Extrem jung und dynamisch ist die Holzbauszene des einst so steinernen Berlins, die nach der Jahrtausendwende quasi aus dem Nichts entstand und deren Projekte so schillernde Namen wie Eisberg, die Laube oder Himmelbeet tragen. Wenngleich schon 1921 Walter Gropius für den Bauunternehmer Adolf Sommerfeld ein Holzhaus baute und kurz danach Konrad Wachsmann einige Typenhäuser aus Holz entwickelte, wurde in Berlin bis 2008 Holz konstruktiv fast nur bei Einfamilienhäusern, Sporthallen oder Pavillons eingesetzt. Ein paar experimentelle Mehrgeschosser während der Internationalen Bauausstellung der 1980er Jahre wie etwa das berühmte Regalhaus in der Admiralstraße änderten daran wenig.
Erst die Novellierung der Berliner Bauordnung im Februar 2006 eröffnete dem urbanen Holzbau neue Entwicklungsmöglichkeiten, wenn auch damals nur für Gebäude der Gebäudeklasse 4 und einer somit maximalen Höhe von 13 Metern, also weit unterhalb der gewohnten Berliner Traufhöhe von 21 Metern. Doch mithilfe von Einzelnachweisen und Befreiungen sollten bald junge Architektinnen und Architekten die Höhengrenze überwinden und mit stolzen Siebengeschossern in Holz-Hybridbauweisen neue Maßstäbe setzen. Den Anfang machten 2008 Kaden Klingbeil Architekten mit ihrer Esmarchstraße 3 und ein Jahr später Susanne und Farid Scharabi mit ihrem Niedrigenergiehaus Wohnen an der Barnimkante am Teutoburger Platz, dem bereits 2010 ihr Mensaanbau für die Waldorfschule in der Steinstraße folgte, die erste Berliner tragende dreigeschossige Massivholzkonstruktion.
Beschäftigten sich vor 2008 kaum ein Dutzend Berliner Planungsbüros regelmäßig mit Mehrgeschossern in Holzbauweise, so sind es heute mehrere Dutzend, die sich in den letzten sechs Jahren sehr effiziente Netzwerke zu schaffen wussten und letztlich Wirtschaft wie Politik zu beachtlichen Initiativen in Sachen Holzbau bewegen konnten. Urbaner Holzbau ist heute ein Thema und zentraler Baustein für das erklärte Ziel der Politik, Berlin in eine klimaneutrale Stadt zu verwandeln. Dazu legte das Berliner Abgeordnetenhaus im September 2019 ein ehrgeiziges Programm unter dem Titel „Nachhaltigkeit auf dem Bau: Berlin baut mit Holz“ auf, das vom Aufbau einer regionalen Holzbauwirtschaft über eine Neuregelung von Ausschreibungen und Wettbewerben bis hin zur Förderung innovativer Holzbauprojekte reicht.
Viele gute Grundsteine sind in den letzten Jahren gelegt worden. Mit der Internetplattform Holzbauatlas schuf Eike Roswag-Klinge beispielsweise ein Tool, das sämtlichen am Holzbau interessierten Planenden in Berlin-Brandenburg einen sehr effektiven Informationsaustausch bietet. Ebenjener war zugleich einer der Initiatoren für die Initiative „Mehr Holzbau für den Klimaschutz“ des Bundes Deutscher Architekten Berlin, deren 2019 publiziertes Positionspapier auf große Resonanz seitens der Presse stieß. Parallel dazu konnte der 2019 erstmals verliehene Berliner Holzbaupreis der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen – mit seinen drei Kategorien Konzepte, Bauen im Bestand und Neubau – das Interesse der Öffentlichkeit für Holzbau steigern. So dominieren mittlerweile nicht mehr nur private Bauherrschaften und Einzelinitiativen den Berliner Holzbau, auch öffentliche bzw. städtische Baugesellschaften setzen zunehmend auf Bauten aus Holz.
Vom hölzernen Leuchtturm zum Holzbauquartier
In Verbindung mit der bereits 2018 erfolgten Änderung der Berliner Bauordnung zur einfacheren Genehmigung von Gebäuden mit nun auch tragenden Teilen aus Holz will Berlin auf dem Gelände des früheren Flughafens Tegel von 2027 bis 2033 mit dem neuen Schumacher Quartier das größte europäische Holzbauquartier schaffen. 5.000 Wohnungen für 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner sollen dort inklusive zweier 15- bzw. 19-geschossiger Hochhäuser aus Holz entstehen – kombiniert mit einer „Urban Tech Republic“, einem „innovativen Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien“, der unter dem Namen Bauhütte 4.0 auch einen Cluster für innovative Holzbauwirtschaft enthalten soll. Nicht nur beim Schuhmacher Quartier ist das Ziel ambitioniert, doch die Realisierung noch fern. Somit verharrt die Holzbauquote in Berlin derzeit auf einem Stand von 10 Prozent bei Einfamilienhäusern und etwas mehr als 2 Prozent beim Mehrfamilienhausbau – und damit noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 20 bzw. 3 Prozent. Abgesehen von einigen guten Zimmereien kann in Berlin-Brandenburg auch noch nicht von einer regionalen Holzbauwirtschaft gesprochen werden, deren Förderung jedoch auf der Agenda der Senatsbaudirektion steht.
Hoch hinaus und offensiv in die Zukunft
In Zahlen kann sich der Holzbau in Berlin vielleicht noch nicht ganz mit dem Massivbaumessen, aber immer mehr Holzbauprojekte für die unterschiedlichsten Nutzungen sowie mehrere Leuchtturmprojekte verändern heute nachhaltig Berlins Baukultur. Nahezu keine Bauaufgabe fehlt mehr im Katalog sehr gelungener Bauten aus Holz, wo das Material zunehmend auch tragend und nicht nur als einer unter vielen Baustoffen Verwendung findet. Besitzt Wien mit dem HoHo bereits sein Hochhaus aus Holz, so wurde zumindest 2020 in Berlin der Wettbewerb für ein Wohnhochhaus in Holzhybridbauweise entschieden: Ein 98 Meter hoher, multifunktionaler Turm und Komplex mit 18.000 m2 Nutzfläche soll bis 2028 fertiggestellt werden.
In Holzmodul- oder Holzsystembauweise entstanden in den letzten Jahren im Zuge einer groß angelegten Offensive mehrere Schul- und Kitabauten. Die Berliner Kersten Kopp Architekten setzten in diesem Rahmen zwei Kitas um und schufen mit dem Waldorf-Campus in Schöneberg außerdem auch ein bezauberndes Ensemble von Bildungsbauten mit Massivholzwänden und Stützen aus Brettschichtholz. Die Schulmensa auf dem Tempelhofer Feld, die Ludloff Ludloff Architekten mit einem wunderbaren Raumwerk aus Holz bereits 2009 bauten, gilt als Pionierprojekt des Berliner Schulbaus.
Überraschende urbane Verdichtungen traten mit neuen Büro- und Gewerbebauten aus Holz hervor – 2020 mit der Remise Immanuelkirchstraße und in den Jahren davor mit dem Verwaltungsgebäude Tierpark, dem Firmengebäude von Flexim und dem Firmensitz von Artis Möbel. Dennoch sind Bürobauten aus Holz in Berlin weiterhin eine Rarität, wenngleich aktuell am Bahnhof Südkreuz ein Bürokomplex mit 32.000 m2 Brutto-Geschossfläche in Hybridbauweise geplant wird. Ein anderes Projekt, das bereits Ende dieses Jahrs fertiggestellt sein soll, ist der Luisenblock mit 400 Büros für die Bundestagsabgeordneten. Nach Plänen von Sauerbruch Hutton entstanden hier allein die Bodenplatte, einige Technikräume und das Atrium im Stahlbetonbau, während alle anderen Bauteile als vorgefertigte und sichtbare Massivholzmodule ausgeführt wurden.
In nur wenigen Jahren erwarben sich Sauerbruch Hutton ein profundes Know-how im Holzbau, das man knapp einen Kilometer entfernt auch an ihrer 2020 erfolgten Aufstockung der privaten Metropolitan School bewundern kann. So bauen viele der einstigen Pionierinnen und Pioniere heute mit Holz so erfolgreich, dass sie oft auch international und in großem Maßstab zu Wettbewerben eingeladen werden. Zeitgenössische Holzarchitektur made in Berlin ist längst zu einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte geworden.
Dennoch, das Gros von Holzbauten entsteht in Berlin weiterhin im Wohnungsbereich. Zahllose Gebäudeaufstockungen, Siebengeschosser und nicht zuletzt auch therapeutische und soziale Wohnprojekte wurden in den letzten Jahren weitgehend mit dem Material Holz gebaut. Neue Maßstäbe setzten hier Scharabi Architekten und Anne Raupach mit ihrem Wohngebäude Walden 48 am Volkspark Friedrichshain, das ab der Kellerdecke inklusive Treppen sowie Aufzugsschächten in Massivholzbauweise ausgeführt wurde – nur die Treppenhaus- und Brandwände sind hier noch aus Stahlbeton.
Konventionell erscheint dagegen die Hybridbauweise der Schwebenden Stege von Grünau von LOVE Architects aus Graz als Teil des neuen Holzbauquartiers 520 Nord, die mit einer weit auskragenden Balkonzone Aufsehen erregen. Auf den ersten Blick weniger hervorstechend sind die sozialen Gemeinschaftsprojekte LYN und Betreutes Wohnen im Kiez aus den Jahren 2018 bzw. 2019, die aber mit geringen Budgets erstaunlich vielfältige Lebensräume schufen. Das Einzige, was Berlins Architektinnen und Architekten heute noch beim Thema Holzbau vermissen, sind mehr Innovationen und deren Förderung seitens der Politik, die zwar angekündigt, aber noch nicht eingelöst wurde: Weniger Schielen auf ökonomische Zahlen, dafür mehr Offenheit für experimentelles Bauen sind gefordert.