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Kreislaufnutzung und Holzbau
Eine Annäherung

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Gebäude sind für ungefähr 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen in Europa verantwortlich. Und auch der Ressourcenverbrauch ist bei Gebäuden sehr hoch. So verwundert es nicht, dass die Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft als eine Möglichkeit gilt, diesen Herausforderungen zu begegnen. Mit der Kreislaufwirtschaft sollen die Ressourcen effizienter eingesetzt und damit der Weg zu einer „low carbon economy“ geebnet werden. Ziel ist, einen Wandel der Wertschöpfungsketten und die Reduzierung des Abfallaufkommens herbeizuführen. So wird der Kreislauffähigkeit als dem nächsten „Buzzword“ alles Handeln untergeordnet. Dabei ist erst einmal zu klären, welche Probleme damit gelöst werden können.

Denn neben der Kreislauffähigkeit, die dazu beitragen soll, den Verbrauch an Primärressourcen im Bauwesen zu senken, muss es immer auch um die Erreichung der Klimaschutzziele gehen, wie sie im Übereinkommen von Paris international geregelt wurden. Und damit gibt es einen Zusammenhang von Ressourcen(weiter)-nutzung und Fragen des Klimaschutzes bzw. der Reduktion von Treibhausgasemissionen. Beide Themen können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden.

Im Kontext des Bauens muss das Thema Kreislauf und Wiederverwendung mit realistischen Einspar- und Reduktionspotenzialen unterlegt werden. Dazu sind die unterschiedlichen Betrachtungsebenen, Ansätze und Nomenklaturen zu klären, damit klar ist, worüber überhaupt gesprochen wird.

Eine erste Einordnung: Betrachtungsebene und zeitliche Komponente

Für Gebäude muss zuerst differenziert werden, was genau im Kreislauf geführt werden soll:

  • auf Gebäudeebene: einzelne Bauteile (Fassadenteile, Fenster, Balken, Stützen usw.)
  • auf Bauteilebene: einzelne Schichten des Bauteils, die wiederverwendet oder weiterverwertet werden sollen
  • auf Baustoffebene: einzelne Materialfraktionen, die recycelt werden sollen

Je nach betrachteter Ebene kann die Kreislaufführung ganz ­anders aussehen. Zusätzlich kann die Weiternutzung (Reuse) von ganzen Gebäuden als Anfangspunkt einer Kreislauffähigkeit gedacht werden.

Das Umdenken von der bisher üblicherweise linearen Wirtschafts­­weise hin zu einem zirkulären Prinzip scheint auf dem Papier einfach:

Ein linearer Zeitstrahl kann grafisch im Kreis angeordnet werden. In der Praxis ist das aber nicht ganz so simpel. Es erfordert eine Unterscheidung zwischen

  • Bauteilen oder Baustoffen, die heute ausgebaut werden, zur Weiterverwendung und
  • Gebäuden, die heute in der Planung sind und „for reassembly“ gebaut werden, um eine zukünftige Weiterverwendung von Bauteilen oder Baustoffen zu ermöglichen.

Umgang mit dem Bestand – Ansätze für den Neubau

Der Umgang mit Bausubstanz aus Rückbau und Abbruch von ­bestehenden Gebäuden ist in der Praxis auch mit der Frage nach dem Umgang mit Schadstoffen verbunden. Ein limitierender ­Faktor kann die Schadstoffbelastung aus der vorherigen Nutzung oder dem Einbau sein. Deshalb muss bei potenziellen Schadstoffbelastungen eine Prüfung und eventuell Schadstoffentfrachtung vorgenommen werden. Die Weiternutzung, der Wiedereinsatz von Bausubstanz, ist für hochwertig hergestellte Bauteile wie funktionsfähige Fenster, Türen, Fassaden oder Inneneinrichtungen sinnvoll. Als Recyclingmaterial können auf Baustoffebene der Massenbaustoff Beton, Stahl oder Aluminium dienen – alles ­Materialien, deren Herstellung aus Primärrohstoffen mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden ist.

Aus Sicht der Lebenszyklusanalyse und der dazu europaweit abge­stimmten Normen im Bauwesen ist die Wiederverwendung eines Bauteils oder Baustoffs der Beginn des zweiten Lebens­zyklus. Da das Bauprodukt schon im ersten Lebenszyklus erstellt wurde, hat das damit erstellte Gebäude dann (hoffentlich) einen leichteren Rucksack an grauen Emissionen und kann seine Vor­teile auch über eine Ökobilanz ausspielen. Dazu wäre allerdings auch für die Sekundärprodukte oder Bauteile die Erstellung von Ökobilanzdatensätzen nötig. Je weniger Veränderungen des Ausgangsmaterials als Sekundärmaterial, desto kleiner der Fußabdruck.

Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass bereits heute bei ­bestimmten Produkten auch aus nachwachsenden Rohstoffen ein Anteil an Recyclingrohstoffen verbaut ist. Beispielsweise bestehen Spanplatten mit rund 20 Prozent Abfall- und Altholzanteil oder Zellulose mit sogar ca. 85 Prozent Altpapieranteil schon heute zu ­einem Gutteil aus Recyclingmaterial. Der Recyclingbaustoff kommt entweder aus Industrieabfällen (Sägenebenprodukte der Hersteller selbst) oder aus der Rückführung über Altholz.

Derzeit in Planung befindliche Gebäude sollten so konzipiert und digital dargestellt werden, dass sie in Zukunft rückbaubar und weiternutzbar sind. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Bauteile mechanisch voneinander gelöst und sortenrein getrennt werden können; eine andere, über einfache Konstruktionen nachzudenken und die vielen fest miteinander verklebten/verbundenen Schichten im Hochbau zu hinterfragen. Das Ziel der Planung sollte sein, möglichst viele sortenrein herauslösbare Ressourcen weiterverwenden zu können. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass keine oder – wo es unvermeidlich ist – nur sehr wenige neue Schadstoffe eingebaut werden. Vorhandene Schadstoffe klar zu deklarieren und zu dokumentieren, um beim Rückbau Sicherheiten zu haben, ist daher umso wichtiger. Auch eine Reparierbarkeit der Konstruktionen soll Teil der Planung sein.

Rahmenbedingungen

Gesetzlich ist ein Baustoff beim Abriss eines Gebäudes als Abfall deklariert. Es gilt die im Kreislaufwirtschaftsgesetz definierte umgekehrte Abfallpyramide, die gerahmt ist von vielen detaillierten Verordnungen und Gesetzen zu Abfall und Ausbau bestimmter (gefährlicher) Baustoffe usw. Nach Qualität und Wertigkeit im Sinne der umgekehrten Abfallpyramide geordnet, ist die hochwertigste Verwendung von ausgebauten Bauteilen bzw. Baustoffen die Wiederverwendung1, gefolgt von der Wiederverwertung als Sekundärmaterial zur gleichwertigen stofflichen Nutzung oder (weniger hochwertig) zur minderwertigen stofflichen Nutzung. Erst wenn dies nicht mehr möglich ist, soll endgültig verwertet werden – hier ist eine stoffliche Verwertung einer energetischen Verwertung vorzuziehen. Nur Material, das gar nicht in den übergeordneten Kategorien zu verwenden ist, darf endgültig ­beseitigt werden. Aber dies beschreibt ausschließlich den Umgang mit Sekundärmaterial zur Weiternutzung. Die übergeordneten Fragestellungen oder vorgelagerten Strategien werden durch die sogenannten „10 Re“ der Kreislaufwirtschaft sehr viel umfassender beschrieben. Dabei sind fürs Bauen gerade die Strategien Rethink, Reduce, Repair und Refurbish, die für einen anderen Umgang mit dem Bestand stehen, von aktueller Bedeutung. Das Prinzip der Kreislauffähigkeit mit den 10 Re beginnt mit Rethink – brauchen wir das? – und regt damit an, als ersten Schritt (nach dem Refuse, also dem gänzlichen Verzicht) groß zu denken. Hier verknüpft sich die Frage mit Fragen zu Suffizienz.

Die Zirkularität der Materialkreisläufe hat immer die Schließung des Kreislaufs in einem Endlosloop zum Ziel. Dies kann und muss langfristig auch einen anderen Umgang mit dem wirtschaftlichen Wert des Materials nach sich ziehen. Holz als nachwachsendes Material hat hier eine Sonderstellung, und es kann auch eine abweichende Definition herangezogen werden: Das Material muss so lange stofflich genutzt werden und damit Kohlenstoff speichern, bis wieder ein neuer Baum nachgewachsen ist.

Die Verwendung von Holz in der Kreislaufwirtschaft

Holz spielt in der Thematik eine besondere Rolle als Ressource, die nachwächst, aber nicht unendlich vorhanden ist. Nicht behandelt kann das Holz zurück in den natürlichen Kreislauf gehen, indem es am Lebensende energetisch verwertet wird. Aber das Holz sollte davor immer in einer Kaskade genutzt werden – zumindest so lange, bis ideell der Baum nachgewachsen sein kann. Daraus lässt sich ein anderer Umgang für Holzprodukte in der Kreislaufwirtschaft fordern. Die Produkte sollen so erstellt werden, dass sie für den Zeitraum, bis sie wieder nachgewachsen sind, stofflich genutzt werden, z. B. als Balken, dann in der Spanplatte und am Ende energetisch. Auch bei der Systematisierung nach dem „Cradle to Cradle“-Konzept haben die Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen eine Sonderstellung. So kann un­behandeltes Holz dem biologischen Kreislauf zugeordnet werden und muss nicht wie die Produkte des technischen Kreislaufs im Kreislauf geführt werden.

Zusätzlich sind Gebäude aus Holz im Durchschnitt deutlich leichter als mineralische Gebäude und verbrauchen weniger Ressourcen pro Quadratmeter Nutzfläche – auch das ist Teil der Ressourcenschonung. Sinnvoll wäre auch eine Rückbesinnung auf Bautradi­tionen, die über viele Jahrhunderte die Ressourcen so eingesetzt haben, sodass sie langlebig und effizient genutzt wurden.

Generell muss es bei der Kreislauffähigkeit um die Zirkularität von Funktionen (z. B. Ermöglichen von Wohnen/Arbeiten) gehen, die dann mit möglichst wenig Verwendung neuer Ressourcen umgesetzt wird. Das Thema Suffizienz ist immanent, also: Rethink, Reduce und Reuse. Holz sollte man daher in langlebige Produkte im Bausektor einbauen, reparieren und weiternutzen, und zwar so lange, bis es als letzte Option als Energiequelle enden kann – falls es bis dahin überhaupt noch notwendig ist, Holz dafür zu verwenden.

1 Samuel Ebert u. a.: Modell der Recyclingfähigkeit auf Bauteilebene, Bautechnik Vol. 97/S1, Sonderheft Holzbau, S. 14 – 25.

Literatur

Building for Change. The Architecture of Creative Reuse
gestalten, Ruth Lang (Hg.), Berlin 2022

Besser Weniger Anders Bauen. Kreislaufgerechtes Bauen und Kreislaufwirtschaft
Dirk E. Hebel, Felix Heisel mit Ken Webster (Hg.), Basel 2022

Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen
Institut Konstruktives Entwerfen ZHAW Departement Architektur, ­Gestaltung und Bauingenieurwesen et al. (Hg.), Zürich 2021

Upcycling. Wiederverwendung und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur
Daniel Stockhammer, Universität Liechtenstein (Hg.), Zürich 2021

Urban Mining und kreislauf­gerechtes Bauen. Die Stadt als Rohstoff­lager
Felix Heisel, Dirk E. Hebel (Hg.), Stuttgart 2021

Einfach Bauen. Ein Leitfaden
Florian Nagler (Hg.), Basel 2021

Baustoffrecycling – Entstehung – ­Aufbereitung – Verwertung
Anette Müller, Wiesbaden 2018

Atlas Recycling. Gebäude als ­Materialressource
Annette Hillebrandt et al. (Hg.), München 2018


verfasst von

Annette Hafner

Architektin und Professorin für Ressourceneffizientes Bauen an der Ruhr-­Universität Bochum. Forschungsschwerpunkt Ökobilanzierung, Bauen mit Holz und Nachhaltigkeitsbewertung. Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik des BMEL, Berlin. Deutscher Holzbaupreis für die Konzeption zur Mustersiedlung Prinz-Eugen-Park (2021).

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

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Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling