Zum Hauptinhalt springen

Bauteilbörsen und Materialdatenbanken
Eine Bestandsaufnahme

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Die Weiterverwendung von Baustoffen, -materialien und Bauteilen hat eine ebenso lange Tradition wie die Baukultur der zivilen Gesellschaften an sich. War früher die Rohstoffgewinnung eine aufwendige Angelegenheit, so stehen in der globalisierten Welt die Produktionsorte weltweit in Konkurrenz – wenn auch mit unter­schiedlichsten Rahmenbedingungen.

Von diesen und anderen komplexen Zusammenhängen hängt ein Gelingen der Wieder- und Weiterverwendung von Ressourcen aus urbanen Quellen ab – im Speziellen mit Fokus auf den Werkstoff Holz. Durch die fortschreitende Digitalisierung, auch im Bau­wesen, wird sich der Markt in Zukunft besser etablieren können. Noch aber ist der Druck auf den Rohstoffmarkt zu gering.

Besonders in der Baubranche sind große Massen und Mengen an Ressourcen nötig – daher ist der Handel mit Sekundärressourcen derzeit nicht marktwirtschaftlich konkurrenzfähig. Als Forschungs- und Innovationsthema ist er aber auf der Agenda von Fördereinrichtungen der öffentlichen Hand oder privaten Unternehmen.

Bauteilbörsen analog und digital

Pionierhafte Initiativen wurden und werden oft in Zusammen­arbeit mit sozialökonomisch geförderten Betrieben aufgebaut. Ein Beispiel für einen seit über 25 Jahren bestehenden Secondhand-Baumarkt ist die Bauteilbörse Basel. 1995 als Verein von der Architektin Barbara Buser u. a. gegründet, ist sie eines von mehre­ren Geschäftsmodellen für die Kreislaufwirtschaft. Weitere l­ebendige Beispiele finden sich mit Genbyg in ­Dänemark oder der 2012 ins Leben gerufenen Plattform Opalis, einem traditionellen Reseller mit Wirkungsgebiet vor allem in den Benelux-Staaten und England.

Viele aktuell gegründete Plattformen fokussieren bereits stärker auf Unternehmen im Bauwesen statt auf Einzelabnehmer:innen, wachsen zusammen und funktionieren digital, so auch die 2021 gegründete Online-Plattform sumami. Sie baut u. a. auf die Arbeit des Berner Architekten Daniel Glauser auf, der seit mehr als zwanzig Jahren im Bereich Wiederverwendung und Bauteilbörsen tätig ist, und fasst die Dienstleistungen der Plattformen bauteilclick und useagain unter einem Dach zusammen. Neben den Bauteilen selbst werden hier auch die Analyse und Aufnahme von ­Bestandsgebäuden oder eine strategische Beratung angeboten.

Unabhängig ob analog oder digital, die Präsentation der verfügbaren und bereits geernteten Waren, meist auf großen Innen- und Außenflächen an den Stadträndern, verlangt immer eine arbeitsintensive Aufbereitung. Neben der Vermittlung selbst und der Bereitstellung von Informationen zu den angebotenen Objekten müssen ebendiese vorab eingeholt werden. Unabdingbar sind ­dafür ein exemplarischer Rückbau, um die Eignung festzustellen, eine zerstörungsfreie Demontage, der Transport und eine entsprechende Aufbereitung wie Reinigung oder gegebenenfalls auch Reparatur. Gemeinhin werden Lagerung, Sortierung, Bearbeitung und Vertrieb – also Dienstleistungen und Aufwendungen, die mit der Vermittlung einhergehen – etwas einfacher, wenn sich das Angebot auf eine bestimmte Art Bauteile beschränkt.

Dass hinter den Initiativen bzw. Betreiber:innen von Plattformen oftmals Kreativschaffende stehen, lässt auf das hohe gestalterische Potenzial von wiederverwendbaren Bauteilen schließen. Ein Wachsen des Wirkkreises über eine einschlägige Community oder die unmittelbare Region hinaus gelingt meist erst nach ­langer Laufzeit oder durch den Zusammenschluss mit anderen Beteiligten des Bausektors. Ein Beispiel dafür ist die Plattform HarvestMAP. Gegründet wurde sie 2012 unter dem Namen Oogstkaart, zu Deutsch Erntekarte oder eben Englisch Harvestmap, als Open-Source-Anwendung vom niederländischen Architekturkollektiv Superuse Studio, das damit vor allem eigene Projekte zirkulären und nachhaltigen Designs umsetzte. Um das Angebot zu profes­sionalisieren und effizienter gestalten zu können, ­gingen die Gründer:innen auf die Suche nach Kooperationspartnerschaften in der Bauindustrie. Schließlich wurde der Service 2020 ausgegliedert und ist seither als Teil des Angebots von New ­Horizon, einem Urban-Mining-Unternehmen mit breitem Beratungs- und Beschaffungsangebot, verfügbar. Die internationalen Aktivitäten von HarvestMAP werden weiterhin von Superuse ­Studio ­betrieben und stehen als freie Software zur Verfügung.

Davon ausgehend betreiben die Wiener Genossenschaft HarvestMAP eGen und die materialnomaden GmbH die Initiative re:store für den Aufbau eines derartigen Angebots in Österreich. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem B2B-Bereich (Business-to-­Business) bzw. der direkten Produktentwicklung von „re:products“, der Inwertsetzung bestehender und durch Demontage verfügbarer Produkte in Kooperation mit produzierenden Betrieben.

Von Business-to-Consumer zu Business-to-Business

Der Erfolg von re:store bzw. des B2B-Ansatzes lässt sich anhand des re:products „ReParkett“ anschaulich darstellen. Die „Ernte“ von 3.000 m3 traditionellem Stabparkett im Rahmen ­eines Teilrückbaus war die Initialzündung, aus einem der ersten industriell in Wien in großem Umfang hergestellten Bauprodukte zur Jahrhundertwende ein re:product zu entwickeln. Stabparkett findet sich auch heute noch im Angebot vieler Betriebe – die ­Suche nach Kooperationspartnern begann. Mit Weitzer kam schließlich ein alteingesessener Hersteller an Bord. In enger Zusammenarbeit mit dessen Vertriebspartnern werden Parkette aus Abbruchhäusern oder renovierungsbedürftigen Wohnungen abgeholt, aufbereitet und im regulären Sortiment als ReParkett angeboten. Re:store koordiniert das Netzwerk und garantiert, dass es sich um ein Kreislaufprodukt handelt.

Ein weiteres Modell, um vorhandene Materialien im Kreislauf zu halten, zeigt Cyrkl mit Hauptsitz in Prag. Die Plattform für ­gewerbliche Abfälle verschrieb sich der nachhaltigen Rohstoffbeschaffung und etablierte sich als größter Anbieter dieser Art in Europa. Der Fokus liegt hier nicht auf Produkt- oder Bauteilebene, sondern auf dem Vertrieb von Abfall- und Reststoffen aus der ­industriellen Produktion. Hier werden große Mengen und Mate­rialstoffströme verwaltet und vermittelt, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Rezyklieren der Masse liegt.

Rohstofflager von morgen – Neubau und Bestand

Da auch Gebäude, die erst gebaut werden, bewertet werden müssen, gibt es mittlerweile auch Plattformen, die künftig verbaute Rohstoffe anhand von Materialpässen erfassen. Ein Beispiel dafür ist Madaster, wo ganze Projekte mit allen darin verbauten Mate­rialien und Produkten eingetragen werden. Neben den Baustoffen und Bauteilen selbst finden sich Informationen über Anschlüsse und Verbindungen, sprich die Trennbarkeit der Materialien, oder die Toxizität. Sämtliche Rohstoffanteile werden basierend auf den Plandaten der Gebäude beurteilt, eine CO2-Bilanz wird erstellt. Die verbaute Masse an Ressourcen ist dadurch quantifizierbar.

Eine Hürde, die auch im Neubau und mithilfe modernster Produkt- und Bauteildatenbanken (noch) übersprungen werden muss, ist, dass viele ähnliche, aber doch nicht gleiche Bauteile und Produkte handhabbar gemacht werden müssen. Denn während beispielsweise Autos zur Gänze industriell gefertigt sind und die Fahrzeuge des gleichen Modells aus immer gleichen – und somit austauschbaren – Bauteilen bestehen, sind Gebäude individuell an ihren Standorten errichtete „Gesamtbaukunstwerke“. Ausbauteile wie Türen, Fenster, Sanitär und dergleichen sind zwar in meist standardisierter Form verbaut, der Großteil an Material steckt jedoch in der Tragkon­struktion bzw. in konstruktiven Bauteilen, die oft zwar ähnlich, aber selten ganz gleich sind. Die Forschung ist nun gefragt, mit digitalen Mitteln leicht unterschiedliche Bestand­teile, die aber vom Prinzip her ähnlich oder gleich einsetzbar sind, schneller zu identifizieren und zu katalogisieren.

Darüber hinaus müssen auch die bereits verbauten Ressourcen besser erfassbar, beschreibbar und somit effizienter wiedereinsetzbar gemacht werden. Denn ihre Menge ist im Vergleich zu jenen im Neubauvolumen um ein Vielfaches größer. Und obwohl so viel rückgebaut wird wie noch nie, landet nur ein Bruchteil der wiederverwendbaren Bauteile auf den Plattformen. Wo Jahrhundertwendebauten noch hohe Qualitäten aufweisen, erreicht heute der Einsatz von Verbundwerkstoffen seinen Zenit und ­hinterlässt deutlich rückbauunfreundlichere Bauwerke aus den 1990er und 2000er Jahren. Unabhängig davon gelangen nur 3 bis 5 Prozent wirklich in den Wiedereinsatz.

Es ist daher umso wichtiger, kreislauffähiges Bauen und Planen in den Fokus aller am Entwicklungs-, Planungs- und Bauprozess Beteiligten zu rücken. Denn die urbanen Quellen in Form städtischer Objekte und Gebäude wirken auf unser aller Zusammen­leben gleicher­maßen und ihre Bereitstellung geschieht im öffentlichen Interesse. Bauen im und mit dem Bestand ist das Ziel. Eigentum von Bestandsgebäuden muss als Rohstoffbesitz begriffen werden und Bauherr:innen sollten bei jedem einzelnen neuen Projekt die Möglichkeit prüfen, die darin eingelagerten Bauteile als Ressource einzubinden.

Info

Plattform re:store der HarvestMAP eGen
Die Genossenschaft HarvestMAP eGen als Initiatorin der Plattform re:store ermöglicht Planer:innen, Betrieben und Investor:innen die Mitgliedschaft und hält dazu einen Infoabend am 18. April 2023 ab. Anmeldungen unter restore(at)harvestMAP.at

circular[X]change:challenge_VIENNA
Erstmalig fand im Herbst 2022 auf Initiative der materialnomaden gmbh ein euro­päisches Vernetzungstreffen für Plattformbetreiber:innen statt; Termine und Kontaktmöglichkeiten unter: www.materialnomaden.at


verfasst von

Andrea Kessler

studierte ­Architektur bei Zaha Hadid und Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Gründungsmitglied der materialnomaden gmbh und HarvestMAP eGen – Genossenschaft zur Vermittlung von re:use-Bauteilen. Konsulentin für kreislauffähige Baukultur und nachhaltiges Prozessdesign.

Peter Kneidinger

studierte Bauingenieurwesen an der TU Wien. Gründungsmitglied von material­nomaden gmbh und HarvestMAP eGen – Genossenschaft zur Vermittlung von re:use Bauteilen. Konsulent für Tragwerksplanung und für kreislauffähige Baukultur und ­angeleiteten Selbstbau.

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling