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Vogelobservatorium Tij in Süd-Holland

erschienen in
Zuschnitt 81 Knoten und Verbindungen, Juni 2021

Daten zum Objekt

Standort

Stellendam/NL Google Maps

Bauherr:in

Vogelbescherming Nederland, Zeist/NL, www.vogelbescherming.nl

Architektur

Rau architects, Amsterdam/NL, www.rau.euro&ad Architecten, Bergen op Zoom/NL, www.ro-ad.org

Statik

Geometria Architecture Ltd, Helsinki/FI, www.geometria.fi

Holzbau

Van Hese Infra b.v., Middelburg/NL, www.vanhese-infra.nl

Fertigstellung

2019

Typologie

Sonderbauten

Ein Schwalbenei in Zollingerbauweise

Das niederländische Naturschutzgebiet Scheelhoek bei Stellendam, gelegen am Haringvliet, ist ein bedeutender Lebensraum und Brutplatz für zahlreiche Wat- und Möwenvögel. Doch die einzigartige Flora und Fauna lockt nicht nur Schwalbe und Co., auch SpaziergängerInnen erfreuen sich an der Natur und OrnithologInnen beobachten das Schauspiel der Vogelwelt. Um das Habitat der Tiere möglichst störungsfrei auch interessierten und naturliebenden Menschen zugänglich zu machen, wurde – in Abstimmung mit dem niederländischen Vogelschutzverband – ein Landschaftsplan entwickelt. Eine behutsame Wegeführung mit vereinzelten Aussichtspunkten war das Ergebnis. Eine der ersten und die zweifelsohne markanteste unter den -Beobachtungsstationen trägt den Namen „Tij“, niederländisch für Tide, und schnell ausgesprochen mit der Bedeutung Ei. Diese Doppeldeutigkeit umschreibt bereits zwei wesentliche Grundzüge des Bauwerks. Das Vogelobservatorium – ein Entwurf von rau architects in Zusammenarbeit mit ro&ad Architecten – ist eine Holzkonstruktion in Form eines überdimensionierten Schwalbeneis, auf eine durch die Gezeiten geprägte Sandbank gelegt.

Die tragende Struktur wurde parametrisch entworfen und ist eine File-to-Factory-Produktion in Zollingerbauweise. Beim Prinzip nach Zollinger werden gleichartige Einzelelemente zu einem schalenartigen stützenfreien Stabnetztragwerk zusammengefügt, das trotz kurzer Stäbe große Spannweiten ermöglicht. In jedem Knotenpunkt werden zwei Stabenden außermittig – in Form eines schiefen Kreuzes angeordnet – an einen durchlaufenden Stab angeschlossen. Alle Stäbe laufen jeweils über zwei Felder durch. Aneinandergefügt bilden diese Kreuze die für diese Bauweise typischen Rauten aus.

Insgesamt besteht das Observatorium aus 402 Teilen, in Finnland CNC-gesteuert gefertigt und vor Ort zusammengefügt. Dabei kamen zwei leicht unterschiedliche Knotenanschlüsse zur Anwendung. Entweder wurden einzelne Holzdübel von beiden Seiten gesetzt, in manchen Fällen war jedoch die Verwendung durchlaufender Holzdübel von Vorteil – beispielsweise dann, wenn in einzelnen Feldern der Winkel der Stäbe zueinander nicht die erforderliche Einbohrtiefe von zwei Seiten zuließ oder die Montage aufgrund der Lage nur von einer Seite möglich war.

Um eine exakte Montage zu gewährleisten, wurden die jeweils ersten drei Reihen an den Enden des Holz-Eis vormontiert. Der untere, fallweise der Flut ausgesetzte Teil, ist aus Accoyaholz, das durch zusätzliche Acetylierung eine höhere Resistenz gegen Wasser, holzzerstörende Pilze und Insekten aufweist. Der darüberliegende, trockene Teil ist aus Kiefer. Knapp über dem möglichen Hochwasserstand setzt ein landschaftlich passend gestaltetes Dach aus lokal gewonnenem Reet an. Im Inneren bildet ein Holz-Beton-Hybrid den Boden einer umlaufenden Galerie in Form einer Rampe aus. Sie wird von sieben Holzstützen getragen und wirkt ihrerseits wiederum statisch stabilisierend auf die Tragstruktur. Von hier aus bietet sich den Besucherinnen und Besuchern ein Rundumblick auf die Natur und die sich hier tummelnden Vögel.

Das Tij Observatorium ist ein Erlebnis für sich. Das changierende Lichtspiel, erzeugt durch die ovale Öffnung am Hochpunkt der Schale und die rautenförmigen Öffnungen der Hülle, ist einen Besuch allemal wert. Auch die Route zum Aussichtspunkt bietet einiges an Spannung. Sie führt im letzten Abschnitt durch einen Tunnel, dessen Sandbedeckung sich den Vögeln als Nistplatz und Nahrungsreservoir anbietet. Man nähert sich gut getarnt und quasi unsichtbar für die Tiere. Nachhaltig gedacht ist nicht nur der Einstieg in die sogenannte Vogelskieke. Das ganze Objekt ist aufgrund seines Konstruktionsprinzips holzsparend, hat ein geringes Eigengewicht und erlaubt einen Aufbau ohne schweres Hebezeug, mit wenig Aufwand und in kürzester Zeit. Es lässt sich auch wieder vollständig zerlegen und recyceln.


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 81
Knoten und Verbindungen

Bauen mit Holz heißt Verbindungen schaffen. In diesem Zuschnitt zeigen wir, auf welch vielfältige und teils unerwartete Weise sich Holz fügen lässt und warum Knoten mehr sind als der bloße Zusammenschluss einzelner Teile.

8,00 €

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Zuschnitt 81 - Knoten und Verbindungen

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