Spätestens seit der Fertigstellung der sogenannten ökologischen Mustersiedlung in Holzbauweise auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne im Jahr 2020 wird München zunehmend als Stadt des Holzbaus wahrgenommen. Die in Holz- und Holz-Hybridbauweise realisierten 566 Wohnungen gelten als größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands. Viel interessanter als dieser Superlativ ist jedoch das von der Landeshauptstadt München hierfür entwickelte Fördermodell. Als zentrales Kriterium diente die verbaute Menge nachwachsender Rohstoffe (Nawaro) in kg pro m2 Wohnfläche. Bei den Geschosswohnungsbauten lag der geforderte Mindestanteil bei 50kg/m2 – ein Wert, den die Projekte meist um ein Vielfaches übertrafen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG beispielsweise erhielt für ihren Mietwohnungsbau mit integriertem „Haus für Kinder“ pro Quadratmeter Wohnfläche einen Förderbetrag von 317 Euro. „Langjährige Untersuchungen unserer Bauvorhaben ergaben, dass Holzbauten im Vergleich zu Massivbauten um rund 20 Prozent höhere Kosten verursachen. Dank dieses Fördermodells ist es uns erstmals gelungen, diese Mehrkosten wettzumachen“, sagt GWG-Geschäftsführerin Gerda Peter. „Hinzu kommt, dass diese Art der Förderung sehr motivierend war, weil sie bei uns wie auch bei allen anderen Wohnungsbauunternehmen dazu führte, sich noch intensiver damit auseinanderzusetzen, wie und wo überall Holz zum Einsatz kommen könnte.“
Das neue Wohnquartier Hochmuttinger Straße gilt als eines der Folgeprojekte dieses Fördermodells und soll bis 2024 in „qualifizierter Holz- bzw. Holzhybridbauweise“ entstehen, jedoch nicht als weitere Mustersiedlung, sondern mithilfe eines entsprechend formulierten Bebauungsplans. Auch hier sollen Förderungen an die Menge der nachwachsenden Rohstoffe gekoppelt sein. Eine von Bebauungsplänen oder Modellprojekten unabhängige Förderung des Baustoffs Holz, die das Entstehen von Holzbauten auf breiter Ebene unterstützen würde, ist von Seiten der Landeshauptstadt aktuell (noch) nicht vorgesehen.
Forschen für die Praxis
Auch im Bereich der Forschung bauen Projekte aufeinander auf. Das 2017 am Lehrstuhl für Entwerfen und Holzbau an der TU München unter der Leitung von Hermann Kaufmann abgeschlossene Forschungsprojekt „leanWOOD. Optimierte Planungsprozesse für Gebäude in vorgefertigter Holzbauweise“ verfolgte als Hauptziel die Entwicklung neuer Organisations- und Prozessmodelle für den vorgefertigten Holzbau. Wesentlicher Bestandteil dieser zusammen mit Universitäten, Holzbauunternehmen sowie Architektinnen und Architekten aus Deutschland, Frankreich, Finnland und der Schweiz durchgeführten Forschung war der Aufbau eines Katalogs „bauphysikalisch und ökologisch geprüfter und/oder zugelassener Holz- und Holzwerkstoffe, Baustoffe, Bauteile und Bauteilfügungen für den Holzbau“, die von akkreditierten Prüfanstalten freigegeben wurden. Dieser wurde mit der Internetplattform dataholz.eu geschaffen und findet inzwischen zunehmend Anwendung.
In gewisser Weise geht leanWOOD nun in die zweite Runde: Erst vor kurzem initiierten die TU München und das Baureferat der Landeshauptstadt München eine gemeinsame Begleitforschung mit einer Auswahl konkreter städtischer Holzbauvorhaben. Das Forschungsprojekt, das unterschiedlichste holzbautechnische Konzepte untersucht, soll wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden und so Wege zu einer holzbaugerechten Projektabwicklung aufzeigen.
Beispielhafte Beschlüsse und Bauten
Eine wichtige Rolle beim ökologischen, CO2-armen Bauen in München und so auch beim Bauen mit Holz spielen die städtischen Bauaktivitäten. In dem im Dezember 2019 gefassten Beschluss zur Klimaneutralität heißt es hierzu: „In Wahrnehmung ihrer Vorbildfunktion strebt die Landeshauptstadt München an, den stadteigenen Gebäudebestand sowie den Gebäudebestand der Eigen- und Regiebetriebe auf Grundlage eines für die Landeshauptstadt München definierten Niedrigstenergiestandards, [...] der Berücksichtigung der Klimarelevanz der Baustoffe sowie des Einsatzes von erneuerbaren Energieträgern und der Fernwärme möglichst klimaneutral zu gestalten und zu betreiben.“
Eine Folge dieses Beschlusses ist etwa das erklärte Ziel des städtischen Baureferats, „neu zu errichtende Kinderbetreuungseinrichtungen und Jugendfreizeitstätten künftig in Holzbauweise umzusetzen“. Bezogen auf das aktuelle „Kita-Bauprogramm“ heißt das konkret: 17 von 27 Projekten sind derzeit in Holzbauweise geplant. Um die Klimarelevanz der Baustoffe anhand einzelner Maßnahmen des Kita-Bauprogramms bewerten zu können, erstellte die Landeshauptstadt außerdem ein vereinfachtes Ökobilanztool. „Dieses Tool soll nun gemäß den Empfehlungen eines Fachgutachtens auch an die differenzierteren Anforderungen für große investive Baumaßnahmen angepasst und flächendeckend bei allen konkreten Baumaßnahmen angewandt werden“, heißt es aus dem Baureferat. Und weiter: „Vor allem der Einsatz nachwachsender Baustoffe bietet einen großen Hebel in Bezug auf die Optimierung der Klimarelevanz der Baustoffe.“
Städtische Schul- und Kita-Gebäude in Holzbauweise üben in vielerlei Hinsicht eine wichtige Vorbildwirkung aus. Zum einen prägen sie die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen – ein nicht zu unterschätzender Wert, wenn es um die spätere Akzeptanz oder gar Einforderung von Holzbauten durch die Nutzerinnen und Nutzer geht. Zum anderen beeinflussen sie die Verantwortlichen auf Seiten der Planung, Bauherrschaft und Bauwirtschaft – beispielsweise durch das bereits 2014 beschlossene „Aktionsprogramm Schul- und Kita-Bau 2020“. Dieses umfasst mit einem Investitionsvolumen von insgesamt gut 3,8 Mrd. Euro als deutschlandweit größtes kommunales Bildungsbauprogramm 16 Gymnasien, 9 Realschulen, 5 Berufliche Schulzentren, 27 Grundschulen, 2 Fachoberschulen, 69 Kindertagesstätten, 8 Sportanlagen und 69 Pavillonanlagen für kurzfristig dringend benötigten Schulraum und Kinderbetreuungsplätze. Dieses Programm ist umso bemerkenswerter, als es auf rein städtischer Ebene angelegt ist – also ohne die Vorteile, die die Verschmelzung von Stadt und Bundesland in Stadtstaaten wie Berlin bietet. Eines der Projekte, mit dem gezielt der Holzbau gefördert werden sollte, ist die Erweiterung der Grund- und Mittelschule Alfonsstraße. Die Evaluierung der Planung dieses Holzbau-Modellprojekts durch das Baureferat ergab, „dass Schulbauprojekte mit ihren nutzungsspezifischen Anforderungen auch als Sonderbauten der Gebäudeklasse 5 in wesentlichen Teilen in Holzbauweise umgesetzt werden können. In enger Abstimmung mit der Branddirektion München und dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung wurden die Ergebnisse in einer ‚Matrix mehrgeschossiger Holzbau im Bildungswesen‘ dokumentiert.“ Diese Matrix soll Planungsbeteiligte bei der Umsetzung von Neubauten in Holzbauweise unterstützen und enthält grundlegende Planungshinweise für Schulbauten in Bezug auf Planungsrecht, Konstruktionsweisen, Brandschutz, Bauphysik und Bauökologie.
Neue Handlungsspielräume für den Holzbau entstehen darüber hinaus durch die novellierte Bayerische Bauordnung (BayBO 2021) und die neue Muster-Holzbaurichtlinie 2021, die einen vereinfachten Umgang mit dem Baustoff Holz insbesondere in der Gebäudeklasse 5 ermöglicht.
Holzbau auf breiter Ebene
Neben all diesen Neuerungen und Initiativen auf Stadt- und Länderebene sorgen in München aber auch viele Wohnungsbaugesellschaften und Wirtschaftsunternehmen dafür, den Holzbau in der Stadt voranzutreiben. Vielzitiert in diesem Zusammenhang sind die beiden Wohnungsbauten östlich und westlich des Dantebads von Florian Nagler Architekten. Beide Projekte sind nicht nur hinsichtlich der vorgefertigten Holzbauweise beispielhaft, sondern auch weil sie neue Bauräume auf bislang eher unansehnlichen Pkw-Parkplätzen erschließen. Dank der aufgeständerten Holzbauten schaffen sie neuen Wohnraum, ohne die ebenerdigen Parkmöglichkeiten des Schwimmbads gänzlich zu verbannen, und sorgen so für eine verträgliche Nachverdichtung.
Ein weiteres aktuelles Projekt soll den Holzbau in München nun auch in die Höhe bringen. Für die Bayerische Versorgungskammer plant das Büro David Chipperfield Architects ein 112.000 m2 großes Hauptquartier – ein Gebäudeensemble aus drei bis zu 100 Meter hohen Baukörpern in Holz-Beton-Hybridbauweise. Bis zur geplanten Fertigstellung in vier Jahren werden vermutlich noch viele weitere Neubauten dafür sorgen, Holz als selbstverständliches Baumaterial zu etablieren. Genau das ist im Sinne sowohl des Klimaneutralitätsbeschlusses der Landeshauptstadt München als auch einer Zukunft in einer lebenswerten Umwelt dringend nötig.