Einer der ersten modernen Münchner Holz-Wohnungsbauten geht auf Pläne der Architekten Ralph und Doris Thut zurück. Deren 1978 weitgehend im Selbstbau errichtete Reihenhauszeile erhielt nicht nur den Deutschen Architekturpreis 1979, sondern erlangte auch weit über München hinaus Bekanntheit – gewürdigt wurde der Holzskelettbau vor allem wegen der kurzen Bauzeit und seiner Flexibilität, die Änderungen während der Bauphase und sogar im bewohnten Zustand zuließ. Das Projekt fand leider kaum Nachahmer, markierte aber den Anfang einer Reihe von Holzbauprojekten, die in München den Weg für eine breite und vielfältige Kultur im Bauen mit Holz bereiteten.
Einen weiteren wichtigen Akzent auf diesem Weg setzte die Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern mit dem 1992 aufgelegten Modellvorhaben »Mietwohnungen in Holzsystembauweise«. Hieraus gingen acht mit öffentlichen Mitteln geförderte Geschosswohnungsbauten in ganz Bayern hervor, die in einem 1997 veröffentlichten Buch mit ausführlicher Analyse der zum Teil neuen Konstruktionsmethoden dokumentiert wurden. Zwar befand sich keines der Gebäude in der Landeshauptstadt – die Hälfte der Bauvorhaben stammte jedoch von Münchner Architekturbüros (den Rest planten ein dänisches, ein österreichisches und ein Würzburger Büro), woraus hervorgeht, dass die Realisierung vorgefertigter, kostengünstiger und sozial anspruchsvoller Holzbauprojekte in München schon damals zum selbstverständlichen Repertoire zählte.
Kompetenzzentrum Holz
Mit Hermann Kaufmann (seit 2002 Leiter des Fachgebiets Holzbau am Institut für Bautechnik und Entwerfen) und Stefan Winter (seit 2003 Ordinarius für Holzbau und Baukonstruktion) kamen einige Jahre später zwei neue Professoren an die TU München, die den konstruktiven Holzbau nicht nur in Forschung und Lehre vorantreiben, zum Beispiel durch die Entwicklung des Holzbausystems TES EnergyFacade, sondern seitdem auch als Planer das Baugeschehen mitprägen. So realisierte Hermann Kaufmann 2014 in München-Sendling für die städtische Wohnungsgesellschaft GWG zusammen mit den Architekten Florian und Wendelin Lichtblau die Modellerneuerung und Verdichtung eines Ensembles von 1958 und damit zugleich Münchens bislang größtes Holzbauvorhaben. Hinzu kommt sein Engagement beim offenen Netzwerk »TUM.wood«, einer Kooperation von sieben Professuren der TU München, die sich interdisziplinär und auf gesellschaftlicher Ebene mit den »technischen, architektonischen, ökologischen und ökonomischen Möglichkeiten des wichtigsten nachwachsenden Rohstoffs« befasst.
CO2-Bonus der Stadt
Ebenfalls geprägt von ganzheitlichem Denken hat 2004 das neue Bauzentrum der Landeshauptstadt München seine Pforten geöffnet. Unter der Leitung von Roland Gräbel vom Referat für Gesundheit und Umwelt bietet es einerseits vielfältige Fortbildungsprogramme, andererseits aber auch rund 1.000 m2 Ausstellungsfläche zur Präsentation unterschiedlichster Produkte und Materialien aus dem Wohnungsbaubereich, die sich besonders gut zum energieeffizienten und CO2-emissionsarmen Bauen und Sanieren mit nachwachsenden Rohstoffen eignen. Zudem leitete das Bauzentrum das auf die Jahre 2011 bis 2014 angelegte städtische »Netzwerk Holzbau München«, das vor allem auf die Vernetzung und Unterstützung aller beteiligten Akteure im mehrgeschossigen Holzbau fokussierte: Investoren, Bauherren, Architekten, Fachplaner, Energieberater, Handwerker und Hersteller. Auf dem Abschlusssymposium im Juli 2015 wurde neben beispielhaften Holzbauprojekten im Schul-, Wohnungs- und Hochhausbereich auch der CO2-Bonus thematisiert. Dieses vor zwei Jahren von der Landeshauptstadt München eingeführte Förderinstrument für Bauherren »prämiert den Einsatz nachwachsender, CO2-speichernder Baustoffe (regional oder zertifiziert) bei Neubau- und Sanierungsvorhaben«. Der Förderbetrag liegt bei 30 Cent pro Kilogramm verbautem Baustoff, wobei es dabei nicht nur um die Förderung von Holz, sondern auch von Bau- und Dämmstoffen wie z. B. einblasfähigen Zelluloseflocken, Hanf- und Flachsplatten geht. Aussagekräftige statistische Zahlen des inzwischen mehr als hundert Mal in Anspruch genommenen Bonus sollen Mitte 2016 vorliegen.
Der Weg in die Zukunft
Durch das Zusammenspiel dieser Akteure und Institutionen hat sich München im Lauf der letzten zwanzig Jahre zu einer Art Holzbau-Kompetenzzentrum entwickelt, für das sich längst auch andere Städte interessieren. Dass Holzbauten hier dennoch nicht allgegenwärtig sind, hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es nach wie vor zu wenige fachlich kompetente Architekten, Tragwerksplaner und ausführende Firmen – erschwerend kommt hinzu, dass die für den Holzbau nötige hohe Qualität nur mit einem Planungsaufwand möglich ist, der sich mit den moderaten Honoraren nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieurleistungen (HOAI) nicht in Deckung bringen lässt. Zum anderen ist die allgemeine Akzeptanz – trotz aller genannten Initiativen und trotz aller Vorteile z. B. in Bezug auf Gewicht, Bauzeiten und Ökobilanz – bei Weitem nicht so groß, dass sich Holzbauten als selbstverständliche Alternative zu Massivbauten behaupten. In dieser Hinsicht Maßstäbe setzen könnte ein in den nächsten Jahren zu realisierendes Wohnquartier auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne. Rund 500 der insgesamt 1.800 Wohnungen sind dort in einer ökologischen Mustersiedlung in Holzbauweise geplant. Als Ergänzung zum Bebauungsplan hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung einen Gestaltungsleitfaden erstellt für Investoren, Bauherren und Architekten, um z. B. die Verwendung nachwachsender, regional verfügbarer und recyclingfähiger Rohstoffe für Konstruktion, Ausbau und Fassade zu forcieren.