Die Zukunft der Stadt hängt wesentlich vom Klima ab, nicht zuletzt weil sich Erderhitzung als gravierende Stadterhitzung auswirkt. Die Veränderung des Klimas stellt dabei nicht ein Grundproblem für sich allein dar, gegenüber dem andere gesamtgesellschaftliche Probleme zweitrangig wären, sondern Klimaprobleme stehen im Zusammenhang mit anderen sozialen Problemfeldern, als da sind: leistbares Wohnen, Zugang zu öffentlichem Raum, Diskriminierungen etc.
Was bedeutet Hitze in der Stadt für Bewohnerinnen und Bewohner einer 50-m2-Wohnung ohne Balkon im Vergleich zu jenen einer Villa mit Klimaanlage, Dachterrasse und Garten oder Landhaus im Kühlen? Wer hat Zugang zu Grün- und Erholungsraum, wer wohnt in dichtverbautem Gebiet? Wie verteilen sich öffentliche Grünflächen in der Stadt? Kurz: Wem wird immer heißer werden? Wer wird zudem ungesunde Jobs ohne Fluchtmöglichkeit vor der Hitze haben, weil es am Bau oder bei der Ernte keine Klimaanlage gibt?
Die ausgelöste Klimaveränderung, die die Zukunft der Städte prägen wird, ist so allumfassend, dass sie nicht „über“ allen anderen Problembereichen steht. Vielmehr berührt sie alle anderen Bereiche und verstärkt deren Wirkung auf die Leben der Menschen. Deshalb können wir Klimafragen keinesfalls gegen „soziale Fragen“, also Probleme (un)gerechter Raum- und Reichtumsverteilung, ausspielen. Klima- und Verteilungsfragen sind miteinander eng verschränkt, etwa bei der seit kurzem öffentlich geförderten Solarstromerzeugung: Wer besitzt die Flächen und Dächer, um die Energie der Sonne, die an sich für alle gleich scheint, produktiv und profitabel zu nutzen? Klimagerechtigkeit bedeutet auch, Sonnenenergie ähnlich wie Grund und Boden als Commons, als öffentliche Güter, zu verstehen. Verantwortung für soziales und nachhaltiges Bauen zu übernehmen gilt ganz generell und auch aus materialtechnischer Sicht nicht nur für Einzelne in der Bauwirtschaft, sondern für die Stadtplanung und Politik, deren Instrumente und Förderungen hier steuern müssen.
Die Frage ist nicht mehr, ob gehandelt werden muss, sondern wie das Handeln zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe samt allen Beteiligten der Bauwirtschaft werden kann. Dabei sind planerische Raumnutzungskonzepte gegen die durch Erhitzung zugespitzten Verteilungsprobleme – städtische Grünkeile, Grünraumgürtel, Wasserkühlung, Entsiegelung, Schwammstadt, Baumpatenschaften – ebenso relevant wie bau- und materialtechnische Aspekte im Neubau (wenn ein solcher tatsächlich nötig ist), mehr noch im Umbau. In Bezug auf nachhaltige Bauformen und erneuerbare Materialwahl steht Holzbau auch im städtischen dichten Bereich immer mehr im Vordergrund. Das sind raum- und bautechnische Verfahren – und als solche nie ohne gesellschaftspolitische Dimension. Das zeigt nicht zuletzt die Degrowth-Bewegung auf: Sie legt nahe, die wachsende Stadt in einer Post-Wachstums-Gesellschaft zu konzipieren, zugleich auch als eine Post-Wachturms-Gesellschaft, also ohne Wachturm, der über befestigte Grenzen hinweg den Zuzug in die Städte zu stoppen versucht. Städte haben durchaus Platz, auch für Menschen auf der Flucht. Es geht darum, Städte umzubauen und den Raum, der bereits besteht, klug zu nutzen und gerechter zu verteilen: durch Leerstandsaktivierung, ein Ende von Wohnraum als Anlage, höhere Besteuerung von Zweit- und Mehrfachwohnsitzen u. v. m. Sozial-ökologischer Städtebau bedeutet Umbau und Weiterbauen – und Neubau nur wenn gemeinwohlorientiert. Konsequent weitergedacht müssten sich die Lehrstühle Städtebau in Städteumbau o. Ä. umbenennen.
Gerechte Verteilung bedeutet auch, „imperiale Lebensweisen“ infrage zu stellen, wie dies Ulrich Brandt tut. Dabei wird deutlich, wie sich „reiche Länder“ andernorts an ökologischen und sozialen Ressourcen bedienen, um sich selbst hohe Lebensstandards zu sichern. Verteilungsfragen stellen sich also im geopolitischen Maßstab und werden durch die klimabedingte Zerstörung von Lebensgrundlagen verschärft, was wiederum eine der Ursachen für Fluchtbewegungen ist. Das betrifft die hochenergetische Herstellung von Zement und den Sandverbrauch für Betonbauten, die gesundheitsgefährdende Produktion von EPS-Dämmstoffen und den Styropor-Abfall in den Ozeanen. Dazu kommen illegale Rodungen wie zum Beispiel jene der rumänischen Urwälder – mit diesen steht pikanterweise auch eine Beteiligung österreichischer Unternehmen in Zusammenhang. Diese Kritik ist wichtig, gerade weil die Ökologisierung des Bauens mit erneuerbaren und inklusiven Materialien wie Stroh, Lehm und Holz – das Material mit dem umfassendsten Potenzial – für die sozial-ökologische Wende so wichtig ist und ein globales Nachhaltigkeitsverständnis mit sich bringen muss.
Hier wird also deutlich, dass Klimafragen so etwas wie gesellschaftliches Klima mit umfassen – als Umschreibung für die Beziehungsnetze und -formen, die Gefühlslagen und kursierenden Haltungen, auch die „erhitzten Gemüter“ und Phasen „sozialer Kälte“, die eine Gesellschaft mit ausmachen. Solchermaßen im Zeichen des Klimas verstanden, tritt an Verteilungsfragen ein wichtiger Punkt hervor: Es geht nie um bloße Zuteilung von Quadratmetern und Geldmitteln an verschiedene soziale Gruppen durch eine Zentralinstanz; Verteilung heißt nie nur „Versorgung“, schon gar nicht durch eine paternalistische Autorität, sondern es steht immer die Handlungsfähigkeit, die Ermächtigung der vielen verschiedenen (und in mancher Hinsicht gleichen, gleich betroffenen) Leute mit im urbanen Raum. Klima und Verteilung, als „soziale Fragen“ angegangen, stellen Städte-Umbau und Wohnraumplanung vor die Notwendigkeit, vielfältige Identitäten und Lebensweisen anzuerkennen. Das erfordert radikaldemokratische Kritik an Ausschlüssen und Diskriminierungen, die sich immer auch baulich ausprägen (standardisierte Wohnungsgrundrisse, Qualitätsreduktion, fehlende Barrierefreiheit), sowie Allianzen unter Verschiedenen im aktiven Umplanen einer solidarischen und klimagerechten Stadt.