In meiner zwölfjährigen Schullaufbahn hatte ich natürlich Turnunterricht, war aber auch Turner abseits der Schule, trainierte dreimal die Woche und nahm immer wieder an Wettkämpfen teil. Ich war kein ausgezeichneter Turner, errang keine Medaillen, hatte aber Spaß und führte bis zur Pubertät die Tradition einiger Familienmitglieder mütterlicherseits fort, die teilweise bis ins hohe Alter diesem Sport verbunden blieben. Damals war es für mich selbstverständlich, dass ich Holz in den Händen und Holz unter den Füßen hatte, stellte mir keine Fragen dazu, nahm aber unbewusst vermutlich wahr, dass diese Sportart von Holz geprägt ist, denn von den Ringen über die Sprossenleitern, von den Böcken bis zu den Sprungbrettern waren fast alle Turnhallen „hölzern“ ausgestattet.
Auch der Parkettboden, auf dem man entweder barfuß oder mit den dünnen Turnschlappen lief und der mit unterschiedlichen farbigen Linien markiert war, um die verschiedenen Sportfelder zu definieren, war Bestandteil meiner jugendlichen Raumerfahrung. Dazu kam noch der Geruch in einigen Hallen – abseits unserer Ausdünstungen –, der manchmal ganz leicht von einem Holzduft imprägniert war, wobei die meisten Sportgeräte damals durch Lacke versiegelt waren. Als Kind hat man seinen Körper und die Direktheit seiner sinnlichen Empfindung, denn man bewegt sich mit fast nackter Haut in einer Gruppe in einem Turnsaal, tritt in Resonanz mit den räumlichen Gegebenheiten – Licht, Materialität, Akustik, Geruch – und letztendlich mit der Atmosphäre. Je nach Alter spielen auch das eigene Körperbewusstsein, Schamgefühle und Geschlechterbeziehungen in der Raumempfindung eine nicht unwesentliche Rolle. Denn die kindliche bzw. jugendliche Wahrnehmung, jenes nicht normgerechte Gefühl, reagiert unkonventionell und sensibel auf unterschiedliche Raumsituationen, unter anderem auch im Turnsaal, wo man mit spärlich bekleidetem Körper einer harten oder weichen Oberfläche entgegentritt.
Erzeugen harte Materialien oft widerständige Gefühle, so lösen weiche Materialien eher das Empfinden von Raum als körperlich angenehmem Etui aus. Was man als Kind spürt, wird einem als Erwachsenem erst verständlich, denn Architektur ist ein synästhetisches Phänomen, das nicht nur mit den Augen erfahren wird. Architektur geht im wahrsten Sinne unter die Haut, das größte Sinnesorgan des Menschen, und wird multisensorisch – vom Hören bis zum Riechen – wahrgenommen. Im Gehirn entsteht ein komplexer Raumeindruck, der manchmal nicht wirklich zu verbalisieren, aber spürbar ist.
Betritt man heute neu errichtete Sport- oder Turnhallen, so findet man weitgehend das gleiche Erscheinungsbild und eine ähnliche Materialästhetik vor wie in meiner Vergangenheit. In betonierten Bauten wie in konstruktiven Holzhallen dominiert an Wänden, Böden und vor allem Geräten der Werkstoff Holz. Offensichtlich scheint das Holz seine „Intelligenz“, seine logische Funktionalität nicht verloren zu haben.
Birken- und Fichtenholz sind sehr elastisch und werden deshalb vor allem für Sportgeräte verwendet, die ein gewisses Maß an Flexibilität oder Biegsamkeit benötigen. Buche und Esche sind dagegen sehr harte Hölzer und werden überall dort eingesetzt, wo widerstandsfähige Oberflächen nötig sind. Als Schwingböden werden flächenelastische Sportböden bezeichnet, die bei Belastung nachgeben. Sie dämpfen die Sprungenergie und harte Auftritte weitgehend durch ihre Unterkonstruktion, verringern damit die Verletzungsgefahr von Sportler:innen und sind oft auch aus Holz gefertigt. Darüber hinaus hat der Einsatz von Holz mit „weichen“ Entscheidungskriterien zu tun, die vor allem atmosphärische, farbliche und damit psychologische Aspekte berücksichtigen. Wie in der Musik erzeugen metallene und hölzerne Instrumente unterschiedliche Klänge, schaffen einen Resonanzraum und eine akustische Stimmung.
Letztendlich entscheiden sich Architekt:innen für Materialien auf Basis eines architektonischen wie raumprägenden Gesamtkonzepts, wollen eine Stimmung erzeugen und nicht nur funktionale Erfordernisse erfüllen, sie berücksichtigen zunehmend das Nachhaltigkeitsthema wie die regionale Wertschöpfung in ihrer Planung, müssen aber auch Normen und die Baukosten einhalten. Im Idealfall entsteht am Ende Architektur, ein Gebäude mit Räumen, die unter die Haut gehen und sich körperlich gut anfühlen – halbnackt in Turnbekleidung.