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Macallan Whisky Distillery in Speyside

erschienen in
Zuschnitt 81 Knoten und Verbindungen, Juni 2021

Daten zum Objekt

Standort

Speyside/GB Google Maps

Bauherr:in

Edrington, Glasgow/GB, www.edrington.com

Architektur

Rogers Stirk Harbour + Partners, London/UK, www.rsh-p.com

Statik

Arup Group Limited, London/UK, www.arup.com

Statik Holzbau

IEHAG Holding GmbH, Altheim/AT, www.timberconstruction.wiehag.com

Holzbau

WIEHAG Holding GmbH, Altheim/AT, www.timberconstruction.wiehag.com

Fertigstellung

2018

Eine Art Gitterschale

Großbritanniens vielleicht ambitioniertestes Holzbau-Großprojekt aus jüngerer Zeit liegt nicht in einem der pulsierenden Zentren des Vereinigten Königreichs, sondern in einer eher abgeschiedenen, bewaldeten Gegend. Betont horizontal und buchstäblich eine Weltreise entfernt von den sogenannten Tall Timber Buildings in den Städten liegt die 2018 eröffnete Macallan Distillery – eingebettet in Schottlands wilde und offene Landschaft – fast 900 Kilometer von London entfernt. Im Zuge eines Wettbewerbs für einen Erweiterungsbau der Brennerei mit angeschlossenem Besucherzentrum wurde der Beitrag des Architekturbüros Rogers Stirk Harbour + Partners ausgewählt, unter anderem wegen der markanten doppelt gekrümmten Dachlandschaft aus Holz. Eingelassen in eine Hügelkette, scheinen die fünf sanft emporragenden Kuppeln des modularen Gründachs mit der Umgebung nahezu zu verschmelzen. Umso spektakulärer wirkt die zweigeschossige Glasfront des langen flachen Gebäudes. Sie gibt den Blick auf die Whiskyproduktion frei.

Das Dach besteht aus zwei Schichten, die über die gesamte Fläche (207 mal 63 Meter) eines rechteckigen Rasterbandes verlaufen. Die obere Schicht trägt das Gründach und dient der Isolierung. Das darunterliegende Holzraster, aufgeteilt in Abschnitte von 3 mal 3 Metern, erhebt sich rhythmisch mit den vier Schalenkuppeln über den Brennhäusern und der fünften Kuppel über dem Besucherzentrum. Diese facettierte Tragstruktur mit geraden statt gebogenen Trägern wurde sichtbar ausgeführt – ein Umstand, der besonders dem Partner und ausführenden Architekten Graham Stirk wichtig war, um die planerische Leistung der Ingenieurinnen und Ingenieure explizit hervorzuheben. Jede der Kuppeln wird von Stahlringankern getragen, die auf einem Momentrahmen aus vier v-förmigen Stahlstützen lagern. Diese leiten die Dachlast auf starre Betonstützen ab. Trotz der enormen Dachlasten wurde bei der Berechnung jedes einzelnen Elements versucht, die facettierte Gestaltung mit möglichst wenigen einfachen und voneinander unabhängigen Verbindungen umzusetzen. Dies ermöglichte auch die Separierung der äußeren Lage der Dachkonstruktion vom fließenden, gekrümmten Raster. Sie ist in die Konstruktion eingelassen und vorrangig mit dreieckigen Furnierschichtholz-Platten verkleidet. Mit den Worten von Paul Edwards, Projektingenieur beim verantwortlichen Statikbüro Arup: „Wir haben die ursprünglich sehr komplexe Konstruktion so vereinfacht, dass die Struktur aus einem einzigen Grundprinzip entwickelt werden konnte.“

Im Allgemeinen wird die Tragstruktur als Gitterschale beschrieben, doch diese Bezeichnung ist angesichts der Holz-Stahl-Hybridkonstruktion und der Stahlringanker nicht ganz korrekt. Arup arbeitete im Zuge der Vorentwurfsplanung schrittweise am hybriden System, um die geeignetsten Anschlusspunkte zwischen Stahlrohrauflager und Holzkonstruktion zu ermitteln. Die mit Statik und Ausführung des Holzbaus beauftragte wiehag ermöglichte es, durch das Wechselspiel von starren und gelenkigen Anschlüssen, kurzen und langen Trägern und verschiedensten Trägeraufbauten, diese herausfordernde Geometrieaufgabe zu lösen.

Für das Dach wurden 1.798 individuell geformte Einzelträger, 2.447 Dachelemente und 380.000 Einzelkomponenten verbaut, was dem Gebäude den Ruf als aktuell komplexester Holzbau einbrachte. Die Planerinnen und Planer bevorzugen den Begriff „raffiniert“, denn obwohl die Zahl der Bauteile hoch ist, wurde nur eine geringe Anzahl von Holzsystemen verwendet, beispielsweise fünf dreieckige Plattensysteme aus Furnierschichtholz. In jedem Fall war für alle Beteiligten die Arbeit an einem derart anspruchsvollen Projekt eine gern angenommene Herausforderung. Auch wenn es sich nicht um eine „echte Gitterschale“ handelt – Paul Edwards sagt „eine Art Gitterschale“ – schürt die Macallan Distillery die Faszination für den Holzbau und lockt neben Whisky-Connaisseuren ebenso auch Holzbaufachleute in den hohen Norden Schottlands.


verfasst von

Oliver Lowenstein

ist Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko­logiemagazin. www.fourthdoor.co.uk

Erschienen in

Zuschnitt 81
Knoten und Verbindungen

Bauen mit Holz heißt Verbindungen schaffen. In diesem Zuschnitt zeigen wir, auf welch vielfältige und teils unerwartete Weise sich Holz fügen lässt und warum Knoten mehr sind als der bloße Zusammenschluss einzelner Teile.

8,00 €

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Zuschnitt 81 - Knoten und Verbindungen

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