Die Planung von Balkonen ist heute fixer Bestandteil bei den unterschiedlichsten Bauaufgaben. Aus dem Wohnbau längst nicht mehr wegzudenken, prägen Balkone auch immer öfter das äußere Erscheinungsbild von Schulen und Bürobauten. So selbstverständlich der Anblick scheint – so mannigfaltig sind die gestalterischen und konstruktiven Möglichkeiten, diesen durchaus komplexen Bauteil zu entwerfen, unabhängig vom Material. Worauf aber kommt es bei einem Balkon im Holzbau an? Wo liegen die Herausforderungen in der Planung und das Potenzial in der Nutzung? Dazu haben wir bei Tragwerksplaner Konrad Merz und Architekt Roger Weber nachgefragt.
Welche Herausforderungen gibt es grundsätzlich bei der Planung von Balkonen für einen Holzbau? Worauf ist besonders zu achten?
Konrad Merz Aus Sicht des Tragwerksplaners ist ein Balkon per se keine große Herausforderung. Ohne außen liegende Stützen ist es in der Regel ein Einfeldträger mit Kragarm, mit Stützen ein Tragwerk mit meistens geringen Spannweiten. Das Spezielle, vor allem wenn der Balkon nicht eigenständig vor dem Gebäude steht, ist die Interaktion mit der Gebäudehülle. Es geht um Themen wie Wärmeschutz, Dichtigkeit (Dampf, Wind, Wasser) und Schallschutz.
Roger Weber Beim Balkon im Holzbau steht die nötige konstruktive Sorgfalt im Vordergrund – wie bei allen Bauteilen, welche die Gebäudehülle durchstoßen. Zudem ist dem Witterungs- und, wo nötig, dem Brandschutz besondere Beachtung zu schenken.
Welche Vor- und Nachteile bieten einzelne Balkontypen (auskragend, angehängt, vorgesetzt) beispielsweise aus tragwerksplanerischer Sicht und hinsichtlich des Brand- und Schallschutzes?
Konrad Merz Spezifische Vor- und Nachteile sind immer von den Rahmenbedingungen des Projekts abhängig. Vorgestellte Balkone sind im Prinzip einfacher, weil die Gebäudehülle dabei am wenigsten tangiert wird. Auskragungen im Holzbau, vor allem mit thermischer Trennung, sind aufwendig und in Abhängigkeit von der Spannrichtung der anschließenden Decke meistens nur einseitig möglich.
Roger Weber Additive Elemente wie vorgesetzte Balkone bieten gegenüber den anderen Balkontypen auch einen spezifischen Vorteil. Sie können als autonomes System gedacht und geplant werden, was nicht zuletzt auch im Kontext der Wiederverwendung Sinn ergibt.
Welche Rolle spielt die Materialwahl bei der Balkonkonstruktion (Balkon aus Holz, Beton, Stahl)?
Konrad Merz Die Materialwahl erfolgt abhängig von den Anforderungen des Projekts. Dazu gehören die architektonische Erscheinung, die geometrischen Abmessungen, der Brandschutz (insbesondere bei Laubengängen), der Schallschutz, der Holzschutz und die Kosten. Oft ist eine Mischung der Materialien eine gute Lösung.
Roger Weber Bei der Materialwahl stehen heute im Besonderen auch die Ökologie und die damit verbundenen Emissionen im Vordergrund. Daher sind Konstruktionen in Holzbauweise im Vorteil gegenüber Stahl und Beton. Balkone in Holzbauweise bieten durch die natürliche Haptik auch mehr atmosphärische Qualität.
Im Wohnbau sind wohnungszugeordnete und gemeinschaftlich genutzte Freiräume Standard. Doch auch bei Bürobauten oder Schulen sind immer öfter Balkone unterschiedlichster Ausprägungen zu finden. Worauf ist das zurückzuführen? Welches zusätzliche Potenzial haben Balkone je nach Nutzung?
Konrad Merz Wir haben im Büro- oder Schulbau eigentlich selten konventionelle Balkone, sondern eher Fluchtbalkone oder allenfalls kurze „Putzbalkone“, die auch der horizontalen Gliederung oder dem Witterungsschutz der Fassade dienen. Fluchtbalkone sind in ihrer Konstruktion stark durch die Brandschutzauflagen bestimmt. Putzbalkone sind aufgrund der geringen Anforderungen (wenig Last, kein Brand, kein Schall) relativ einfach auszuführen. Sie sind strukturell eigentlich eher eine „Aufkantung“ der Fassade.
Balkone können auch als Schallschutzelement oder als Wärmepuffer, im Sinne eines Wintergartens, dienen. Immer öfter wird auch die zusätzliche Funktion des Balkons als „Rankgerüst“ für Fassadenbegrünungen diskutiert. Im Zusammenhang mit der Konstruktion stellt sich hier immer die Frage nach dem Brandschutz.
Roger Weber Der Balkon und alle ihm verwandten Bauelemente wie Veranda, Laubengang, Jahreszeitenzimmer und Loggien erleben zurzeit eine Renaissance. Als Schwellenräume zwischen innen und außen gehören sie zum Repertoire einer Architektur der Aneignung und stellen auch den Übergang zwischen öffentlich und privat her. Sie dienen nicht nur als Aufenthaltsräume, sondern auch als Begegnungs- und Kommunikationsräume. Außerdem kann ein windgeschützter Balkon in Kombination mit einem textilen Sonnen- und Windschutz auch zum ganzjährig nutzbaren Zusatzzimmer werden.
Es gibt eine Vielfalt an Lösungen, wie Balkone im Holzbau konstruiert sein können – eine „ideale“ oder standardisierte Lösung hat sich bislang nicht durchgesetzt. Woran liegt das? Braucht es eine Standardlösung für den Bauteil Balkon im Holzbau?
Konrad Merz Im Holzbau wird ein Balkon immer für die jeweiligen Anforderungen entwickelt. Eine Standardlösung im Holzbau – wie im Stahlbetonbau eine auskragende Flachdecke, unterbrochen durch einen Isokorb – ist genauso eine Wunschvorstellung wie die Vorstellung einer idealen Holzdecke. Wir genießen die Vielfalt, aber leiden unter der Qual der Wahl.
Roger Weber Die konstruktiven Möglichkeiten im Holzbau waren schon immer sehr vielfältig, was eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten bei den Balkonen hervorbringt. Ein großes Repertoire von konstruktiven Möglichkeiten ist einer Standardlösung immer vorzuziehen. Varianz und Vielfalt bereichern die Architektur.