Es hat zwar keinen Scheinwerfer, doch man darf es guten Gewissens als Leuchtturmprojekt bezeichnen. Das HoHo Wien ist schon von weitem als transdanubischer Hochpunkt sichtbar und markiert das Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern wie eine Nadel auf der Landkarte. Ein Leuchtturmprojekt war es auch von Anfang an für den städtischen Holzbau, war es doch ganz vorne mit dabei im internationalen Wettrennen um das erste, höchste, spektakulärste Hochhaus aus Holz, das in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre an Dynamik gewann.
Der Spatenstich erfolgte im Oktober 2016, und trotz vieler Unwägbarkeiten im vertikalen Neuland hatte das für Entwicklung und Planung zuständige Kernteam von vornherein einen klaren Plan. Ein Holz-Purismus war bei 84 Metern Höhe weder realisierbar noch sinnvoll, daher wurde auf eine kluge Hybridlösung gesetzt: Ein Kern aus Stahlbeton, daran angehängt eine Holzverbundkonstruktion, bestehend aus vier Grundelementen: Verbunddecken, Wandelementen, Stützen und Unterzügen.
Um Purismus ging es dabei nicht, sondern um intelligenten Fortschritt, wie Ingenieur Richard Woschitz betont: „Wir wollten mit dem Projekt die gleichwertige Tragfähigkeit gegenüber mineralischen Baustoffen aufzeigen. Als Beispiel seien hier die Stützen im HoHo genannt, die gleichwertig die hohen Lasten im Hochhausbereich analog zu den Betonstützen sehr wohl abtragen können. Das hier angewandte sogenannte Lego-Grundprinzip aus vorgefertigten und logistisch zusammengefügten Elementen wird ein wichtiges Thema der Zukunft sein.“ Zwar wurde die Fertigstellung mehrmals verschoben, doch 2019 war es so weit. „Natürlich dauert die Planungsphase länger“, sagt die Projektentwicklerin des HoHo, Caroline Palfy, „Konsulenten, Prüfungen, Genehmigungen, all das braucht Zeit. Wenn solche Projekte zukünftig in der Baubranche die Regel sind, wird das schneller gehen.“
Genau hier wird die besondere Rolle des HoHo Wien deutlich. Es ist ein singuläres Leuchtturmprojekt, das nicht singulär bleiben, sondern als Türöffner für neue Regeln fungieren will. Dieser Fortschritt wurde auch bei Aspekten wie Statik und Brandschutz evident. Denn in Wien wurde der langsame Durchbruch des Holzbaus auch vom Entgegenkommen der Kompetenzstelle Brandschutz (MA 37) unter Leiterin Irmgard Eder begleitet, die neuen Entwicklungen offenstand.
Es ist der nächste Schritt auf dem Weg des traditionell mineralischen Ostens hin zu einer Normalisierung des urbanen Holzbaus. Erste Anfänge gab es in den 1990er Jahren, weitere Meilensteine waren etwa die Techniknovelle der Wiener Bauordnung 2001, die Holz in viergeschossigen Bauten erlaubte, 2012 setzte die Stadt Wien mit einem Bauträgerwettbewerb das Signal für Holz im Wohnbau. Wurde bei manchen der damaligen Pionierbauten noch konstruktive Vorarlberger Expertise „importiert“, hat inzwischen auch der Osten aufgeholt und an Selbstbewusstsein gewonnen.
Umbruch im Wohnbau
Die Wiener Stadtentwicklung wurde dabei zum (noch zaghaft bestellten) Experimentierfeld. In fast allen größeren neuen Wohngebieten wurde zumindest ein Baufeld für Experimente in Holz reserviert. Ein mehrfach preisgekröntes Beispiel trägt den simplen Namen „Holzwohnbau Seestadt Aspern“ und wurde in ebendieser auf dem Baufeld D12 umgesetzt. Hier wurde eine kluge Lösung aus modularen vorgefertigten Elementen auf massivem Sockel realisiert. Das Holz diente hier nicht nur als Fassade, sondern auch als quasi-landschaftliches Element bei der Ausformung der halböffentlichen Bereiche im Hof.
Zwei Ecken weiter war über mehrere Jahre ein Experiment des temporären Holzbaus zu besichtigen: Das Studierendenwohnheim PopUp dorms. Dessen Grundidee war, Grundstücke im Nahbereich der Stadt Wien, die frühestens in fünf Jahren bebaut werden, einer Zwischennutzung zuzuführen. Der Entwurf des modularen Gebäudes basierte auf dem bereits vom selben Planungsteam entwickelten Produkt gobox, das schon mehrmals für Wohn- und Gewerbezwecke zum Einsatz kam und 2007 mit dem Oberösterreichischen Holzbaupreis ausgezeichnet wurde. Im Sommer 2021 schließlich rückten die Transporter zum plangemäßen ersten Umzug an und die komplett möblierten Module wanderten in den Norden der Seestadt.
Auch im Sonnwendviertel mit seinen kleineren Baufeldern und seinem differenzierten Vergabeverfahren fand der Holzbau Platz. Als Leuchtturmprojekt dafür ist beispielsweise das Wohnprojekt Gleis21 zu nennen, bei dem es ein expliziter Wunsch der Baugruppe war, einen Bau in Holz-Hybridbauweise zu realisieren. Hier war vor allem die Balance zwischen der Grundrissflexibilität, die sich aus den individuellen Wünschen der Bewohnerinnen und Bewohner ergab, und dem holzbauimmanenten regulären Rastersystem die große Herausforderung. Die durchweg positive Rezeption des 2019 bezogenen Hauses zeigte die Akzeptanz des Holzbaus in hochverdichteten Stadtgebieten.
Wenige hundert Meter weiter ist das Baugruppenprojekt Bikes and Rails der zweite Holzbau im Viertel, und auch hier ist das Material über den rein konstruktiven Aspekt hinaus ein Signal für besonderes Engagement – in diesem Fall von Seiten eines Mietshäusersyndikats.
Doch es bleibt nicht bei diesen einzelnen „Exoten“, denn auch auf übergeordneter Ebene wird der Holzbau gezielt ins Programm genommen. Die Internationale Bauausstellung IBA_Wien 2022 initiierte eine Städtepartnerschaft mit Vancouver, bei der es neben dem sozialen Wohnbau auch um den Austausch von Holzbauexpertise geht. Ein Ergebnis wird künftig in Wien zu sehen sein: Für das Projekt Waldrebengasse entwickelte das Planungsteam des HoHo sein für das Hochhaus entwickeltes, offenes Bausystem OBSYS weiter. Dieses ist nicht in Produkten gedacht, sondern in Prinzipien. Ziel ist es, eine preisliche Konkurrenzsituation zu schaffen und nicht von einer einzigen konstruktiven Lösung abhängig zu sein. So will man auch die Hürde der Leistbarkeit im geförderten Wohnbau meistern, die gepaart mit einer Grundskepsis auf Auftraggeberseite gegenüber ungewohnten Lösungen immer noch bremsend auf Holzbauvorhaben wirkt.
Holzbau macht Schule
Neben dem Wohnbau sind Bildungsbauten wohl der Bereich, in dem der Wiener Holzbau der letzten Jahre die größte Dynamik erfahren hat, denn das Schulbauprogramm setzte vor allem bei kleineren Neu- und Zubauten auf schnelle und einfache Lösungen. Beim Kindergarten in Pötzleinsdorf kam eine Fertigteilbauweise aus flächigen Holzelementen zur Anwendung. Dabei profitierte man von einem eingespielten Team, das schon öfter mit der Stadt Wien zusammengearbeitet hatte, was die Kommunikation erleichterte und den Prozess beschleunigte – auch dies ein Zeichen für die wachsende Expertise auf Seiten der Stadtverwaltung. Dass zuständige Stellen wie die MA 34 und die Wiener Standortentwicklungsgesellschaft wse viele Bildungsbauten als Holzbau ausschreiben, liegt auch am Vertrauen in Projektpartnerschaften mit entsprechendem Know-how, inzwischen auch in Ostösterreich.
Wie viel Innovationspotenzial im Holzbau über die serielle Einfachheit hinaus steckt, zeigte ein anderes Leuchtturmprojekt aus dem Bereich Bildungsbau, das Bibliotheks- und Seminarzentrum der boku Wien. Hier brachte das für die Planung verantwortliche Team zusammen mit dem Hersteller Stora Enso eine gute Portion digitales Hightech in die 980 m3 Holz ein. Zum einen wurde jedes Bauteil mit Sensoren ausgestattet, die dessen Weg zur Baustelle überwachten und nach der Fertigstellung Informationen beispielsweise zum Feuchtigkeitsgehalt an die Zentrale funkten, zum anderen wurde der Bau in der Planungsphase mittels eines digitalen Tools komplett virtuell dargestellt. „Der Vorteil ist, dass alle Abstimmungen schon frühzeitig in der Planungsphase passieren und aufwendige spätere Korrekturen vermieden werden“, so Christoph Falkner von SWAP Architekten.
Zu guter Letzt ist bei den Wiener Hochschulen nicht nur die Hülle, sondern auch der Inhalt auf dem Weg zum urbanen Holzbau, denn die Lehre widmet sich diesem Thema mehr als zuvor. Der Studiengang Green Building Master an der FH Campus Wien umfasst mehrere Forschungsprojekte, darunter auch Holzbau 4.0. Dabei vernetzt man sich auch mit Hochschulen in anderen europäischen Ländern. Eine Anerkennung gab es für die Studierenden der FH Campus Wien bei der proHolz Student Trophy 2020, die proHolz Austria in Kooperation mit der Stadt Wien und Wiener Wohnen durchführte. Aufgabe war es, Konzepte für die Aufstockung von Wohnbauten aus den 1960er Jahren zu finden. Das Potenzial für Aufstockungen von Wiener Gemeindebauten ist enorm: Laut einer Studie der Stadt Wien könnten hier bis zu 7.600 neue Wohnungen realisiert werden. Wenn wir heute mit neuer Dringlichkeit über ressourcenschonendes Bauen und Umbau statt Neubau reden, rückt der Holzbau noch weiter ins Zentrum des Geschehens. Der Weg von den Leuchttürmen hin zu einer Normalität ist geebnet.