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London
Holz – wegen seiner Fähigkeit, CO₂ zu speichern

erschienen in
Zuschnitt 59 In Zukunft Stadt, September 2015

In London gilt der Bezirk Hackney als einer der ärmsten und multikulturellsten Bezirke des ganzen Landes. Auf europäischer Ebene und darüber hinaus aber wurde das 250.000 Einwohner zählende Hackney aus einem ganz anderen und in der Tat überraschenden Grund bekannt, und zwar weil dort zahlreiche städtische Brettsperrholz-Bauten errichtet wurden. Angefangen hat dies mit dem von Waugh Thistleton 2007 errichteten Stadthaus Murray Grove. »Ich war vor einigen Wochen an der Technischen Universität Graz«, erzählt Andrew Waugh, der mit seinem Architekturbüro Waugh Thistleton in Hackney residiert. »Gerhard Schickhofer, der Vorstand des Instituts für Holzbau und Holztechnologie, hat hervorgehoben, dass Hackney und das Büro Waugh Thistleton zu einem internationalen Brett­sperrholz-Zentrum geworden sind.« Woche für Woche bekommt das Büro von Waugh Thistleton Besuch von Interessenten, jüngst von einem Bürgermeister aus Oregon und einem schwedischen Stadtratsvorsitzenden.

Wie kam der Holzbau nach Hackney?

Vor dem Bau des Stadthauses von Waugh Thistleton war Hackney auf einer Land­karte von Holzbauten keinen Eintrag wert. Derzeit kann man 13 realisierte und sieben im Bau befindliche Projekte zählen. Dies ist zugegebenermaßen ein Tropfen auf den heißen Stein, aber Bauen mit Holz ist in Großbritannien ein junger Trend, der erst um 2005 in Gang gekommen ist. ­Damals realisierten einige Vorreiter, unter anderem die Tragwerks­planer Eurban und die Architekturbüros de Rijke Marsh Morgan Architects (dRMM) und Waugh Thistleton, eine kleine Zahl von Projekten und trugen damit nachweislich viel dazu bei, den Holzbau in Großbritannien bekannt zu machen. Murray Grove, das erste neungeschossige Wohnhaus aus Brettsperrholz weltweit, wurde nicht zuletzt von Brettsperrholz-Pionieren wie Alex de Rijke von drmm kritisiert, weil es wie alle anderen Gebäude aussehe und man die Möglichkeiten der Holzbauweise in struktureller und gestalterischer Hinsicht nicht ausgelotet habe. Andrew Waugh erzählt, dass ein Gespräch mit dem österreichischen Architekten und Universitätsprofessor für Entwerfen und Holzbau an der TU München Hermann Kaufmann dazu geführt habe, dass sich sein Büro Waugh Thistleton nun entschiedener auf das Bauen mit Holz konzentriere.

Im Interesse des Bezirks

Die lokale Planungsbehörde von Hackney engagierte sich ohnehin für Kohlenstoffreduktion und die Verwendung ökologischer Baustoffe und erhielt mit Murray Grove und den nachfolgenden Projekten den ­gebauten Beweis für die Möglichkeiten des Holzbaus. Spätestens 2012 hatte sich das Bauen mit Holz, vor allem mit Brett­sperrholz, in Hackney durchgesetzt, wobei das Programm Building Schools for the ­Future (dt. Schulen für die Zukunft bauen) zur Bekanntheit und Popularisierung des Materials beitrug (siehe Zuschnitt 55). In London war die Rezession am Abklingen und im Bezirk Hackney wurden ­überall neue Projekte fertiggestellt wie das in Brettsperrholz-Bauweise errichtete Bridport House.

Holz hat Vorrang

Zu Beginn des Jahres 2012 war David ­Hopkins zum Leiter der neu formierten Werbeplattform Wood for Good zur Förderung des Holzbaus ernannt worden. Hopkins setzte auf die Wood First Rule (dt. Holz-hat-Vorrang-Vorschrift), die in British Columbia in Kanada bereits eingeführt worden war. Hopkins wusste, dass die Verwendung von Holz wegen seiner Fähigkeit, CO2 zu speichern, und aus Gründen der Nachhaltigkeit von einigen lokalen Behörden unterstützt wurde. Sollte der Einsatz von Holz auf Planungs­ebene rechtlich verankert werden und Holz – »sofern anwend- und durchführbar« – als erste kohlenstoffneutrale Option für öffentliche Gebäude festgeschrieben ­werden, würde das die Entscheidung der lokalen Behörden zugunsten von Holz ­beträchtlich erleichtern. Hopkins war sich auch der Parallelen der Wood First Rule zur sogenannten Merton Rule bewusst, wonach in Großbritannien »neue kommerzielle Gebäude mit einer Größe von mehr als 1.000 m2 mindestens 10 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbarer, vor Ort produzierter Energie decken müssen«, und begann diese Regelung auf das ­Bauen mit Holz umzulegen. Im Lauf des Frühjahrs 2012 traf sich Hopkins mit verschiedenen Planungsbehörden vor allem in London, aber auch in Bristol, Brighton und Manchester. In Hackney, wo man bereits mit Brettsperrholz-Bauten vertraut war, zeigte man sich besonders interessiert. Hier war man sich der Werbewirksamkeit einer »Hackney-Regel« bewusst und deshalb sehr daran interessiert, Hackney zur ersten Wood-First-Gemeinde des Landes zu ­machen. Als nächsten Schritt organisierte Hopkins im Mai 2012 eine Konferenz, um im Bezirk auf Wood First aufmerksam zu machen. Nicht bedacht hatten Hopkins, die Gemeinde und Hopkins’ Unterstützer aus der Holz­industrie aber die Reaktionen aus jenen Segmenten des Bauwesens, die für andere Materialien und Produkte einstehen. Die Beton-, Ziegel- und Stahl­industrie machten gegen die Regelung Front und drohten mit einer Klage wegen Wettbewerbsbeschränkung. Die Architekturpresse griff die Geschichte auf und ­berichtete in verschiedensten Artikeln über Vor- und Nachteile unterschiedlicher Baustoffe, was ­hitzige Debatten im Internet nach sich zog. Hackney, der zweit­ärmste Verwaltungs­bezirk des Landes, ­verfügte nicht über die finanziellen Mittel, den Kampf vor Gericht auszufechten, auch begann sich die ausdrückliche Unterstützung von Seiten der Holzindustrie in Luft aufzulösen. Seitdem ist, wie Hopkins meint, Wood First zu einer informellen ­Regel geworden.

Der Weg in die Zukunft

»Hackney hat sehr viel dazu beigetragen, dass sich die Brettsperrholz-Bauweise verbreiten konnte. Durch das Beispiel des Bezirks ist es möglich geworden, mit gro­ßen Bauunternehmen ins Gespräch zu kommen, ihnen zu zeigen, wie man mit Holz bauen kann, und ihnen die Augen für die Argumente für das Bauen mit Holz zu öffnen«, sagt Hopkins. Auf die Frage, ob es schwierig sei, für solche Projekte Kredite zu bekommen, meint Andrew Waugh, dass es eine größere Herausforderung sei, die Versicherungen von der Holzbauweise zu überzeugen als die Banken. Aber auch das ändere sich. In keinem anderen Bezirk von London wird so viel mit Brettsperrholz gebaut wie in Hackney. Waugh zufolge besteht nun die Aufgabe darin, die gut zwanzig Brettsperrholz-Bauten in Hackney und ihren Beitrag zur Kohlenstoffreduktion weltweit bekannt zu machen. Hackneys Holzbauten, wenn auch von geringer Anzahl, sind als Symbol für die Zukunft von großer Bedeutung.


verfasst von

Oliver Lowenstein

ist Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko­logiemagazin. www.fourthdoor.co.uk

Erschienen in

Zuschnitt 59
In Zukunft Stadt

Der Holzbau kehrt in die Stadt zurück und es gibt viele gute Gründe dafür. Ressourcenschonung, Dekarbonisierung, wirtschaftliches und effizientes Bauen sind einige davon.

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Zuschnitt 59 - In Zukunft Stadt

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