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Fassade des Hauptsitzes des Europäischen Rats

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Daten zum Objekt

Standort

Brüssel/BE Google Maps

Bauherr:in

Belgian Building Agency, Brüssel/BE, www.regiedesbatiments.be/fr

Architektur

Philippe Samyn and Partners architects & engineers, Brüssel/BE, www.samynandpartners.comStudio Valle, Rom/IT, www.studiovalle.com

Statik

Buro Happold, London/UK, www.burohappold.comIngenieursbureau Meijer, Edegem/BE, www.meijer.be

Fertigstellung

2015

Eine Ikone aus Altbaufenstern

Viel Aufwand für viel Symbolik – so könnte man die Fassade des Europagebäudes, Hauptsitz des Europäischen Rats, in Brüssel aus dem Jahr 2016 beschreiben. Der Entwurf stammt vom belgischen Architekten Philippe Samyn gemeinsam mit dem Studio Valle Progettazioni aus Italien und Buro Happold aus Großbritannien. Sie ließen zuerst die vorhandenen Anbauten aus den 1960er ­Jahren am teils denkmalgeschützten Résidence Palace aus den 1920er Jahren abreißen. Anschließend wurde der L-förmige ­Bestand zu einer würfelförmigen, blockfüllenden Bebauung ­ergänzt. Zusammengefasst wird Alt und Neu unter einem auskragenden Glas-/Photovoltaikdach. Das Zentrum des Neubaus bildet eine elfstöckige „Laterne“ (auch Vase oder Ei genannt), die Konferenz- und Sitzungsräume, Dolmetschkabinen, Pressezentrum, Kantine und Restaurant beinhaltet.

Umschlossen wird diese ­organische Struktur von einer doppelten, transparenten Fassade, durch welche die Laterne nachts in den Stadtraum strahlt. Der äußere der beiden Layer wurde aus insgesamt 3.750 bis zu 250 Jahre alten Fensterrahmen aus allen (damals inklusive des Vereinigten Königreichs noch 28) EU-Mitgliedsstaaten zusammengesetzt. Entnommen aus Abbruchhäusern und Renovierungspojekten, wurden die einfachverglasten Rahmen zu einer Collage aus je 5,40 mal 3,54 Meter großen Fassadenelementen zusammengesetzt und auf einen Stahlrahmen montiert. Unter dem Leitspruch der EU „in Vielfalt geeint“ sollen sie für die Wiederverwertung von Baumaterialien werben und stehen sinnbildlich für das handwerkliche Können und die kulturelle Vielfalt in der EU. Seitens des Architekten Philippe Samyn schwingt jedoch auch eine Kritik an den EU-Empfehlungen zur Energieeinsparung mit. Sie würden dazu führen, dass in den nächsten Jahren in vielen ­alten Gebäuden in ganz Europa intakte Fensterrahmen gegen Doppelverglasungen ausgetauscht werden müssten. Daher fasste er den Entschluss, einige dieser Millionen alter, aber immer noch effizienter Fensterrahmen zu restaurieren und im Europagebäude wiederzuverwenden. Neben der Symbolik dient die außen liegende Sekundärfassade als erster thermischer und akustischer Schutz, während die innen liegende – ebenfalls auf einen Stahlrahmen montierte – Fassade mittels Dreifach-Verbundsicherheitsgläsern aus schusssicherem Glas neben energetischen auch Sicherheitsfunktionen übernimmt.


verfasst von

Linda Lackner

Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

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Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling