Nur wenn künftige Umbauten bereits zu Beginn antizipiert werden, können Gebäude später auch wieder sortenrein auseinandergenommen und die Bauteile oder Elemente weiterverwendet werden. Nachzulesen ist das im Buch „Bauteile wiederverwenden“, einem Kompendium zum zirkulären Bauen, herausgegeben vom Institut Konstruktives Entwerfen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Darin schreibt Architekt Guido Brandi: „Ein Weg zu reversibler Architektur führt über die Modularität normierter, immer gleich gefügter Bauteile. […] Wahres Design for Disassembly ist, wenn alle Bauteile eines Gebäudes nach genau den gleichen Prozessen und Schritten demontiert werden können, wie sie zusammengebaut wurden.“
Dass der Holzbau hierfür Lösungen anbietet, liegt auf der Hand, wurden hier doch schon immer stabförmige oder plattenförmige Bauelemente in der Werkhalle vorgefertigt, um auf der Baustelle nur noch zusammengefügt zu werden. Sind die Verbindungen reversibel, also geschraubt oder gesteckt, können diese Bauelemente auch wieder auseinandergenommen werden. Im Folgenden sollen anhand von vier Gebäuden unterschiedliche Konstruktions- und Planungsansätze für einen reversiblen Holzbau diskutiert werden.
Ersatzbauten für das österreichische Parlament
Bis vor kurzem noch standen auf dem Heldenplatz in Wien zwei temporäre Bürobauten aus Holz. Ein dritter war im Hof hinter der Nationalbibliothek versteckt. Sie dienten als Ersatzbürobauten für das österreichische Parlament während der Sanierung des Parlamentsgebäudes. Der Bauherr, also die Republik Österreich, hatte dafür ein modulares System material- und systemoffen ausgeschrieben. Realisiert wurden die Ersatzbauten dann mit einer von Lukas Lang Building Technologies entwickelten Holzkonstruktion, einem modularen System, das aus immer gleichen Bauteilen gefügt ist und der vorgenannten Definition von Design for Disassembly exakt entspricht. Dafür entwickelte Architekt Lang ein kleinteiliges Elementesystem, das auf einem Raster von 1,4 Metern beruht. Träger und Stützen sind aus Brettschichtholz, je nach Lastsituation können auch Stahlstützen eingesetzt werden. Die Decken sind aus Brettsperrholzplatten, die auf die Unterzüge gelegt werden. Kraftschlüssig verbunden werden die Elemente mit beschichteten Stahlknoten. Die Fassade besteht aus raumhohen Elementen, die vor das Skeletttragwerk gehängt werden. Die Kleinteiligkeit bedingt natürlich viele Fugen. Brandschutztechnisch ist das mit einer abgehängten Gipskartondecke und einem Trockenestrich gelöst. Laut Gernot Schweiger von Lukas Lang Building Technologies ginge es auch ohne abgehängte Decke, da die Bauelemente auf F60 berechnet sind. Dann würde eine Folie die Rauchdichtheit garantieren. Die Bürobauten werden in Kürze an einem anderen Ort einer neuen Nutzung zugeführt, wo und für wen, darüber wird derzeit verhandelt.
Aus der Markt- wird eine Padelhalle
Eine ähnliche Ausgangsituation fanden auch die schwedischen Architekten Tengbom vor. Die historische Markthalle von Stockholm musste saniert und eine temporäre Markthalle auf dem davorliegenden Stadtplatz Östermalmstorg errichtet werden.
Die Architekten entwarfen eine Skelettkonstruktion, die entsprechend dem Wunsch der Bauherrin leicht auf- und wieder abzubauen war. Sie wählten Furnierschichtholzbalken für die Tragbalken und für die kreuzförmigen Stützen. Dach und Wände sind aus Sperrholzplatten. Entstanden ist ein geometrisch einfacher, aber sehr wirkungsvoller Baukörper. Der hohe Sockel ist mit unterschiedlich breiten Holzlamellen bekleidet. Darüber sitzt wie eine Krone eine Fassade aus transluzentem Polykarbonat. Diese bringt am Tag Licht ins Innere der Halle und leuchtet bei Nacht nach außen. Für die Konstruktion wählten die Architekten Holz wegen seiner ästhetischen und ökologischen Qualitäten, aber auch wegen seines geringen Gewichts. So genügte statt einer zusätzlichen aufwendigen Fundamentierung eine dünne Ortbetonplatte auf dem Stadtplatz.
Inzwischen ist die historische Markthalle wieder in Betrieb, der temporäre Bau ab- und anderswo wieder aufgebaut. Er steht in einem Vorort von Göteborg und dient als Padelhalle: für eine tennisähnliche Sportart auf kleineren Feldern und mit anderen Schlägern. Um der neuen Funktion zu entsprechen, musste das Dach um 2 Meter hinaufgesetzt werden. Dafür wurden die Holzstützen einfach mit Stahl verlängert. Laut Architekt Mark Humphreys vom Büro Tengbom war es aber einfach, das Gebäude abzubauen, zu versetzen und anzupassen.
Mobiler Schulbau
Neben modularen Bausystemen eignen sich natürlich auch Raummodule aus Holz wunderbar für temporäre Nutzungen. 1998 realisierte die Stadt Zürich ihre ersten mobilen Holzpavillons des Typs Züri-Modular zur Deckung des steigenden Schulraumbedarfs.
Inzwischen stehen über die Stadt verteilt 90 Schulpavillons (Stand 2022), zusammengesetzt aus rund 2.000 Raummodulen. Sie decken 5 Prozent des derzeitigen Schulraumbedarfs. Einige von ihnen wurden auch schon versetzt oder aufgestockt. Neben der konstruktiven Fügbarkeit ist auch die einfache Entkoppelung der Haustechnik wichtig, erklärt Kathrin Merz von Bauart Architekten, die das Modulsystem für die Stadt Zürich entwickelt haben. Immer drei Module bilden einen Klassenraum. Die Linoleumbeläge eines modulübergreifenden Raums werden beim Abbau an der Fuge geschnitten und am neuen Standort einfach wieder zusammengeschweißt. Auch die Dachkonstruktion aus Metallrahmen ist modular geplant und wird bei einem Umzug oder einer Aufstockung rückgebaut und wieder eingesetzt.
Asylunterkunft in Genf
Will man reversibel planen und bauen, muss man sich auch über die Fundamentierung Gedanken machen. Welche Gründung ist notwendig, um ein Gebäude vor Ort aufstellen zu können, und was lässt man zurück, wenn man es wieder abbaut? Für eine temporäre Asylunterkunft im Rigot Park in Genf entwickelte das Team von acau architecture eine reversible Konstruktion, die ohne Betonfundament auskommt. Zwei fünfgeschossige Wohnbauten aus insgesamt 230 vorgefertigten Raummodulen gründen auf Lärchenpfählen. Wird das Haus in zehn Jahren wieder abgebaut, bleiben diese einfach im Boden. Architektin Liliana Teixeira von acau erklärt dazu: „Hölzerne Fundierungen können bei regelmäßiger Prüfung bis zu sechzig Jahre halten. Sollte der Bauherr sich nach zehn Jahren dazu entschließen, die Gebäude am Ort stehen zu lassen, wird man die Tragfähigkeit der Pfähle entsprechend analysieren.“ Die Wände der Module sind in Holzrahmenbauweise und die Decken aus Brettstapelelementen und einer Bodenplatte aus Brettsperrholz gefertigt. Es gibt kein betoniertes Treppenhaus. Zur geschossweisen Erschließung liegen zwei Treppenhäuser pro Baukörper in jeweils zwei Modulen. Die Zimmer sind über einen Laubengang, der als Holzgerüst vor den Längsfassaden steht, erschlossen.
Nicht jedes Bausystem aus Holz ist zum Versetzen geeignet. Die Stadt Frankfurt hat einen ihrer ersten temporären Schulbauten in Elementbauweise nach fünf Jahren bereits ab- und wieder aufgebaut. Dieser Vorgang hat laut Baudirektor Roland Hatz etwa so viel gekostet wie der Neubau. Allerdings wäre eine Neuanschaffung durch die inzwischen gestiegenen Baukosten deutlich teurer gewesen. Vor allem der Ein- und Ausbau der Haustechnik war kostspielig. Inzwischen setzt man auch hier auf Raummodulbauten. Am liebsten aber würde der Frankfurter Baudirektor Holzmodule mieten, wie das bei Stahlcontainern möglich ist. Dann wäre die Anfangsinvestition geringer und die Diskussion, ob der temporäre Schulraumbedarf mit Holz- oder Metallcontainer gedeckt werden soll, obsolet.
Kathrin Merz von Bauart in Bern erinnert zum Abschluss unseres Gesprächs daran, dass der Stadt Zürich die architektonische Qualität bei der Systementwicklung sehr wichtig war: „Die Züri-Modular Pavillons sind keine Provisorien, sondern bieten hochwertigen, vielfältigen und nachhaltigen Schulraum für zeitlich begrenzt nutzbare Standorte.“