Photovoltaikmodulen auf dem Dach produziert, ­wodurch die Stromproduktion aus eigener Kraft den ganzjährigen Bedarf sogar übersteigt.

Um das mit 17 Metern sehr tiefe Bestandsgebäude optimal ­belichten zu können, entschied sich der Bauherr für den Einbau eines vertikalen „Lichttrichters“, der das Dach durchbricht und natür­liches Licht ins Innere des Gebäudes leitet. Einen weiteren Einschnitt in die Fassade bildet der westseitige „Lufttrichter“, ein eingestülpter Freiluftraum. Allseitig mit schwarz lasierten Dreischichtplatten aus Fichtenholz verkleidet, steht er im starken Kontrast zur hellen Außenhaut. Der Raum lädt zum informellen Austausch abseits der Büroräumlichkeiten ein – eine weitere Form von sozialer Nachhaltigkeit.


verfasst von

Linda Lackner

studierte Architektur an der TU Wien und der Akademie der bildenden Künste Wien, forscht und publiziert zu Themen der Architektur und Stadtplanung, von 2019 bis 2023 war sie Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt.

Erschienen in

Zuschnitt 87
Holz, Lehm, Stroh

Ideale Partner für klimaneutrales, ressourcenschonendes Bauen

8,00 €

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Zuschnitt 87 - Holz, Lehm, Stroh