Vor dreißig Jahren hatte ich das Glück, mit einem Zimmermann im Pensionsalter an einem sehr alten Bauernhaus aus Holz zu arbeiten. Es bestand aus einem Wohnteil in Blockbauweise und einer Scheune aus unbehauenen Baumstämmen, die in den Ecken nur leicht ineinandergekerbt waren und große Spalte offen ließen. Der außen unverkleidete Wohnteil war geschützt durch große Vordächer und einen an drei Seiten umlaufenden, schmalen Balkon, der ursprünglich Lagerzwecken gedient hatte. Die Süd-, Ost und Westseite waren schwarzbraun sonnenverbrannt, die Nordseite grau. Der alte Zimmermann konnte sich an die Erneuerung der einen oder anderen Nordseite erinnern. Diese war seiner Schätzung nach alle fünfzig Jahre fällig. Von einem Austausch einer Ost- oder Westseite hatte er nie auch nur gehört.
Zu dieser Zeit wurde ich auch Zeuge einer Beratung eines Kunden durch den Verkäufer eines Farbengeschäftes. Ob er eine Schalung streichen müsse, fragte der Kunde. Auf die Gegenfrage, wie lange diese schon unbehandelt sei, war die kleinlaute Antwort: „Zwei Monate.“ Der Verkäufer wurde kreidebleich und riet dem verdatterten Mann, das Holz schleunigst zu lasieren, um es im letzten Moment der totalen Verrottung zu entreißen. Ich stand daneben und dachte an die jahrhundertealten Bretter und Balken mit ihren Spuren von Holzwürmern, die vielleicht schon im Dreißigjährigen Krieg ihre Bahnen gezogen hatten, um bald wieder auszusterben, ohne nennenswerten Schaden zu hinterlassen.
In dieser Zeit, in den 1980er Jahren, erfreute sich Holz in der Architektur wieder steigender Aufmerksamkeit. Als ideales Selbstbaumaterial bestimmte es die Anfänge der Vorarlberger Holzarchitektur. Auch in Tirol verwendeten junge Architekten meist bei Fassaden vor der ersten Generation von Thermoziegelmauern sägeraue, unbehandelte Fichten- oder Lärchenschalungen. Neu war die Notwendigkeit stärkerer Wärmedämmung, und das Allheilmittel für Denkfaule und schnelle Verkäufer, der Vollwärmeschutz, war noch nicht erfunden.
Diese mehr als dreißig Jahre alten Beispiele befinden sich, wenn sie sich eines intelligenten konstruktiven Holzschutzes bedient hatten, auf halbem Weg zum – von allen als schön empfundenen – alten, schwarz-grau-braunen Holzstadel.
Die Nordseiten sind schon im grauen Langzeitstadium und liefern den Wespen das Baumaterial für ihre Nester. An den übrigen Seiten sind die weichen Jahrringe ausgetrocknet und zurückge- schwunden und die harten schon sonnenverbrannt. Der Kontrast zwischen den Bereichen unmittelbar unter den Vordächern und der stärker besonnten Wandfläche verschwindet allmählich.
Die meisten Menschen scheinen kein Problem mit altem Holz zu haben, wohl aber mit dessen Alterungsprozess, der sich bis zu unumstrittener Schönheit über fünf bis sieben Jahrzehnte erstrecken kann. Die Alterung verkürzt sich, wenn die Schalung entschieden im Regen hängt, das Wasser aber gut abrinnen und abtrocknen kann. Unbehandeltes Lärchenholz wird so in weniger als zehn Jahren dunkelbraun.
Holzanstriche dienen weniger dem Schutz des Holzes als der Vorwegnahme des Endzustandes bei natürlicher Holzalterung. Das Fatale am Holzanstrich ist seine Gleichmäßigkeit. Diese macht aus einem Gemälde durch das jahrelange Spiel von Licht und Schatten eine tote Fläche, durch die aber immerhin noch die Lebendigkeit des Holzes schimmert.
Lange war das dunkle Braun sonnenverbrannter Lärche als Lasur die beliebteste Farbe. In den letzten 15 Jahren setzte sich das Silbergrau der Nordseiten durch. Verschiedene, zum Teil recht launische Plattenmaterialien und vorauseilende Vorsicht haben die Unterbauten immer aufwendi- ger gemacht, bis sie jenen von Steinfassaden glichen. Die Notwendigkeit einer starken Hinterlüftung wird bei regendichten Holzschalungen regelgläubig überschätzt.
Auf diese (Metall-)Unterbauten wird auch wieder meist grau lasiertes Echtholz montiert, nun in Lattenform in jeder beliebigen Richtung. Architekten lieben Latten! Horizontal, vertikal, schräg mit mehr oder weniger großen Spalten. Die eigentliche Fassade ist jetzt das dahinterliegende schwarze Windpapier. Die Holzlatten sind eine Art notwendigerweise stark hinterlüfteter, dekorativer Sonnenschutz.
Die Sonne liebt Schwarz, jene Farbe, in die sie die gesamte Kraft ihres Lichts versenken kann. Sie ist es auch, die jeden Anstrich und jede Farbe eher früher als später vernichtet, mehr als Wind und Wetter. Und es ist ratsam, bei der Farbwahl die Kraft der Sonne einzuberechnen. Für eine farbige Lasur ist sägeraues Fichtenholz übrigens besser geeignet als Lärche, und auch dunkle Farbtöne bis hin zu tiefem Schwarz sind möglich.
Wer dauerhafte Gleichmäßigkeit will, ist mit dem ersten Mal Streichen dazu verdammt, immer zu streichen. Ob und wie die Quadratkilometer grauer Lasur in eine natürliche Verwitterung übergehen, wird sich zeigen, auch, ob sie im Sinne eines „ordentlichen“ Erscheinungsbildes wartbar und sanierbar sind.
In letzter Zeit beobachte ich, wie die braunen, in den letzten Jahrzehnten mehrmals aufgefrischten Lasuren abgestrahlt werden und das Holz als neues Altholz naturbelassen, allenfalls leicht geölt, wieder aufersteht. Altholz als Fassadenmaterial ist vor allem in den Tourismusgebieten überhaupt der letzte Schrei. Es verleiht auch dem dümmsten Baukörper einen Schein von ehrwürdigem Alter.
Doch wer sich mit dem bloßen Schein zufrieden gibt, landet früher oder später bei der Kopie. Die Materialentwicklung macht allmählich alles möglich. Keramik mit Holzoptik, Spachtelungen wie rostiges Blech, PVC mit Beton- oder Holzoptik führen in eine unsinnliche Oberflächlichkeit, die auf jede konstruktive Logik verzichtet und an Beliebigkeit und Kraftlosigkeit nicht mehr zu überbieten ist.
Dem stehen die unzähligen Beispiele gelungener Holzfassaden gegenüber, die in Würde altern, mit jedem Jahr schöner werden und die Geduld ihrer Bewohner belohnen. Dazu braucht es in Wirklichkeit nicht viel mehr, als schon bei den uralten Bauten im Einsatz war. Und der konstruktive, massive Holzbau kommt einer solchen reduzierten und archaischen Anwendung von Holzschalungen in ihren vielfältigen Formen vom Brett bis zur Schindel entgegen. Das Problem liegt in unseren Köpfen.