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Ökobilanzierung von Holzprodukten bei Reuse und Recycling
Wald – Holz – Klima

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Aufgrund der Ressourcensituation in Kombination mit der Verfügbarkeit ­erneuerbarer Energie und der Biodiversitätskrise wird die Kreislaufwirtschaft im Gebäudesektor von der Europäischen Kommission forciert. Dies stellt einen wesentlichen Faktor für den Klimaschutz dar und erfordert eine adäquate, die entsprechenden Anstrengungen auch unterstützende, ökologische Bewertung. Bei der Ökobilanzierung, auch als Umweltbilanz, Lebenszyklusanalyse oder Life Cycle Assessment bekannt, von Holzprodukten und deren Wieder­ver­wendung sind derzeit maßgebliche materialspezifische Parameter nicht oder nur unzureichend berücksichtigt.

Die ökologischen Vorteile des Holzbaus sowie des langfristigen, kaskadischen Holzeinsatzes sind grundsätzlich bekannt. Sie sind jedoch nicht nur in der temporären CO2-Speicherung und dem geringen und meist mit erneuerbaren Energieträgern abgedeckten Energieeinsatz bei der Produktion, sondern auch in der prinzipiell möglichen Zerlegbarkeit von Holzkonstruktionen und der daraus resultierenden potenziellen Wiederverwendbarkeit von Holzprodukten bzw. ganzen Bauteilen zu finden.

Widersprüche in der aktuellen Ökobilanzmethode

Im Zuge der Ökobilanzierung, also dem standardisierten Verfahren zur Feststellung der Nachhaltigkeit von Holzprodukten, spielt deren Kohlenstoffgehalt eine entscheidende Rolle. Nach der derzeit in der önorm EN 15804 festgelegten Ökobilanzmethode für Bauprodukte ist der während des Baumwachstums aufgenommene Kohlenstoff als negatives Treibhauspotenzial (GWP) im ­Rohstoff zu berücksichtigen. Allerdings muss dieser Kohlenstoff am Lebensende verpflichtend wieder ausgebucht werden. Das scheint bei der Verwendung von Holz als Brennstoff nachvollziehbar, weil der Entzug des CO2 aus der Atmosphäre tatsächlich nur kurze Zeit andauert und eine rasche Verbrennung das CO2 wieder freisetzt. Anders ist dies jedoch bei langlebigen Holz(bau)produkten zu beurteilen, die oft, etwa als Tragkonstruktion, ein komplettes Gebäudeleben überdauern. Hier sollte die verzögerte Emission von CO2 berücksichtigt werden, weil sie zeitnah positive Effekte für die Vermeidung oder zumindest für die Abminderung des Klimawandels zeitigt.

Der derzeit hauptsächlichen Verwertungsmethode von Bauholz folgend, wird am Lebensende von Holzprodukten die thermische Verwertung bilanziert. Das führt im Produktlebenszyklus in der Phase C (Ende des Lebenswegs) zu den besagten CO2-Emissionen aus den Holzprodukten, aber auch zu Gutschriften in der Phase D (Gutschriften und Lasten außerhalb des Lebenszyklus). Auf Pro­dukt­ebene muss diese Phase getrennt dargestellt werden, auf Gebäude­ebene (bisher) nicht. Diese Gutschriften resultieren aus der Nutzung als Ersatzbrennstoff (statt einer hypothetischen Gasfeuerung) und den daraus resultierenden, vermiedenen Emissionen. Dies ergibt doch beachtliche Gutschriften (negative Emissionen), wie am Beispiel Treibhauspotenzial von Konstruk­tionsvollholz ­ersichtlich.

Wird Holz stofflich verwertet, muss gemäß önorm EN 15804 das CO2 trotzdem (als Emission) ausgebucht werden, geht aber in das ­Folgeprodukt wieder als negative Emission ein. Dies ist zwar nachteilig für das erste Produkt, jedoch vorteilhaft für das nachfolgende, das damit für seine Nutzung von Holz generell und im gegenständlichen Fall von Altholz belohnt wird, was als Anreiz fungieren kann. Methodisch wird durch die Nutzung von Altholz (sogenanntes Sekundärmaterial) Primärholz ersetzt, und da der Aufwand und die damit verbundenen Emis­sionen für das Sekundärmaterial geringer sind, kommt es auch in diesem Fall zu einer Gutschrift in der Phase D. Wie anhand des Beispiels von Konstruktionsvollholz dargestellt, führt diese Methode ­jedoch zu ­einem quantitativ nachteiligen Ergebnis für die stoff­liche Verwertung, weil die ­Gutschriften bei thermischer Ver­wertung ­signifikant höher sind. Dies widerspricht dem gesell­schaftspolitischen Grundkonsens der Ressourcenschonung und liegt in der – wie unser gesamtes aktuelles Wirtschafts­system – prinzipiell ­linear gedachten Logik der ÖNORM EN 15804 begründet.

Neue Zugänge erforderlich

Die Tatsache, dass die Möglichkeit der kaskadischen Nutzung die Dauer der CO2-Speicherung noch verlängert, verleiht einer Berücksichtigung bei der Bilanzierung zusätzliche Urgenz. Bisher wurden solche Ansätze, u. a. aufgrund der mit der erforderlichen dynamischen Herangehensweise verbundenen Komplexität, in den damit befassten Normungsgremien ausgeschlossen. Ein Ansatz des IBO – Österreichisches Institut für Bauen und ­Öko­logie, das Problem zu lösen, ist es nun, bestehende Methoden weiter­zuentwickeln und dabei möglichst alle relevanten Parameter einzubeziehen: die CO2-Bilanz in verschiedenen Forsttypen, die Berücksichtigung von Wiederverwendung und Recycling, die ­Abbauraten von Treibhausgasen in der Atmosphäre etc. Sie sollen auf unterschiedlichste Szenarien angewendet werden, um anhand der Ergebnisse ein vereinfachtes Verfahren für die Normung zu synthetisieren. Das Ergebnis könnte bereits in der aktuellen Überarbeitung der önorm EN 16485 („Holz PCR“) einfließen und auch auf europäischer Ebene, in der zuständigen Arbeitsgruppe des Normenkomitees CEN TC 350, das ­Bewusstsein für ein die ­Realität präziser abbildendes Modell schärfen.

Normen

ÖNORM EN 15804 Nachhaltigkeit von Bauwerken – Umweltproduktdeklarationen – Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte

ÖNORM EN 15978 Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der umweltbezogenen Qualität von Gebäuden – Berechnungsmethode

Die ÖNORM EN 15804 und ÖNORM EN 15978 liefern die ­spezifischen Grundregeln zur Erstellung von Ökobilanzen für Bauprodukte und Gebäude. Erstere wurde zur Bewertung der Umwelteigenschaften von Bauprodukten entwickelt, zweitere zur Bewertung der umweltbezogenen Qualität von Gebäuden.

 

ÖNORM EN 16485 Rund- und Schnittholz – Umweltproduktdeklarationen – Produktkategorie­regeln für Holz und Holzwerkstoffe im Bauwesen

Diese sogenannte „Holz-PCR“ liefert allgemeine Produktkategorie-Regeln (Product Category Rules – PCR) für die Entwicklung einer Umwelt­produkt-Deklaration (Environmental Product Declarations – EPD) für Bauprodukte aus Holz und Holzwerkstoffen. Sie ist als Ergänzung in ­Verbindung mit önorm EN 15804 anzuwenden.

 

CEN TC 350 Nachhaltigkeit von Bauwerken

Das Europäische Komitee für Normung (European Committee for Standardization – CEN) und hier jeweils spezifische technische Komitees (Technical Committees – TC) arbeiten auf EU-Ebene an ­einem einheitlichem Normenwerk für den europäischen Binnenmarkt. Das CEN TC 350 beschäftigt sich im Rahmen spezifischer Arbeitsgruppen mit dem Themenbereich des nachhaltigen Planens und Bauens.


verfasst von

Franz Dolezal

ist Senior Scientist beim IBO. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Nach­haltigkeit von Bauprodukten und Gebäuden sowie die Bauakustik. Zu beiden Themen führt er zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte durch und bringt die Ergebnisse auch in die nationale und europäische ­Normenarbeit ein.

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

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Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling