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Zuschnitt 19
warum stabil?


Erfahrungen, Experimentierfreudigkeit und Fantasie haben seit Jahrhunderten funktional optimierte, faszinierend leichte und fragile Bauwerke entstehen lassen, deren konstruktive Stärke im Wissen um das Wesen des Materials begründet ist, in der vollen Ausschöpfung der Kapazitäten des Holzes, seiner Leichtigkeit, Festigkeit, Weichheit, Gerichtetheit und Nachgiebigkeit, und deren Authentizität bis heute spürbar und inspirierend ist.

Format DIN A4
Seiten 28
ISBN 978-3-902320-28-1
Ausgabe September 2005
Einzelpreis 8,00 €

Editorial

»Konstruieren, nicht rechnen!« lautet Karlheinz Wagners Postulat in seinem Beitrag »Fragil bauen« und damit fasst er mit drei Wörtern zusammen, worum es in diesem Zuschnitt geht: um Beispiele von Holzarchitektur, bei deren Entstehung jahrelange Erfahrung, Experimentierfreudigkeit, viele Versuche, auch Fehlschläge und Misserfolge eine wesentliche Rolle spielten. Beispiele, die zum Teil lange vor jeder Art von computerunterstützter Planung entstanden sind, zum Teil auch lange vor jeder statischen Nachweisrechnung, wie sie die aktuelle Baumechanik beherrscht. Beispiele, deren Authentizität faszinierend ist, deren Fragilität und Leichtigkeit kaum mehr vorstellbar sind, die heute nicht mehr realisierbar wären, weil sie an gerechneten Sicherheiten und Nachweisforderungen scheitern würden. Die Gemeinsamkeit dieser Bauten liegt in erster Linie darin, dass ihre Konstrukteure das Wesen des Baustoffs Holz erfasst haben – dessen Leichtigkeit, hohe Belastbarkeit in der Faserrichtung, aber auch Weichheit, Nachgiebigkeit und Verformbarkeit.

Eigenschaften, die bei heutigen Konstruktionen oft kaum mehr eine Rolle spielen, in der Vergangenheit jedoch essenziell waren, Voraussetzung für ein Vertrauen in das Material, das sich über Jahrhunderte im kollektiven Unbewussten verankert hat und für uns als »Vertrautheit des Materials« spürbar ist. Jeder weiß, dass man einen Stock am besten übers Knie, also quer zur Faserrichtung abbrechen kann, niemand käme auf die Idee, ihn wie einen Faden in die Länge zu ziehen, bis er reißt. Jeder weiß auch, dass sich Seile und Schnüre am Besten als Verbindungsmittel eignen, so lange das Bauholz in seiner ursprünglichen Form, also stabförmig, als Ast oder Stamm, zur Verfügung steht. Die Tragfähigkeit eines auskragenden Astes ist für uns genau so abschätzbar wie die Stärke eines Brettes, das uns als Brücke über einen Bach dient, und wir wären fast alle in der Lage, Reparaturen an einem Baumhaus vorzunehmen.

Diese Ausgabe zeigt vor allem Bilder. Bilder von Bauwerken im weitesten Sinn, deren Statik den Regeln des Materials folgt. Der Bogen reicht vom perfekten System Baum über einfache Kragbrücken und Hochstände bis zu den komplexen Strukturen Frei Ottos und Richard Corays. Die Bilder machen lange Erklärungen überflüssig, die meisten Systeme erschließen sich visuell. Die Textbeiträge enthalten nur das Wesentliche, weisen auf Hintergründe und Zusammenhänge hin, sind als erweiterte Bildunterschriften zu verstehen.

Wir wollen mit diesem Zuschnitt nicht eine »zurück auf den Baum«-Bewegung initiieren, auch nicht die Errungenschaften moderner Ingenieurkunst in Frage stellen, sondern anregende, bezaubernde, überraschende Dinge zeigen, die zur Freude am Konstruieren jenseits von zertifizierten Details verleiten sollen.

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