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Essay – Reuse und Recycling
Kreislaufgerechtes Bauen – in planetaren Grenzen

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Auch wenn die Warnungen vor dem menschengemachten Klimawandel schon älter sind, war spätestens mit den Berichten des Club of Rome ab den frühen 1970er Jahren klar, was menschliches Handeln bewirkt. 2019 befasste sich das deutsche Umweltbundesamt (UBA) in der „RESCUE-Studie – Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität“ mit einer Anpassung der deutschen Lebensweisen und des Konsumverhaltens an die ­natürlichen Gegebenheiten. Das übergeordnete Ziel der Klimagasneutralität, das mit einer Reduktion von 95 Prozent der ­Klimagasemissionen bis 2050 beschrieben wird, lässt sich nur erreichen, wenn auch die Entnahme und damit verbundene Ver­arbeitung von Rohstoffen um 60 Prozent verringert wird.

Für das Bauen bedeutet dies, auf energie- und ressourcenintensive Baustoffe wie Beton, Stahl und Aluminium zu verzichten. Stattdessen sollen so weit wie möglich nachwachsende Rohstoffe ­genutzt und so die Land- und Forstwirtschaft mit dem Bausektor gekoppelt werden. Die Studie fordert weiters eine Reduktion des Nutzflächenkonsums um 20 Prozent. In Europa wird bis zum Jahr 2100 ein Bevölkerungsrückgang von 10 Prozent ­prognos­tiziert. Die Planung muss also von einem theoretischen Leerstand im Jahr 2050 von circa 20 Prozent der Nutzflächen ausgehen, ­einige Fachleute sprechen schon von einem notwendigen Neubau-Moratorium. Viele Gebäude werden heute mit sehr schwachen Begründungen abgerissen. Insbesondere Geschossbauten enthalten aber wertvolle Ressourcen und viel sogenannte graue Energie, also Klimagasemissionen aus der Errichtungsphase, die auf keinen Fall durch Abbruch zerstört werden sollten. Hierzu hat ein sehr breites Bündnis das Abriss-Moratorium verfasst und veröffentlicht.

Der Gebäudebestand insbesondere der Nachkriegszeit ist oftmals von geringer technischer Qualität, hohen Energieverbräuchen und daraus folgenden Klimagasemissionen geprägt. Wie Gebäude saniert werden können, um klimaneutral betrieben zu werden, ist technisch gelöst und vielfach umgesetzt. Um die Klimaziele wie das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, muss die aktuelle Sanierungsquote im Bestand von 1 Prozent pro Jahr auf mindestens 2 Prozent angehoben werden. Gebäude müssen umfassend saniert werden, um einen klimaneutralen Betrieb zu ermöglichen.

Parallel zur energetischen Sanierung, also der Dämmung von ­Gebäuden und dem Austausch von fossilen Wärmeerzeugern müssen die Gebäudehüllen klimagerecht gestaltet und die Nutzungsstrukturen an die Anforderungen der Zukunft angepasst werden. Neue kompaktere und diversere Wohnformen sind nur über die Anpassung der Grundrisse möglich. Starre Gebäude­typologien wie das Einfamilienhaus, das dem Dogma der Klein­familie folgt, müssen flexiblere Nutzungsstrukturen erhalten, um den mittleren Wohnflächenbedarf reduzieren zu können. Auch Bürogebäude befinden sich gerade in einer Transformation und passen sich neuen Nutzungsgewohnheiten in Zeiten von Homeoffice etc. an. Gebäude der Zukunft sind flexibel nutzbar und können Wohnen und Arbeiten verbinden, um das Pendeln zur Arbeitsstelle zu reduzieren. Das Gebäude, seine Potenziale und Herausforderungen sind im Detail zu analysieren. Eine Entwicklung kann, um Ressourcen zu schonen, nur mit dem Gegebenen und nicht gegen das Gebäude stattfinden. Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt der Bauwende oder Umbauwende bzw. der ganzheit­lichen Transformation.

Das Bauen der Zukunft ist im Bestand zu entwickeln und – bezogen auf die Systemgrenze Gebäude – klimaneutral zu gestalten. Es soll einen sehr geringen Energiebedarf aufweisen, einen großen Teil der benötigten Energie im eigenen Gebäude zum Beispiel über Photovoltaikanlangen gewinnen und im Quartier vernetzt sein. Klimagerechtes Bauen verhindert Überhitzung im Sommer und reduziert den Energiebedarf im Winter.

Auf Seiten der zu nutzenden materiellen Ressourcen werden wir auf Materialien verzichten müssen, die auf neu zu entnehmenden Rohstoffen basieren. Stattdessen wird die Wiederverwendung ganzer Gebäude und von Gebäudeteilen und Bauelementen im Vordergrund stehen. Der Schritt zum Wiederverwerten, also dem Recycling, sollte möglichst vermieden werden, er steht aber vor der thermischen Verwertung oder Deponierung. Den Bedarf an neuen Ressourcen müssen wir auf Basis nachwachsender Rohstoffe wie Holz und Naturfasern decken. Einjährige Pflanzen wie Stroh und andere Faserpflanzen haben noch großes Potenzial und dessen Erforschung nimmt wieder Fahrt auf. Auch wenn der Holzbau schon recht weit entwickelt ist und wir zwischenzeitlich auch Hochhäuser in Holzbauweise errichten, gibt es in diesem Feld bis zur Massenanwendung einiges an Forschungsbedarf zu Fragen der Konstruktion, des Schall- und Brandschutzes.

Neue Pflanzen- und Baumarten in Land- und Forstwirtschaft werden Basis einer zukünftigen Bio-Bau-Ökonomie sein, den Aus­stieg aus Beton und Stahl erleichtern und neue regionale Wertschöpfungsketten ermöglichen. Kreislaufgerechtigkeit erfordert ein neues, ganzheitliches Denkmodell, das mit der großen gesellschaftlichen Transformation und der Klima- und Ressourcen­anpassung verknüpft werden muss.


verfasst von

Andrea Klinge

Architektin, Teil der Geschäftsleitung und seit 2013 Leitung der Forschung von ZRS Architekten. Seit 2022 Professorin für Zirkuläres Bauen am Institut Nachhaltigkeit und Energie am Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel.

Eike Roswag-Klinge

Architekt, Gründungsmitglied von ZRS Archi­tekten Ingenieure in Berlin. Seit 2017 Professor für Konstruktives Entwerfen und Klimaangepasste Architektur am Natural Building Lab der TU Berlin.

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

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Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling